Von Diether Dehm - 24.03.2007
http://www.jungewelt.de/2007/03-24/078.php

* Der Autor ist europapolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke. im Bundestag

Noch im Mai des Jahres 2005 hatten alle vier damals im Bundestag vertretenen Fraktionen in ganz großer Koalition dem EU-Verfassungsvertrag zugestimmt. Der neoliberale Einheitsbrei im Bundestag fand mit dem Einzug der Linken. sein Ende. Und mit dem im Januar 2007 von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine vorgelegten Memorandum »Für eine demokratische, freiheitliche, soziale und Frieden sichernde Europäische Union« hat Die Linke. die politische Grundlage für eine Auseinandersetzung um ein anderes Europa und einen entsprechend neuen Verfassungstext geschaffen.
Die Bundestagsdebatte am Donnerstag hat einen Strategiewechsel der Bundesregierung deutlich gemacht: Von einer »Verfassung für Europa« ist nicht mehr die Rede. Die Geister, die das große Wort »Verfassung« rief, sollen offensichtlich wieder eingeschläfert werden. Eher kleinmütig und in vagen Formulierungen wurde im Geheimen an einer »Berliner Erklärung« gebastelt, die letztlich nur das Tarnnetz, sein soll, unter dem die wahren europapolitischen Absichten der Bundesregierung versteckt werden sollen. In Wirklichkeit geht es ihr darum, ohne jegliche weitere Volksabstimmungen in EU-Mitgliedsstaaten (auch keine in Frankreich und den Niederlanden!) die neoliberale, militaristische und undemokratische Substanz des gescheiterten Verfassungsvertrags durchzudrücken. Einen »kalten Putsch der neoliberalen Eliten und ihrer Akzeptanzmanager«, nannten wir dies: Reinhard May, Konstantin Wecker, Daniela Dahn, Peter Sodann, Oskar Lafontaine, Gregor Gysi, Katja Ebstein, Henning Venske u.a..
Eine ähnliche Variante, die in SPD, den Grünen (und leider nicht nur dort) kursiert, ist, nur den ersten und den zweiten Teil unter neuem Namen zu präsentieren und durch die Mitgliedsstaaten zu pauken. Die Linke, auch Die Linke. muß wissen, was an Neoliberalismus schon im ersten Teil des gescheiterten Verfassungstexts steht: die sogenannten Grundfreiheiten, die Beschwörung eines Markts »mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb« und die Preisstabilität als »vorrangiges Ziel« der Währungspolitik! Und die weitere Militarisierung wird nicht nur durch das Aufrüstungsgebot, sondern auch durch die Festlegung auf weltweite Militärinterventionen, die Einrichtung der Verteidigungs(Rüstungs)agentur und durch ein militärisch besonderes hochgerüstetes Kerneuropa in Form einer »Strukturierten Zusammenarbeit« schon im ersten Teil des Vertrags festgeschrieben. Außerdem: in den Nationalstaat demokratisch hineingekämpfte Standards dürfen nicht weggegeben werden – und schon gar nicht an einen EU-Superstaat mit gravierenden Demokratiedefiziten. Ohne Wenn und Aber: Wer ein anderes Europa will, muß weiter klar und unmißverständlich Nein sagen zu dem gescheiterten Verfassungsvertrag in seiner Gänze, in seiner Substanz und in seinen Einzelteilen.