»Kultur-ZK«

In: Neues Deutschland, printausgabe

"Wir sind die bekannteste boygroup mindestens seit Take That, wenn nicht gar seit Beatles-Zeiten«, so die Einschätzung von Josef Philip Winkler. Entertainer Winkler (Bündnis 90/DIE GRÜNEN) hat sich mit darbietungsfreudigen MdB-Kollegen zur überfraktionellen Kulturinitiative zusammengeschlossen: dem Rezitator Dr. Peter Gauweiler (CSU), dem Barden Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) sowie dem Festredner Rüdiger Veit (SPD) und Mitinitiator Jürgen Koppelin (FDP).
In den Räumen der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft begrüßte Winkler am vergangenen Dienstag „Exzellenzen, Eminenzen und Magnifizenzen zum „ZK der Kulturschaffenden für den Deutschen Bundestag im Reichstagsgebäude“ als Probanden in einer Art Feldversuch“; darunter weitere Parlamentarier und als Gäste Künstler, Wissenschaftler sowie andere Interessierte oder durch Amt Involvierte. Es war falsch am Platze der Republik, wer sich politische Agitation und Propaganda erwartete. »Kommunikation unter uns soll über Kunsterlebnisse bereichert werden«, hieß es in der Einladung der Fünf, die sich auch sonst aus der Ödnis des parlamentarischen Alltags herausheben. Beginn einer Gegenöffentlichkeit im Parlament?

Rüdiger Veit brachte für die Vor-adventszeit Gedanken und Ratschläge von Robert Gernhardt über den Kirchbesuch von hauptsächlich Seltengängern mit Regeln für gefälliges Benehmen sowie Bet-und Gesangsverhalten im Schiffsinnern zum erbaulichen Vortrag. Winkler hatte sich bei Joachim Ringelnatz über das bayerische Parlament beraten und so die bei dessen Mitgliedern schon seit längerem währende mentale und on-tologische Eigenart »enthüllt», ohne sich in Einschätzung der jüngeren Lackleder-Gabi oder des mittelalterlichen, jetzt Brüsseler Bürokratienegators Edmund ergehen zu müssen.

Diether Dehm befasste sich mit wirtschaftspolitischen Fragen, also den logistischen Problemen der Äppelwoi-Gastwirtschaft, indem er (für uns, die wir nur den Bembel kennen) die Morphologie des »Grippten« als Haushalts- und Wirtshaushaltsgerät analysierte: Das Saufbehältnis, an dem der Hesse seine Lippe riskiert, ist glasstrukturfacettiert, um selbst bei illuminierenden Lichtverhältnissen Verunreinigungen zu kaschieren, die bei globalisierungsbedingtem Großrechenernteeinsatz in Gestalt der Einbringung des einen oder anderen Mäusekadavers selbst in Kochschen Brutal-aufklärungsgefilden nicht verhindert werden können; nach welcher Erläuterung, ein Lied des Blauen-Bock-Wirts Heinz Schenk zum besten gebend, im hessischen Dialekt köstlich darzubieten (und mitzusingen) der philosophische Rote-Bock-Dehm anhob.

Sich einer gewissen Ungerechtigkeit bewusst, kommt der nüchterne (weil äppelwoi-lose) Berichterstatter nicht umhin, dem Auftritt der geballten bayerischen Fraktion das höchste Lob des Abends zu zollen. In seiner Introduktion gab Peter Gauweiler zu, nie für möglich gehalten zu haben, den süddeutschen Beitrag jemals im Angesicht der Stuhlnachbarinnenschaft von MdB Ulla Jelpke und MdB Erika Steinbach zelebrieren zu dürfen. Seine Rezitation von Ludwig Thomas »Die heilige Nacht«, in szenischer Lesung von den Riederinger Sängern durch Satzg´sang und Zitherg´schwang unterstützt, nahm nach Dauer und künstlerischem Gewicht den ersten unter allen vorderen Rängen ein. An die mit voller Berechtigung als solche erkannte rote Mehrheit im Auditorium gerichtet, äußerte Gauweiler die Vermutung, die wenigsten wüssten wohl, wo Riedering liege. Den Hort dieser Kunst kennt man erst, wenn man im Stau auf der Autobahn München-Salzburg steht und am dortigen Rasthof verbotenerweise den Highway verlässt. Im Wechsel mit den Riederingerschen Zithereinlagen zu Gesang brachte Peter Gauweiler im Thomaischen Idiom dessen Weihnachtsgeschichte als Hohelied auf Frauen und Christlichkeit dar, und die erste Tagung des Kultur-ZK endet so doch noch mit eindeutiger , Beschlusslage.