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Kategorie: Presse 2006
Degenhardt über Dehm

Von Franz Josef Degenhardt -  07.08.06
http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=94961&IDC=4

Lerryn, seinen nom de guerre, verwende ich immer noch, wenn ich an ihn denke, mit ihm oder über ihn rede, ihn lobe oder über ihn lästere. Diether Dehm also, »der Lerryn», hat die westdeutsche Linke mitgemacht, handgreiflich und kontemplativ, agitatorisch und als Theoretiker, als Freier und als Funktionär, als Marxist und Sozialist, und er hat sie mit seinen Lieder begleitet als Fahrender und Sesshafter, witzig und ernst, komödiantenhaft und poetisch: eine Mischung, die es in der asketischen, um nicht zu sagen, drögen deutschen Arbeiterbewegung viel zu wenig gegeben hat.
Dieser Lerryn ist nun also wieder zu hören auf seiner Jubiläumsplatte »Adelante con Rosa, Brecht y Che«. Musikalisch-kompositorisch sind die neunzehn Lieder nichts Extraordinäres, mehr eine Art alltäglicher Gebrauchsmusik auf der Basis von Pop, Chansons, Folklore, Blues, Jazz. Beinahe alle Liedermacher haben ja nichts Neutönendes, Avantgardemäßiges gemacht – von Walther von der Vogelweide über Paul Gerhardt bis zu Degenhardt. Ausnahme: Hanns Eisler. Und Eisler-Lieder auf Texte von Brecht – da bin ich seit jeher Fan vom Lerryn –, die singt er auf der CD am sympathischsten, anmutendsten von allen lebenden Eisler-Brecht-Interpreten. Er singt sie sehr zeitnah. Dabei ist aller, wenn auch noch so ehrwürdiger Ernst-Busch-Staub wie weggeblasen.
Bleiben wir bei der Musik. Die ist tatsächlich manchmal ein wenig zu pompös, dann aber doch wieder leise und seinen intimen lyrics angepasst, wie in meinem Lieblingssong »Wie 'ne Alte«, ein Liebeslied. Es gibt neben lyrischen Liedern Spottsongs und Parodien, Agit-Prop und Agit-Pop, sogar Lobeslieder wie zum Beispiel »Adelante« für Oskar Lafontaine?!? Aber auch eine anrührende Hymne für den ermordeten Victor Jara. Auch sein altes »Oma Krug« fehlt nicht – die Olle, die alle ollen SPD-Fehler erträgt, aber dabeibleibt, was Diether Dehm nicht tat. Ihm sind Wechsel ja nicht fremd.
Auf der Platte tönt, wenn man so will, Lerryns gesamtes Spektrum nach 40 Jahren Bühne, Leben, Politik, viel von seinen persönlichen, politischen, charakterlichen bösen und lieben Eigenarten – mal zukunftsfroh, mal schwarz-melancholisch, mal romantisch, mal realistisch, mal gemein, mal zuneigend-liebevoll. Paradigmatisch ist das alles, meine ich, für viele, vor allem für Linke hierzulande.

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