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Kategorie: Presse

Autoren: Benjamin von Brackel & Philip Grassmann
@uelle: www.freitag.de

Streitgespräch Warum laufen der Linkspartei die Wähler weg? Ein ostdeutscher Linker und einer aus Westdeutschland suchen nach Antworten

Der Schock nach der Wahlniederlage von Niedersachsen sitzt tief. Denn das miese Ergebnis der Linkspartei (3,1 Prozent) ist nur der jüngste Misserfolg. Derzeit ist die Partei nur noch in zwei westlichen Flächenländern im Parlament vertreten. Auch Parteichefin Katja Kipping schlug Alarm: Die Partei müsse sich neu erfinden. Die Frage ist nur: Wie?

 

Freitag: Wenn man sich die letzten Wahlergebnisse ihrer Partei ansieht: Ist die Westausdehnung gescheitert?

Diether Dehm: Sie hat einen herben Rückschlag bekommen. Solange aber die deutsche Gesellschaft so still steht, dass demonstrierende Rentner und Arbeiter im Süden Europas allein bleiben, werden Wahlen für Linke nur schwer zu gewinnen sein.

Ihnen laufen in Scharen die Wähler weg. Und der Stillstand der Gesellschaft ist schuld?

Dehm: Wenn es eine soziale Bewegung gegeben hätte, etwa gegen die Stationierung von Patriot-Raketen in der Türkei, so wie damals die Montagsdemos, wäre mehr drin gewesen. Außerdem gab es damals den früheren SPD-Chef Oskar Lafontaine, der gerade an unsere Spitze gekommen war. So etwas gibt Schwankenden ähnlichen Halt wie eine Bewegung.

Herr Liebich, im Osten kommt die Linkspartei ohne soziale Bewegung aus. Erklären Sie doch mal dem Westlinken Dehm das Geheimnis des Erfolgs.

Stefan Liebich: Im Osten sind wir eine Volkspartei, die an der Basis von den Menschen anerkannt wird und die sich mit den Brot- und Butterthemen der Bürger befasst. Und wir sind in den Kommunen stark und gut vernetzt. Im Westen ist der Weg dahin länger als gedacht. Dort sind wir immer noch zu sehr Klientelpartei. Einige Genossen im Westen bevorzugen die revolutionäre Abkürzung mit knalligen Slogans. Aber das läuft so nicht.

Herr Dehm, vom Osten lernen heißt siegen lernen?

Dehm: Im Osten ist die alte PDS in der Tradition einer Kümmererpartei. Davon kann man lernen. Außerdem müssen wir viel mehr dafür tun, dass Leute mit Vorfreude zu linken Versammlungen kommen. Und wiederkommen.

Das war in Niedersachsen nicht der Fall?

Dehm: Da lag noch gelegentlich zu viel Bitterkeit in der Luft.

Das erklärt aber nicht die vielen Misserfolge. Die Machtfrage ist nicht geklärt: Mitregieren oder Fundamentalopposition.

Dehm: Einerseits ist Lagerwahlkampf für uns tödlich. Zumal wenn SPD und Grüne ständig giften: Raus mit der Linken. Weil wir ja als Einzige gegen deren Irrwitz Bankenrettung und Fiskalpakt kämpfen. Die Linke in Niedersachsen beschloss also: Ein Wechsel wird an uns nicht scheitern. Aber blanko undpauschal stützen wir eine neue Regierung nicht. Unser Job bleibt, nicht Ministerposten zu verteilen, sondern der Würde des Menschen eine neue soziale Sicherheit zu geben.

Liebich: Aber ihr habt dann mit Sahra Wagenknecht trotzdem darum gekämpft, an die Regierung zu kommen. Gleichzeitig hat Oskar Lafontaine von der Blutspur gesprochen, die sich durch Europa zieht, weil Rot-Grün die Europapolitik der Merkel-Regierung unterstützt. Das passt doch nicht zusammen. Einerseits bringt man die Option Rot-Rot-Grün ins Spiel, andererseits haut man so auf die Pauke. Das ist nicht glaubwürdig.

Dehm: Nein, ich war mit Oskar Lafontaine auf vielen Veranstaltungen, und er hat immer gesagt: Ich möchte eine Mehrheit links der Mitte.

Liebich: Na, dann ist ja gut.

In Niedersachsen hat euch das jedenfalls keiner abgenommen. Dehm: Ohne Sahra Wagenknecht wären wir bei etwas über zwei Prozent gelandet. Sie hat uns ungeheuren Auftrieb gegeben.

Liebich: Es ist längst nicht mehr so, dass der Westen sagt: Wir wollen nicht mehr regieren. Und der Osten sagt: Wir wollen unbedingt regieren. Im Saarland hat Lafontaine einen beinharten Regierungswahlkampf geführt und wollte Ministerpräsident werden. In Nordrhein-Westfalen haben unsere Genossen eine rot-grüne Regierung toleriert.

Ja, aber unter Schmerzen.

Liebich: Vielleicht. Ich habe mich jedenfalls sehr gefreut, dass Sahra Wagenknecht in Niedersachsen für die Ablösung einer schwarz-gelben Regierung gekämpft hat. Sie hat gesagt, dass sie eine rot-rot-grüne Mehrheit sehr wohl möchte – das war ja bei ihr nicht immer so. Die klassische Aufstellung in der Partei verschiebt sich.

Ihre Diskussion zeigt vor allem eines: Ihre Partei hat diese Frage nicht entschieden.

Liebich: Sie wird auch nie entschieden sein. Schon die KPD und die USPD haben genau die Debatte geführt: Wie weit begibt man sich in die Verhältnisse hinein und verliert sein eigenes Profil. Ich finde das auch richtig.

Dehm: Ich sage das als Schatzmeister der Europäischen Linken: Alle unsere Parteien sind in Regierungsbündnissen bislang geschwächt worden. Und ich war überhaupt nicht hämisch, als sich die Linke bei der letzten Wahl in Berlin halbiert hat. Gemessene 40 Prozent auch unserer Wähler wollen, dass eine Regierungsbeteiligung nicht völlig ausgeschlossen wird. Aber gleichzeitig wollen sie, dass wir uns abgrenzen gegenüber den Parteien der Bankenmacht. Was uns fehlt, sind ausstrahlungsfähige, antikapitalistische Projekte, die an jedem Infostand mit einem Satz erklärbar sind.

So ein Projekt hatten Sie ja lange: Protest gegen die Agenda 2010. Aber nach zehn Jahren zieht das nicht mehr so recht. Herr Liebich, wo sind die frischen linken Ideen? Kapitalismuskritik kann man heute ja auch in der FAZ lesen.

Liebich: Das Gedächtnis vieler Wähler ist leider kurz. Die Probleme, die mit der Agenda 2010 erzeugt wurden, sind ja nicht gelöst. Aber klar ist auch: Wir können jetzt nicht 2005 kopieren. Die Welt hat sich weitergedreht. Unser Thema ist sind nach wie vor die der Umverteilung. Deswegen bin ich Linker. Und weil ich eine Offenheit in Deutschland will. Es nur bei uns schön haben zu wollen und sich für den Rest der Welt nicht zu interessieren, wäre nicht links.

Dehm: Die Krise frisst sich gerade von unten durch die Mitte der Gesellschaft. Die Menschen beginnen allmählich erst, ihre Auswirkungen zu spüren. Nur mit einer starken Linken wird die Spekulantenmacht beschnitten.

Ihr Fraktionsvorsitzender Gregor Gysi hat einmal beklagt, der Linkspartei fehle die Anbindung an den Zeitgeist.

Liebich: Das ist völlig richtig. Für mich bedeutet raus aus der Isolation, rein in den Alltag. Da rümpfen geschätzte Kollegen im Bundestag schon mal die Nase. Einen Supermarkt zu erhalten ist den Leuten manchmal näher als das Thema Bankenmacht.

Dehm: ... das hängt zusammen.

Ihre Partei ist zu blutleer und lebensfern?

Liebich: Jedenfalls haben wir in Sachen Zeitgeist auch im Osten ein Defizit. Das Rentenunrecht kann auf Dauer nicht das zentrale Thema für uns sein. Wir müssen rein in den Alltag aller Generationen.

Ist Die Linke auf dem Weg zu einer normalen linken Partei?

Liebich: Mir macht das Wort „normal“ keine Angst. Viele Genossen bekommen da gleich einen Nervenzusammenbruch. Man kann radikale politische Forderungen haben und gleichzeitig eine im Alltag angenommene linke Volkspartei sein. Den Spannungsbogen kriegen wir aber noch nicht hin.

Dehm: Es gibt schon Normalitätsnormen, die ich hasse. Aber: Ich muss am Alltag ansetzen, um ihn zu verändern. Besonders kulturell.

Herr Liebich, ärgert es Sie nicht, dass die Westlinke, proportional gesehen, einen übergroßen Einfluss in der Partei hat, auch angesichts der vielen Wahlniederlagen?

Liebich: Offen gesagt: Ich fand den Kompromiss damals falsch, die WASG zur Vereinigung mit der PDS zu bewegen, indem im Westen die Stimmen hochgewichtet werden. Ich habe das zähneknirschend hingenommen, weil ich die Vereinigung wollte. Damals hatte ich noch die Vorstellung, dass der pragmatische Teil der PDS und der Teil der WASG, der aus der SPD kam und auch eher als pragmatisch galt, den Kern einer neuen Linkspartei bilden. Dummerweise haben sich dann die pragmatischen Sozialdemokraten mit den Trotzkisten und Kommunisten verbündet. Aber vielleicht tut sich da ja nochmal was.

Was würden Sie Ihrer Partei empfehlen – einen Lagerwahlkampf oder eher eine Abgrenzung zur SPD?

Dehm: Die SPD-Führung konnte nur eines zuverlässig seit 100 Jahren: alles links von ihr vernichten. Wir müssen Sigmar Gabriel also schon ernst nehmen, wenn er jetzt der Linken das Lebenslicht ausblasen will. Wir brauchen neue Bündnisse mit Künstlern und Wissenschaft, damit diese Partei eine hörbare Stimme bleibt für die, die keine Stimme haben. Deshalb müssen wir auf Eigenständigkeit setzen. Und inneren Streit vermeiden.

Liebich: Ich habe mit SPD und Grünen von Anfang dieser Legislaturperiode an über neue Mehrheiten gesprochen. Aber weil Rot-Grün glaubte, es alleine zu schaffen und aufgrund unserer jahrelangen Selbstbeschäftigung, stehen wir jetzt kurz vor der Wiederwahl von Merkel. Das ärgert mich und macht mich traurig.