nd-logoEine Umfrage offenbart das tiefe Misstrauen der Bundesbürger gegenüber dem EU-Vertrag
Von Fabian Lambeck
Neues Deutschland -15. Mai 2009 - Seite 7
http://www.neues-deutschland.de/artikel/148856.die-deutschen-bleiben-skeptisch.html

Während das Bundesverfassungsgericht derzeit über den umstrittenen EU-Vertrag verhandelt, zeichnet sich in der deutschen Bevölkerung eine breite Ablehnung des Vertragswerkes ab. Eine von der Linksfraktion im Bundestag in Auftrag gegebene aktuelle Umfrage belegt die Skepsis der Bürger: 70 Prozent der Befragten sprechen sich dafür aus, den Lissabon-Vertrag neu zu verhandeln.

Selbst gestandene Bundesverfassungsrichter mussten sich im Laufe der ersten Verhandlungen zur EU-Reform im Februar das undurchsichtige Vertragswerk von Fachleuten erklären lassen. Doch auch den Prozessvertretern der Bundesregierung gelang es dabei kaum, »die absurd verschachtelten Normen halbwegs parlamentsfreundlich zu interpretieren«, wie ein Redakteur des Wochenblattes »Die Zeit« beobachtete. Dabei sind einige der Passagen auch inhaltlich stark erklärungsbedürftig. Wie erklärt man dem EU-Bürger beispielsweise, dass künftig der freie Wettbewerb stets Vorrang vor sozialpolitischen Maßnahmen haben soll? Oder dass die EU-Staaten vertraglich verpflichtet werden, ihre militärischen Fähigkeiten auszubauen? Selbst EU-Befürworter geraten hier in Erklärungsnöte. Und so kann es kaum verwundern, dass die Karlsruher Richter ihre Vorbehalte gegen das Vertragswerk lauthals kund taten. Denn der Vertrag würde auch das Verfassungsgericht fast vollständig entmachten. Eine totale Zurückweisung des Lissaboner Vertrages scheint zwar unwahrscheinlich, jedoch wird bereits gemutmaßt, Karlsruhe könne ein Referendum verlangen.
Ein Albtraum für deutsche Politiker. Denn die Zustimmung in der Bevölkerung zum EU-Vertrag ist weiterhin äußerst niedrig, wie auch eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Emnid zeigt. Demnach fordern 70 Prozent der Befragten, dass der umstrittene Vertrag neu verhandelt werden sollte. Viele stört die vertraglich festgeschriebene Vorfahrt für den freien Wettbewerb. Dabei wünschen sich 74 Prozent der Bundesbürger, dass Arbeitnehmerrechte und das Sozialstaatsprinzip Vorrang haben sollten gegenüber Wettbewerbs- und Handelsfreiheiten. Für die LINKE, die auch in Karlsruhe gegen den »neoliberalen und marktradikalen« EU-Vertrag klagt, ist die Umfrage ein weiterer Beleg für die Verunsicherung in der deutschen Bevölkerung. Deshalb fordern die beiden Linkspolitiker Lothar Bisky und Diether Dehm die Bundesregierung auf, den umstrittenen Vertrag »aufzuschnüren und neu zu verhandeln«. Nur so könne man eine Mehrheit der Bevölkerung mitnehmen auf dem Weg zu einem »friedlichen, sozial gerechten, demokratischen und ökologischen Europa«. Bisky und Dehm erinnern in diesem Zusammenhang an eine Umfrage des Forsa-Instituts: Demnach fürchten 73 Prozent der Bundesbürger, »die EU nähme Deutschland zu viel Macht«.
Bislang fühlen sich die Bürger übergangen -- und vor allem schlecht informiert: So gaben 84 Prozent der von Emnid Befragten an, entweder schlecht oder sehr schlecht über die Inhalte bisheriger EU-Verträge informiert worden zu sein. So ist es nicht verwunderlich, wenn 73 Prozent der Befragten angeben, dass ihnen die im Vertrag von Lissabon festgeschriebene Pflicht zur »Verbesserung der militärischen Fähigkeiten« nicht bekannt sei. Eine Mehrheit der Befragten sprach sich stattdessen dafür aus, das umstrittene Aufrüstungsgebot durch eine »Verpflichtung zur Abrüstung« zu ersetzen.
Dabei sind die Bundesbürger nicht grundsätzlich desinteressiert an europäischen Themen. Immerhin geben 60 Prozent der Befragten an, sich für europäische Politik zu interessieren. In der Wahlbeteiligung schlägt sich das Interesse allerdings bislang nicht nieder. Bei den letzten Europawahlen im Jahre 2004 lag die Teilnahme bei nur 43 Prozent.