Leserbrief - 08.04.2007

Zu: „.Europa leben lassen' - Über Macht und Ohnmacht, Äpfel und Birnen" vom 18.03.2007, WamS

Herzog und Gerken hatten die Vermischung von Legislative und Exekutive durch die zentrale Präjudizfunktion des Ministerrats in Bezug auf das Europäische Parlament beklagt und festgehalten, von der Bundesrepublik Deutschland sei nicht mehr als von einer „parlamentarischen Demokratie zu sprechen". Wenn der Bundestagspräsident dem früheren Bundespräsidenten nun vorhält, es gebe diese Mischformen ja auch, etwa auf der Länderebene, in der Bundesrepublik, so ist das ausweichend.
Die klare Gewaltenteilung ist das vornehmste Indiz eines demokratischen Rechtsstaats. Sie verletzt zu haben, ist in industrialisierten kapitalistischen wie sozialistischen Staatskonstrukten mehr als ein schwerwiegender Webfehler gewesen. Es ist den Klägern, sollten sie gegen soziales Unrecht oder auf Einhaltung der Subsidiarität klagen, doch egal, ob das urteilende Gericht von einem Parteisekretär oder einem Kapitalvertreter manipuliert wird. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) ist in diesem Sinne nicht auf Rechtsstaatlichkeit und schon gar nicht auf Sozialstaatlichkeit vereidigt, sondern einzig und allein auf die neoliberale Auslöschung der Sozialstaatlichkeit in Europa. Den Sozialstaat hatte Roman Herzog in keiner Weise im Blick, aber das Strukturdefizit des EuGH findet bei ihm dennoch intelligente Resonanz, die Lammert hingegen ausblendet. Wer die Exekutive zu kontrollieren hat, wie das Parlament, kann nicht zugleich von Ministem als deren Repräsentanten den eigenen Kontrollradius minimalisiert bekommen. Die EU und der gescheiterte Verfassungstext haben und behalten diesen Webfehler.
Was beide Autoren hingegen rigoros ausblenden, ist die gescheiterte Elementarsubstanz des verworfenen Verfassungstexts: ihre Asozialität. Die innere Idee des modernen, europäischen Staatsweseng ist der Sozialstaat, Ohne ihn wird eine EU nicht lebendig. Die enge Bindung von „sozialer Sif ''ic-Aeit und freier Persönlichkeit" (Ahlener prt •«gni.rnm der CDU, Godesberger Programm der SPD, Grundgesetz), die sich im Dreierschritt findet: 1. Garantie des Eigentums, 2. Bindung des Eigentums zugleich an das Wohl der Allgemeinheit, 3. bei Missbrauch des Eigentums: Enteignung (Artikel 14 und 15 GG), findet ihr Erbe im Bundestag gegenwärtig (noch) nur in der Linksfraktion. Ich bin mir sicher, dass auf dem Wege zu einer neuen EU-Verfassungswirklichkeit diese Dokumente auch bei Lammert und Herzog wieder aktuelles Nachdenken auslösen werden.

Dr. Diether Dehm, MdB, Europapolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke