Der politische Musiker und musikalische Politiker

Thomas Behlert - Diether Dehm im Gespräch - 01.06.2007
http://www.dkp-online.de/uz/3922/s1302.htm

Wer die bekannten Lieder von Klaus Lage kennt, kennt nur selten deren Texter. Das ist Diether Dehm, der Politiker, Musiker, Konzerveranstalter und Schriftsteller. Dehm war bis 1998 33 Jahre in der SPD, trat dann aus, wurde Mitglied der PDS-Linkspartei, für die er seit 2005 im Bundestag sitzt. Neben der politischen Arbeit schrieb er Musicals, politische Bücher, Romane, Liedtexte, arbeitete für diverse satirische Sendungen und singt bei vielen Veranstaltungen zur Gitarre.
Frage: Vor Jahren schrieben Sie Texte für verschiedene Musikkünstler: Udo Lindenberg, Gisela May, vor allem aber für Klaus Lage, Joe Cocker und Bots. Wie kam es überhaupt zu dieser Tätigkeit? Ist Schreiben schon immer ihre Bestimmung gewesen?
Diether Dehm: Mit 14 oder 15 Jahren war ich bei der Sozialistischen Jugend "Die Falken" tätig und versuchte schon in dieser Zeit meine Gedanken auch in Liedern auszudrücken. Schnell merkte ich dabei, dass Ideen und Gedanken mit Musik ganz eigene geistige Prozesse auslösen, auf mit dem Wort oder dem Bild nicht vergleichbare Weise wirken und Menschen ganz anders berührt werden. Durch die Musik entstehen erlebbare Bilder, die Menschen ansprechen und die Anteilnahme am Inhalt erhöhen.
Mit Bots fing es ganz interessant an. Im Jahre 1979 wollte in Frankfurt am Main die NPD einen Bundesparteitag abhalten. Da hatte ich die Idee, nicht einfach nur eine Gegendemonstration zu starten, sondern ein großes Rockkonzert abzuhalten, das ich dann "Rock gegen Rechts" nannte. Dazu lud ich die holländische Band "Bots" ein, für die ich u. a. die deutschen Lieder "Aufstehn" und "Sieben Tage" schrieb.
Frage: Klaus Lage hat die bekanntesten Lieder ("Faust auf Faust", 1000 Mal berührt") von Ihnen interpretiert, Bots ab 1979 ebenfalls. Mittlerweile ist diese Band von der musikalischen Landkarte verschwunden, nur noch das Lied "Was wollen wir trinken sieben Tage lang" ist auf einigen Stimmungssamplern zu finden, sogar auf einem "Bild"-Mix. Was ist mit Bots geschehen? Deprimiert es, dass der einstmals politische Song nun neben DJ Ötzi und anderen angeblichen Stimmungskanonen läuft?
Diether Dehm: Die Band hat sich in den 1980er Jahren aufgelöst, der Pianist nahm sich wegen einer Liebesaffäre das Leben. Dass diese Band aufhörte Musik zu machen, tat mir sehr leid, denn sie präsentierte eine großartige Mischung aus Folk und Rock. Wo die Lieder nun auftauchen, ist egal, denn sie verlieren ihre Herrschaft, wenn sie unter Zwang kommen. In Sachen Musik sollte keiner umerzogen werden. Man kann ja nicht plötzlich festlegen: Ihr dürft das Lied hören und ihr keinen Alkohol dabei trinken.
Frage: Sie selbst veröffentlichten gerade zwei Alben. Das eine ist Bertolt Brecht gewidmet. Können Sie etwas davon erzählen? Wie wurde ausgewählt?
Diether Dehm: Die Politiker, die ich für das Projekt "Brecht auf der Tagesordnung" gewinnen konnte, sind alle gegen Neonazis, wie z. B. Norbert Blüm, Peter Gauweiler, Gregor Gysi, Oskar Lafontaine, Hermann Scheer oder auch Bundestagspräsident Norbert Lammert. Es sollte natürlich keine einseitige Sache von der Linkspartei oder von Politikern im allgemeinen werden, so wurden auch Künstler wie Gina Pietsch, Konstantin Wecker und Peter Sodann dazu geholt. Das Album soll dazu beitragen, dass in Deutschland keine McCarthy-Ära beginnt und die Texte von Bertolt Brecht lebendig bleiben.
Frage: Ihr eigenes Album "Adelante con Rosa Brecht y Che" ist sehr politisch. Sie singen Brecht, erinnern an Victor Jara und bringen auch das italienische Lied "Bella Ciao", das auch Ihrem neuen Buch den Titel gibt. Haben Sie sich mit dem Album einen Wunsch erfüllt?
Diether Dehm: Ja. Ich wollte zum Beispiel mein Lied "Oma Krug" endlich mit einer guten Rockband als Begleitung aufführen. Als es nämlich bei der großen deutschen Plattenfirma EMI Electrola erschien, hatten die Produzenten zu viele Violinen dazugepackt. Jetzt klingt es nach Dire Straits, was ich wollte, und nicht nach Udo Jürgens. Ich hoffe, es ist mir gelungen. Neben den bekannten Songs hört man neue Lieder, die gar nicht vordergründig politisch sind, wie das erste Lied des Albums "In die Flamme".
Frage: Ihr aufrüttelndes "Monopoly" erklingt nun ebenfalls mit Ihrer Stimme. Ist es für Sie das beste Diether-Dehm-Lied? Kann es einen Vergleich mit Klaus Lages Interpretation standhalten?
Diether Dehm: Hier auf dem Album ist es ganz anders aufgenommen. Klaus Lage ist nun mal der wahre Interpret des Liedes. Ich will mich da in gar keine Konkurrenz stellen, aber ich sang es während meiner Live-Auftritte schon immer gern, weil es auch gern gehört wird, und wollte es nun als typisches Dehm-Lied präsentieren.
Frage: Im Gegensatz zu vielen anderen Politikern sind Sie ein sehr kulturinteressierter Mensch.
Diether Dehm: Ich weiß nicht, wie viele Politiker kulturinteressiert sind. Aber meine Berufung ist es zu schreiben. Ich kann die Parteipolitik nicht ertragen, ohne einmal im Jahr umfänglich geschrieben zu haben. Das ist für mich eine Art Ausgleichsport.
Frage: Schon im Prolog zu "Bella Ciao" ist geklärt, dass das Buch eine wahre Geschichte ist. Warum haben Sie damit so lange gewartet? Erinnerungen verblassen doch mit der Zeit.
Diether Dehm: Im Laufe der Zeit beschrieb ich ganz viele Notizzettel und nahm viele hundert Stunden Video und Ton auf, Gespräche mit alten Partisanen. Trotzdem konnte ich mich nie durchringen, das alles zu einer Geschichte zu verbinden. Im Sommer 2004 wagte ich es endlich, alle Erinnerungsschnipsel zu einem Mosaik zusammenzufügen. In dem Buch geht es um zwei Männer, die dieselbe Frau liebten und sich nun als Todfeinde gegenüber stehen. Der Bankierssohn Renzo findet zu den Partisanen und sein Gegenspieler Attila wird zum fanatischen Mussolini-Anhänger.
Frage: Sind Sie ein ruheloser Mensch? Oder mögen Sie auch mal entspannende Stunden bzw. Tage?
Diether Dehm: Ja, ich bin ein ruheloser Mensch, aber ich genieße es auch, ab und zu wirklich entspannende Tage zu haben.
Frage: Gibt es Bücher, Filme oder Tonträger, die Sie, hätten Sie die Macht, zensieren würden?
Diether Dehm: Ja sicherlich, so dummes Geschrei von den Nazis, das würde ich gern in den Müll hauen. Ich bin aber kein Mensch, der verbieten will. Meine Verbotsliste wäre ganz klein und kaum der Rede wert. Wegen mir kann Dieter Bohlen singen und auch alle Boy-Groups können weiterhin auftreten. So lange es Leute hören wollen, wird so etwas veröffentlicht werden.
Frage: Was darf man als Nächstes von Ihnen erwarten?
Diether Dehm: Gerade entsteht ein Musical über Pete Seeger und sein Leben, das "Sag mir wo die Blumen sind" heißt. Im Mittelpunkt stehen seine Erfahrungen in der McCarthy-Ära, die Verbote und Anfeindungen, denen der Liedermacher in dieser für die USA verhängnisvollen Zeit ausgesetzt war.
Dann arbeite ich an einem Roman, der die Zeit beschreibt, als ich noch in der SPD war. Hier werden viele meiner politischen Erfahrungen verarbeitet.
Frage: Schaffen Sie es noch, neben ihrer politischen Tätigkeit mit der Gitarre aufzutreten?
Diether Dehm: Ja. Ich war gerade bei den Ostermärschen dabei, begleite auch meine politischen Veranstaltungen mit eigenen und fremden Liedern und plane weitere Konzerte. Mit meinem neuen Buch "Bella Ciao" werde ich außerdem auf Lesereise gehen. Sie haben das schon richtig gesehen: Bewegung ist mehr in meinem Leben als Ruhe.