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Kategorie: Presse 2008
weblogo.gifRaubtierkapitalismus in Europa
http://www.jungewelt.de/2008/04-04/041.php

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit seinem am Donnerstag bekanntgegebenen Urteil das Niedersächsische Landesvergabegesetz mit einem Federstrich zunichte gemacht. Dort war die Auftragsvergabe daran geknüpft, daß auftragnehmende Unternehmen übliche Tariflöhne zahlen.
Der EuGH richtet sich damit auch gegen gesetzliche Tariftreueklauseln in Berlin, Bayern, Bremen, Hamburg, Hessen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Schleswig-Holstein. Aber auch die Verknüpfung von Auftragsvergabe und Frauenförderung ist in Frage gestellt. Gerade Berlin muß jetzt schnellstens eine Bundesratsinitiative starten, damit dieses Urteil nicht zur Liquidierung der über viele Jahre erkämpften Fortschritte führt.

Der EuGH hat festgeschrieben, daß bei öffentlichen Aufträgen nicht mehr von den Unternehmen verlangt werden darf, das in den Tarifverträgen der Branche vereinbarte Arbeitsentgelt am Ort der Leistungserbringung zu zahlen. Durch die gleichzeitige Festlegung der Verpflichtung zu europaweiten Ausschreibungen öffentlicher Aufträge wird die Tarifflucht von Unternehmen gefördert. In Frage gestellt ist auch die regionale Wirtschaftsförderung – vor allem für kleine und mittlere Unternehmen.

Um Arbeitnehmerrechte zu retten, gibt es nach diesem Skandalurteil des EuGH nur eine Antwort: Der Bundestag muß die Ratifizierung des Vertrages von Lissabon sofort aussetzen. Der Vertrag mit seiner neoliberalen Ausrichtung wird die Tendenz weiter forcieren, diese Rechte mit der Keule der »Grundfreiheiten« zu zerstören.

Der Bundestag muß von der Bundesregierung mindestens fordern, in einem Zusatzprotokoll zum Lissaboner Vertrag eine solche Auslegung durch den EuGH zu verhindern und Urteile wie dieses in Zukunft zu unterbinden. Deshalb darf die Ratifizierung des Vertrages von Lissabon nur fortgesetzt werden, wenn sich die europäischen Regierungen auf ein zusätzliches Protokoll geeinigt haben. Das muß eindeutig regeln, daß die wirtschaftlichen Grundfreiheiten des EU-Rechts die mitgliedsstaatlichen Grundrechte und die Grundwerte der nationalen Verfassungen – wie das Sozialstaatsprinzip – nicht aushebeln können. Einer solchen Forderung dürften sich SPD und Grüne nicht verschließen, wenn sie ihre Glaubwürdigkeit nicht endgültig aufs Spiel setzen wollen.

Es ist unerträglich, daß über die EU und den EuGH Regelungen wie das niedersächsische Landesvergabegesetz – aber auch das VW-Gesetz – wirkungslos gemacht werden sollen. Eine solche Politik wird mittelfristig dazu führen, daß die in den letzten 150 Jahren erkämpften Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit der Keule des neoliberalen »freien Marktzugangs« zerstört werden. Es ist dem Vorsitzenden der IG BAU, Klaus Wiesehügel, nur recht zu geben, wenn er darauf hinweist, daß dieses Urteil verheerend für die Bauwirtschaft und ein weiterer Schritt hin zum Raubtierkapitalismus ist.

Diether Dehm ist europapolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag