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Kategorie: Positionen

... in einem Punkt war der Faschismus immer gleich: gegen Gewerkschaften und gegen linke Parteien. Überall auf der Welt ... er war immer gegen die organisierte ArbeiterInnen-Bewegung.

 

 

kern faschismus

Frage auf Abgeordnetenwatch

 

Meine Antwort an Herrn U. Eberhard, der sich bei mir - in ein vertrautes "Du" fallend - bedankt: "Dennoch bedanke ich mich für die ausnahmsweise erfolgte Reaktion deinerseits und dann so pronto"; gleichzeitig aber Andrej Hunko und mich u.a. wegen unserer Antiasoboda-Haltung und Israelkritik rüde angreift:

 

Sehr geehrter Herr Eberhard, 

besten Dank für Ihre Hinweise, die ich gerne berücksichtige, weil sie ja weitgehend auch jüngsten Forschungen entsprechen.

Im Kern werfen Sie mir vor, den italienischen Faschismus „geschichtsrevisionistisch“ vom Rassismus zu trennen, gar freizusprechen. Das ist allerdings unzutreffend. Um objektiv „Diktatur des terroristischsten, imperialistischsten Finanzkapitals“ (nach Dimitroff) zu werden, mußte sich jeglicher Faschismus der Welt als Bewegung subjektiv der rassistischen Traditionen in seinem Volk (!) bemächtigen. Diese waren in Deutschland andere, nämlich antisemitische, als in Griechenland 67, in Chile 73. Oder eben auch im damaligen Italien. Rassistische Mörder waren Faschismen alle. Antisemitische industrialisierte Massenmörder hingegen nicht immer und nicht überall. Schreckliche Besonderheiten, besonders die deutsche Einmaligkeit namens Auschwitz und der 27 Millionen getöteter Sowjetmenschen, gilt es zu (etwa gegenüber Salazar, Franco, Videla usw.) differenzieren, nicht zu revidieren. Wenn ich dies für Sie nicht klar genug ausgeführt habe, bedaure ich das, und möchte ich das hier nachholen.

Ich hatte meine Ausführungen, die Sie allerdings schon im Zusammenhang registrieren sollten, vor allem Dingen gegen die Behauptung gemacht, Faschismus sei überall untrennbar mit der einen Form des Rassismus, dem Antisemitismus, verbunden. Dies ist nämlich unhaltbar. Schon in Ihren Darlegungen belegen Sie meine Position: Sie berufen sich auf Gesetzeserlasse nach dem Jahr 1937. Der Italienische Faschismus regierte aber seit 1921. Also muss es zumindest 15 Jahre lang Faschismus ohne diese Gesetze gegeben haben. 

Nazi-Rassengesetze übernahm Rom tatsächlich erst 1938. Danach begannen erste Judenverfolgungen, die jedoch nicht annähernd das Ausmaß unter dem Hitlerregime erreichten. Sie waren primär gegen Äthopier gerichtet! Die sogenannte „Endlösung“ begann dann erst 1943 nach der Okkupation Oberitaliens durch die Hitlerwehrmacht und deren „Umsetzung“ wurde auch hier von den deutschen Besatzern gerügt.

Diese Unterschiede sind einerseits traditioneller Herkunft, weil der italienische Antisemitismus weit weniger verwurzelt war. Andererseits in gewisser Weise auch aus dem Konkurrenzverhältnis zwischen Mussolini und Hitler zu sehen, in dem der „Duce“ seine eigenen Entscheidungen herausstellen wollte. Zehn Jahre vor Hitler an die Macht gekommen sah Mussolini sich nicht nur als „Führer des Faschismus“ über Italien hinaus, sondern Hitler gegenüber auch geistig überlegen. Wie Hitler selbst noch 1941 einräumte, war  Mussolini für ihn beim Aufbau seiner Bewegung das „ganz große Vorbild“. Er hatte ja von ihm die Bezeichnung der SA wörtlich übernommen, den Führergruß und die Strukturen des Aufbaus seiner NSDAP. Mussolini hatte Hitler im Konflikt mit Österreich im Juli 1934 noch zum Verzicht auf den Einmarsch gezwungen, in dem er Wien Unterstützung zusagte und vier Divisionen an der Brennergrenze aufmarschieren ließ. Ganz gezielt gegen Hitler gerichtet erklärte er danach am 6. September 1934 in Bari: „Dreißig Jahrhunderte Geschichte erlauben uns, mit einem souveränen Mitleid auf gewisse Ideen von jenseits der Alpen zu blicken, die von einer Brut vertreten werden, welche wegen Unkenntnis der Schrift unfähig war, Dokumente  ihres Vorhandenseins zu hinterlassen, als Rom einen Cäsar, Vergil und Augustus besaß“ (Gerhard Feldbauer: „Mussolinis Überfall auf Äthiopien“, S. 45). Hitler rächte sich und unterstützte beim Überfall Mussolinis auf Äthiopien 1935 Kaiser Haile Selassie mit Waffen und Munition, die die italienischen Truppen dann in Äthiopien aufspürten.

Bei meinen Recherchen für meinen Liebesroman „Bella Ciao“ über den italienischen Widerstand in Oberitalien haben zum Beispiel alle befragten Partisanen  belegt, dass es bis zur Flucht des Königs Victor Emmanuele im Juni 1943 keine ihnen bekannten Deportationen von Juden oder offene Gewalttätigkeiten, wie in Deutschland, gegeben hatte. Auch das sogenannte „Mischehengesetz“ von 1937 wurde eher „Hitler zuliebe“ zunächst nur formal auf Juden ausgedehnt, weil dies, wie die sog.  Sicherheitsgesetze von 1937,  sich zentral dagegen richteten, dass zahlreiche italienische Soldaten mit äthiopischen Frauen intime Beziehungen eingingen. Die deutsche Reichsregierung beklagte also weiterhin „Halbherzigkeit“ des italienischen Waffenpartners in Sachen Judenverfolgung.

Es gibt auch Dokumente aus der engeren Umgebung Mussolinis, dass er dies als „Eigenart Hitlers“ belassen wollte.  Der italienische Rassismus richtete sich stattdessen vor allen Dingen gegen dunkelhäutige Afrikaner (in Marokko, Äthiopien, etc.) und war dort auch ähnlich brutal wie der Antisemitismus der Pogromnacht und das Getto. Die Wurzeln der römischen rassistischen Ideologie entstanden bereits Ende des 19.Jahrhunderts als Grundlage des Expansionismus nach Nordafrika und der Anmeldung der eigenen Großmachtansprüche. Zu Kernsätzen der imperialistischen Propaganda wurden die Losungen von „La Grande Italia“ (Großitalien) und dem Mittelmeer als „Mare Nostrum“  (unserem Meer). Die Ideologen des Kolonialismus traten als Interessenvertreter der „Erben des antiken Rom“ auf, die dazu berufen seien, die italienische Zivilisation in die Welt zu tragen. Forschungsreisende halfen mit verlogenen Reiseberichten, die kolonialen Eroberungen vorzubereiten. Obwohl die  entstehende Rassenideologie sich in Graden erheblichl von der späteren der Hitlerfaschisten unterschied, gingen die in dieser Zeit geborenen Theorien von der generellen Überlegenheit der europäischen Völker aus und klassifizierten die Afrikaner als „minderwertige Menschengruppe“, als eine verwandte Form von Antropoiden oder Affen, die eine besondere Neigung zur Kriminalität und zu Lug und Trug hätten. Angehörige „farbiger Rassen“ wurden entwicklungsgeschichtlich mit „Primaten“ auf eine Stufe gestellt. Afrika wurde als ein dunkler Kontinent mit wilder Bevölkerung und Angehörigen „minderwertiger Rassen“ dargestellt. Während der kolonialen Eroberungsfeldzüge in den folgenden Jahrzehnten dienten die rassistischen Theorien zur Rechtfertigung des barbarischen Terrors. Parallel dazu wurde der Mythos vom „guten Italiener“ in die Welt gesetzt, der sich durch seine „humanen Züge“ deutlich von den Praktiken der übrigen Kolonialmächte unterscheide. Schon unter diesem Gesichtspunkt habe ich mehrfach  den  Auffassungen des konservativen Faschismusforschers Renzo De Felice widersprochen, dass der Rassismus dem italienischen Faschismus im Grunde fremd gewesen sei. Das zeigte sich dann besonders bei dem italienischen Rassenkonzept, das nach der Eroberung Äthiopiens 1936 erlassen wurde. Aber eben zunächst nur damit in Verbindung steht!

Eine maßgebliche Grundlage des römischen Rassismus bildeten die Schriften des faschistischen Ideologen Julius Evola. Als Anhänger des in der Weimarer Republik berüchtigten Deutschen Herrenklubs, eines Wegbereiters des Machtantritts Hitlers, und nach 1933 des Freundeskreises Himmlers schrieb er unter dem Einfluss von Nietzsche, der deutschen Mystik, dem SS-Totenkult und anderem reaktionärem deutschen Gedankengut sein Hauptwerk „Die Söhne der Sonne“. In ihm verherrlichte er die Überlegenheit der arischen Rasse, Führerkult, soldatische Disziplin und den Ordensstaat. Angelo Del Bocca und Mario Giovanna haben in einem Buch „I Figli del Sole“ Evolas Rassismus analysiert und geschrieben: Evolas “Söhne der Sonne” seien Herrenmenschen, die gegenüber „jeglicher Schwäche unerschütterlich“ seien, für die „nichts wahr und alles erlaubt ist“. Außer den „Herren“ würden nur Sklaven existieren. Die Masse bestehe nur aus Dienern, aus „Leuten, die überhaupt keine Rechte haben“, auch nicht das auf Leben, und über deren Vernichtung „man keine Träne zu vergießen braucht“.  Das im folgenden Abschnitt dargelegte Wüten von Mussolinis SA und des Henkers von 30.000 Äthiopiern, des Marschalls Graziani, sind Beispiele dafür, wie die römische Rassenideologie in barbarischer Weise verwirklicht wurde.

Damit war der Boden vorbereitet für das im Juli 1938 verkündete „Rassenmanifest“, mit dem Mussolini zwar grundsätzlich faschistische Rassengesetzte Hitlerdeutschlands übernahm, aber diese weiterhin vorwiegend auf seine afrikanischen Kriegsfeinde anwandte.  „Die gerade nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vertretene Hypothese, die italienischen Rassengesetze seien auf Druck des deutschen Bündnispartners eingeführt worden, entbehrt jedoch  jeglicher  Grundlage“, hielt Gabriele Schneider in ihrem Buch „Mussolini in Afrika. Die faschistische Rassenpolitik in den italienischen Kolonien“ (Köln 2000, S. 76) fest. Ich verweise in dem Zusammenhang besonders auf die wertvollen Untersuchungen in den Werken des marxistischen Historikers Gerhard Feldbauer.

Ich möchte also an der These festhalten, dass Faschismus immer und überall rassistisch ist (so auch der faschistische, norwegische Massenmörder Breijvik, der israelische Eliten in seinem sog. Manifest bewundert), aber nicht immer antisemitisch sein muss. (Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang auch den Hinweis, daß der Pegida-Hetzer Akif Pirincci Autor bei H.M. Broders „Achse des Guten“ ist und Breijvik sich damals auch auf Broder positiv bezogen hatte.)

Einen Kern hat der Faschismus allerdings in all seinen weltweit unterschiedlichen Erscheinungsformen (von Mussolini, Hitler bis Pinochet): den Antikommunismus und die Todfeindschaft zu den demokratischen Organisationen der Arbeiterbewegung. (Der deutsche Faschismus schwatzte darum ja auch von der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung).

Ich hoffe, dass Sie hier mit mir übereinstimmen. 

Auch wenn nicht jedes öffentliche Statement gleich ein wissenschaftlicher Vortrag ist, werde ich mich bemühen, in Zukunft die These so zu formulieren, dass noch deutlicher wird, dass der italienische Faschismus bis 1943 nicht antisemitisch - so, wie in Deutschland - war, aber ebenso rassistisch und antikommunistisch. Auschwitz bleibt aber eine deutsche Nazi-Barbarei. Dies ist auch deswegen wichtig, weil es besonders seit der Shoa keine „harmlose“ Form des Antisemitismus gibt, weil jeder Antisemitismus im Wissen der Shoa für ewig mit ihr verbunden bleibt.

Mit freundlichem Gruß

Dr. Diether Dehm