Es gilt das gesprochene Wort - Grußwort an die WASG, gehalten auf dem Parteitag am Samstag den 19.11.2005 in Hannover

Liebe KollegInnen, Freunde, Genossinnen und Genossen,
mit gemeinsamer Klugheit aber auch mit Schürfwunden auf beiden Seiten haben wir einen Antritt zur Bundestagswahl hinbekommen, der einen Erfolg zeigte, wie ihn die nicht sozialdemokratische Linke nach dem Krieg noch nie erzielt hat. Das heißt aber auch, dass auf uns eine Hoffnung liegt, wie sie nach dem Krieg aus dem Bereich von Nichtwählern, Ausgegrenzten und Abgehängten noch nicht an eine parlamentarische Kraft gerichtet worden ist.

Diese Hoffnungen müssen für uns beide, WASG und Linkspartei, die entscheidende Richtschnur sein, nicht unser eigener Bauchnabel, unsere internen Befindlichkeiten und das linke Spalte-Spiel. Die Mehrwertsteuererhöhung auf neunzehn Prozent soll den Staatskassen über zwanzig Milliarden Euro bringen. Zwanzig Milliarden Euro, die bei Handwerksverträgen, bei Dienstleistungen, bei Rockmusikgruppen, bei kommunalen Aufgaben in den Kassen fehlen werden. Zwanzig Milliarden faktische Lohnkürzung. Zwanzig Milliarden Euro, um die die Deutsche Bank, BMW und Daimler-Chrysler nicht zur Kasse gebeten, sondern geschont werden. Die Mehrwertsteuererhöhung ist Gift für Arbeitsplätze, für die Konjunktur und für den Mittelstand. Und wir müssen gemeinsam, von jetzt an, und zwar schon jetzt, bei den Einkäufen, den Widerstand, auch auf den Weihnachtsmärkten organisieren. Uns bleibt keine Zeit, mit Rechtsanwälten gegeneinander los zu gehen, sondern wir sollten mit Flugblättern, Infoständen und Megaphon gegen diese „Merkelsteuer“, die zur „Platzeksteuer“ wurde, los gehen. Wir kämpfen nicht gegen uns, sondern gegen die rechtsgewendete SPD und die rechtsgebliebene CDU,CSU.


Die Rentenalterserhöhung auf 67 ist ebenfalls eine Kürzung bei denen, die ihr Geld nicht in Weltfinanzmärkten und in Spargroßkonten anlegen, sondern zum Laden bringen. Auch diese Verteuerung setzt nicht bei den Finanzspekulationen und Konzernen an, sondern bei den Klein- und Mittelverdienern und entzieht der Konjunktur die wichtige Luft zum atmen. Uns bleibt hier nicht die Zeit, lange zentral über die Frage unserer Namensbildung, der Beschimpfung und Intrigierung gegen eigene Parteifreunde, sondern wir müssen jetzt anfangen, gegen die Sozialräuber zu kämpfen. Dies alles hängt fest zusammen mit unserem Kampf gegen die große Koalition der Sozialplünderer. Und ich sage nicht: Verbesserungen bei Hartz. Sondern: weg damit und her mit dem Mindestlohn von 1400 Euro.


Ein weniger populäres aber um so wichtigeres Thema werden die EU - Dienstleistungsrichtlinien, auch nach ihrem Erfinder Ex-EU-Komissar „Bolkestein“ benannt, sein. Hier soll für Arbeitnehmer und Unternehmensleistungen aus dem Ausland nicht mehr das deutsche Recht, ich füge hinzu, größten Teils ein erkämpftes, erstrittenes Recht der Arbeiterbewegung und der Demokraten – gelten, sondern das jeweilige Herkunftslandrecht. Was dies bedeutet, wenn fremde Staatsanwälte und Polizeieinheiten auf unseren Straßen ihre Bürger „überwachen“ sollen, was das aber vor allen Dingen für ein Dumping für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aber auch kleine und mittlere Unternehmen bedeutet, müssen wir den Menschen noch sagen. Das wissen sie nicht. Das Wort „Dienstleistungsrichtlinie“ klingt ja so unverdächtig und harmlos. Das es aber zerstörerisch ist, bedarf unserer Aufklärungsanstrengung. Auch hier haben wir etwas weniger Zeit für uns selber.


Ich will nun nicht bestreiten, dass von Seiten der Linkspartei einiges geeignet war, bei der WASG Verbitterung auszulösen und zu konservieren. Und deswegen möchte ich klar stellen und nehmt dies bitte zur Kenntnis:


Die niedersächsische Linkspartei hat von Anfang ihr großes Verständnis deutlich gemacht für den Wunsch der Rheinland-pfälzischen und Baden- Württembergischem WASG unter WASG-Regie mit offenen Landtagswahllisten anzutreten.


Die niedersächsische Linkspartei sieht mit großem Verständnis die Kritik aus den Reihen der WASG Berlin, was die Risikoabschirmung der Berliner Bankgesellschaft mit dreiundzwanzig Milliarden Euro, was die Haltung zum Flächentarifvertrag und vor allen Dingen, was das wenig überzeugende agieren gegen die EU-Verfassung anbetrifft. Hier standen wir bei der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern. Die hat nämlich Ringsdorf zu einer Enthaltung im Bundesrat bei der Ratifizierung gezwungen. Mitregieren geht also auch anders, als in Berlin. Und muss nicht dogmatisch gegen Mitregieren sein, wenn man andere Akzente setzen möchte, als die bürgerlichen Parteien. Wenn die PDS „closed shop“ macht, haben wir dafür ebenso wenig Verständnis wie für einen getrennten Wahlantritt der WASG. Kritisiert werden darf in WASG und Linkspartei gleicher massen, gespalten werden niemals!


Und bitte nehmt auch zur Kenntnis, dass wir nicht festgelegt sind, was den Antritt zur Kommunalwahl anbetrifft. Hier sollten wir die technischen Fragen nicht ins Zentrum rücken, sondern die politischen Inhalte. Die Wähler in Niedersachsen sehen die Linke schon als ein gemeinsames Produkt, durchaus ohne die drei Buchstaben PDS. Auch wenn viele in Hannover eine diesbezügliche Anregung unterschrieben haben: wir sollten die Möglichkeiten gleichberechtigt prüfen. Wo WASG und Linke mit etwa durch gleiche Stärke das Gefühl haben, nicht unter das jeweils andere Listendach gehen zu wollen, muss genauso vorbehaltlos über eine Wählergemeinschaft mit Unterschriftensammlungen nachgedacht werden. Für alle drei Möglichkeiten
WASG-offen-plus-Linke-offfen-plus-und-Wählergemeinschaften stehen wir und steht unsere rechtliche Beratung zur Verfügung. Allerdings sollte das kommunale Entscheidungsrecht im Zentrum stehen, und geprüft sein, wo welche Kandidatin und Kandidaten über lokale Verankerung in sozialen Bewegungen bzw. im Stadtteil verfügen. Aber: lasst uns nirgends gegeneinander antreten UND auf jeden Fall frühzeitig über einen gemeinsamen Wahlkampf reden. Am Ende werden wir so viele Mandate gewinnen, dass viele persönlichen Wünsche möglich werden und wir vielleicht Probleme haben werden, alle Mandate geeignet zu besetzen. Aber vor aller Postenhuberei: Wir wollen die Privatisierungsirrsinn und den neoliberalen Krampf in den Rathäusern auflösen.


Wir sehen die Annäherung der beiden Parteien nicht als einen formal routinierten Fusionsprozess, sondern als eine historische Chance einer Parteineubildung in breiten Bündnissen und viel Zeit. Bei uns überwöge das Unverständnis, sollte man auf diesem Wege etwa Kräfte, wie DKP u.a. etc. nicht wenigstens ansprechen. Chancen weit über die WASG und die Linkspartei hinaus linke Kräfte einzubinden, die über lange Erfahrung verfügen und die Jugend anzusprechen, ATTAC anzusprechen die Gewerkschaftsjugend etc. müssen von uns ergriffen werden und stehen zentral, und nicht primär die Bedienung persönlicher kommunaler Mandatswünsche. Ängste vor der Doppelmitgliedschaft gibt es durchaus auf beiden Seiten. In einigen westdeutschen Ländern könnte die WASG die Linkspartei mühelos übernehmen. Wir haben auch Verständnis dafür, dass uns Mitglieder des Landesvorstandes der WASG gebeten haben, bei Personaleinstellungen nach dem Konsensprinzip zu verfahren. Wir würden gerne Modalitäten mit euch vereinbaren, wie wir im Konsens mit Euch auswählen und wir hoffen auf die entsprechenden konstruktiven, gemeinsamen Gespräche dahin. In diesem Sinne haben Dorothée Menzner und ich uns entschieden, eine Mitglied aus Eurem früheren Landesvorstand zu unserer Bürochefin zu machen. Wir haben hier nicht in den angebotenen Pool des Karl-Liebknecht-Hauses oder den anonymen Arbeitsmarkt gegriffen. Ich möchte darauf hinweisen: Renate sieht unsere Mails. Wir werden nicht ein Mail von ihr sehen. Sie sieht unsere Kontobewegungen wir werden nicht eine Kontobewegung von ihr sehen. Sie öffnet unsere Post wir werden nicht einen Brief an sie kontrollieren können. Dies betrachten wir als eine Geste des Vertrauens in Richtung der WASG und hoffen in diesem Sinne unsere Personalpolitik der MdB´s usw. in erster Linie nach politischer Befähigung und nicht nach dem engen Parteikaro zu stricken. Es geht nicht darum, aus welcher Partei jemand kommt, sondern wohin es geht und darum, wie wir gemeinsam, in Zukunft, in dieser Gesellschaft für mehr Solidarität und soziale Gerechtigkeit kämpfen.


In diesem Sinne, meine lieben Freundinnen und Freunde, hoffe ich, dass allmählich die Kratzer zuwachsen, die durch den überschnellen Wahlantritt einander angetan wurden. Es wird in Niedersachsen und in anderen westlichen Landesverbänden nicht so sehr WASG kontra Linkspartei gehen. Mancher selbstgefällige Auftritt der PDS im Osten stört uns genau wie Euch. Nur mit einem starken Kommunalwahlergebnis und einer starken Westlinken können wir da alternative westlinke Akzente aus Gewerkschaften und linker Kultur setzen. Und vor allen Dingen geht es darum, in Ost und West in Nord und Süd, nicht uns selber, sondern dem Großkapital und seinen polit-claqueren, der großen Koalition der Sozialräuber mit aller Wucht gegen das Schienbein zu treten. Und darum lade ich euch alle hiermit zu unserer Arbeitskonferenz am 03. Dezember nach Hannover, FHZ Weisse Rose 11h ein, wo wir die konkreten Aktionen gegen Mehrwertsteuererhöhung, Rentenkürzung und Bolkestein als inhaltliche Vorbereitung auf die Kommunalwahl bereden wollen.


Ich danke für die Aufmerksamkeit und wünsche für Euren Parteitag kluge und solidarische Entscheidungen.