Diether Dehm ist europapolitischer Sprecher der Linksfraktion im Deutschen Bundestag.
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25.11.2005 - Brüsseler Spitzen - Diether Dehm

Mit der europäischen Dienstleistungsrichtlinie, nach ihrem Urheber, dem früheren Mitglied der EU-Kommission auch »Bolkestein-Hammer« genannt, sollen unter dem Banner europäischer Konkurrenzverschärfung Löhne, Sozial- und ökologische Standards weiter nach unten geplättet werden. Von der früheren rotgrünen Bundesregierung wurde dies, solange es heimlich geschah, vorbehaltlos unterstützt. Das änderte sich im Schleswig-Holstein-Wahlkampf wegen immer stärker werdender Proteste. Kanzler Schröder schwenkte um, sprach sich plötzlich heftig gegen den Richtlinienvorschlag aus.
Mit rotgrüner Mehrheit beschloss der Bundestag: »Die EU-Kommission wird aufgefordert, die EU-Dienstleistungsrichtlinie zurückzuziehen, grundlegend zu überarbeiten und einen geänderte Entwurf vorzulegen.« Natürlich stimmten da auch Gesine Lötzsch und Petra Pau zu. Am 2. September reichte dann plötzlich sogar CDU-Hardliner Koch für Hessen einen Antrag ein, in dem überraschend harte Bundesratsbedenken zusammengefasst wurden, um Geltungsbereiche herauszunehmen: soziale und Gesundheitsdienste, Pflege, audiovisuelle Dienstleistungen und das gesamte Bauwesen. Besonders das berüchtigte Herkunftslandprinzip wurde kritisiert, wonach hier zu Lande für Dienstleistungen – samt ihrer Reklamationen! – ausländisches Recht gelten würde. Ein skurriles Rechtssplitting! Abschließend wurden Bundesregierung und EU-Parlamentarier aufgefordert, sich für die »geäußerten Positionen einzusetzen«. Der Antrag zielte auf die für Ende Januar 2006 zu erwartende Entscheidung des Europäischen Parlaments.
Im Vertrag der Großen Koalition gab’s dann dazu, außer pro Meisterbrief, nichts Präzises mehr. Die Wahl war gelaufen, das Verfahren schwenkte wieder gänzlich hinter die Kulissen, ins ferne Brüssel. Am Dienstag tagte dort der federführende EP-Binnenmarktausschuss und stellte sich, so die FAZ, hinter einen Vorschlag von Liberalen und Konservativen, »der sich gegen die starke Einschränkung der von der EU-Kommission vorgeschlagenen Liberalisierung wendet«. Die Kompromissvorschläge von Rotgrünen um die SPD-Abgeordnete Evelyne Gebhardt wurden, obwohl nun deckungsgleich mit CDU-Bedenken, niedergestimmt. Die Unionsabgeordneten kümmerten sich nicht mehr um CDU-geführte Landesregierungen und stimmten geschlossen für die Bolkestein-Linie. Sogar einige SP-Vertreter votierten mit Schwarzgelb, Gebhardt enthielt sich.
Das französisch-niederländische »Nein!« gegen den EU-Verfassungsvertrag und das gegen den »Bolkestein-Hammer« werden nun eins. Vor der Entscheidung des Europaparlaments muss es nun auch bei uns eine breite Mobilisierung geben. Die Linksfraktion im Bundestag wird mit Anträgen und Anfragen die Dienstleitungsrichtlinie offensiv angehen. Und außerhalb müssen wir breite Bündnisse schmieden, gemeinsam mit Gewerkschaften, bis hin zu mittelgroßen Unternehmen. Künstler, Wissenschaftler, Handwerker u.a. informieren, dass hinter dem harmlosen Wort »Dienstleistungsrichtlinie« Arbeitsplatz- und Mittelstandsvernichtung steckt. Und darüber aufklären, wie die Herrschenden, ja Vertreter derselben Parteien, sich bei uns sozial aufspielen, um dann aus der Stille des Brüsseler Raums den Angriff auf erkämpfte soziale und andere Standards zu verschärfen. Solange hierzulande Schweigen herrscht! Aber Brüssel kommt ja zu allen nach Hause.