Rede von Dr. Diether Dehm im Deutschen Bundestag am 15.12. zur Regierungserklärung durch Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum Gipfel des Europäischen Rates am 16. und 17. Dezember 2010.


Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Viel zu kurzfristig hat der Bundestag erfahren, dass morgen auf dem Europäischen Rat ein Beschluss zur Änderung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union AEUV gefasst werden soll. Das ist ganz sicher ein Vorhaben nach dem Zusammenarbeitsgesetz. Hier spreche ich Sie an, Herr Lammert, der Sie sich, wie man hört, auch in Ihrer Partei oft beherzt für die Rechte des Parlaments nach diesem Zusammenarbeitsgesetz einsetzen.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das ist bei uns ganz normal und nichts Außergewöhnliches!)

Darüber hätte die Bundesregierung den Bundestag rechtzeitig informieren müssen,

(Beifall bei der LINKEN)

und sie hätte dem Parlament rechtzeitig die Möglichkeit zur vorherigen Stellungnahme geben müssen. Das hat sie nicht getan. Frau Bundeskanzlerin, damit haben Sie ein weiteres Mal Ihre gesetzlichen und verfassungsmäßigen Pflichten grob verletzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Vertrag von Lissabon ist jetzt gerade einmal ein Jahr in Kraft. Alle Probleme der EU sollten damit gelöst werden, und er sollte lange Zeit unverändert bleiben. Das verkündeten die Bundesregierung, aber auch SPD und Grüne damals mit viel Pathos. Das alles ist jetzt Schall und Rauch. Schon jetzt ändern Sie das Vertragsrecht radikal, indem Sie die Bail-out-Klausel außer Kraft setzen.

Die Ursachen für die Finanzkrise bleiben also unangetastet, zum Beispiel dieser irrsinnige Art. 63 AEUV, wodurch jegliche Beschränkung des turbokapitalistischen Finanzverkehrs verboten wird. Der US-Milliardär Warren Buffett, den Sie ja oft wegen seiner Spenden loben, nannte diese Spekulationsgeschäfte Zitat „finanzielle Massenvernichtungswaffen“. Sagen wir es einmal klar: Die Profiteure von Hunger, Massenarbeitslosigkeit, Krieg und Finanzkrise lassen Sie unangetastet.

(Beifall bei der LINKEN)

Ohne die Einführung einer sozialen Fortschrittsklausel, wie Sie von Gewerkschaften, Christen, Attac und den Linken gefordert wird, zerreißen Sie die EU. Das ist keine Science-Fiction-Vision: Dort brennende Autos in den Vorstädten von Paris und Athen, hier gut bewachte Paläste. Ihre EU bleibt die EU derer, die sich Parteispenden in Höhe der Allfinanz und der Familie Quandt leisten können.

Die aggressive deutsche Exportstrategie, die durch ein immer weiteres Herabpressen der deutschen Lohnstückkosten die Lohnstückkosten und damit die deutschen Löhne entwickeln sich auch jetzt wieder nach unten und damit durch das Herabpressen der Kaufkraft charakterisiert ist, schießt sich selbst ins Knie und produziert immer mehr Zahlungsunfähigkeit in der EU.

Frau Homburger und Herr Fricke, Herr Kubicki hat die FDP ja mit der DDR im Zerfallsprozess verglichen. Ich kann Ihnen nur eines sagen: Soeben meldet „n-tv“, die Südwest-FDP fordere den Rücktritt von Westerwelle. Herr Westerwelle, ich weiß nicht, ob Sie das schon mitbekommen haben.

(Zurufe von der LINKEN: Er ist schon weg!)

Der ist schon weg; das ist richtig. Einigen wir uns darauf.

Eines jedenfalls ist klar: Wenn ich Sie höre, Herr Fricke und Frau Homburger, dann kommt mir das tatsächlich vor wie weiland Erich Honecker mit einer kleinen Änderung : Den Neoliberalismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn es mit dem Neoliberalismus in seinem Lauf abwärts ging, haben sich schon mancher Ochs und mancher Esel daran versucht, diese Fahrt abwärts abzubremsen. Der Neoliberalismus ist hoffnungslos verloren.

(Beifall bei der LINKEN Otto Fricke (FDP): Ich sage nur: Überholen ohne einzuholen!)

Meine Damen und Herren, wir wollen mit unserem Entschließungsantrag ein transparentes Änderungsverfahren des Vertrags erreichen. Sie wollen ein sogenanntes vereinfachtes Verfahren, weil Sie die Öffentlichkeit scheuen wie der Vampir das Tageslicht.

(Heiterkeit des Abg. Axel Schäfer (Bochum) (SPD))

Sie wollen heute eine vertragswidrige intransparente Ermächtigung für einen sogenannten Stabilisierungsmechanismus zur Fortsetzung Ihrer EU-Politik für Ackermann und die Superreichen.

(Otto Fricke (FDP): Und Sie wollen über Ihre Zeit reden!)

Wer Euro-Bonds jetzt so dogmatisch verweigert, treibt die EU auseinander. Sie, Frau Merkel, sind eine Antieuropäerin par excellence.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege.

Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):
Ich komme zum Schluss. Letztlich wird diese Krise zur Verstaatlichung des gesamten Kreditsektors führen, nicht nur der Schrottbanken, sondern auch der Deutschen Bank als Diktatorin deutscher Wirtschaftspolitik seit 1933; denn wenn Kredite das Blut der Wirtschaft sind, dann dürfen wir die Blutbank nicht mehr länger den Vampiren überlassen.

(Beifall bei der LINKEN)