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Clara, Ausgabe 6
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Diether Dehm: »Bella ciao«

von: Norbert Blüm

Diether Dehms Roman »Bella ciao« kann man als Berichterstattung über die Wirren eines Partisanenkrieges oder als zeitgeschichtliche Einführung in die Ideologie und Beweggründe norditalienischer Faschisten und Sozialisten lesen. Auch wer »runter an den Lago« fährt, kann das Buch als einen versteckten Reiseführer benutzen. Jede dieser Perspektiven vermittelt einen Wissensgewinn.
Ich lese den Roman als eine große Geschichte von der Liebe in grausamen Zeiten. Der Liebesschmerz entstammt dem Dilemma zwischen Liebe zum Nächsten, dem geliebten Kind, oder der Sorge für Menschen, deren Schutz man übernommen hat, entscheiden zu müssen.
Renzo und Guiseppe stellen sich nicht dem Kampf mit dem Faschisten Attila und seiner Horde, weil sie dadurch das Versteck verraten würden, in dem es »noch mehr Frauen und Kinder« gibt, und so stirbt als Geisel das Kind Carlo Antonio. Attila ertränkt es. Es ist das leibliche Kind von Renzo und das angenommene von Guiseppe.

Es ist die Wahl, zwischen Nächstenliebe und Solidarität mit Gefährten entscheiden zu müssen: eine Wahl ohne Alternative. Wie immer in der großen Literatur ist diese ethische Entscheidung nicht in einem Diskurs dargestellt, sondern in einer verwickelten Handlung.
Alle große Literatur kreist um die existenzielle Frage: »Was ist der Mensch?« Renzo beantwortet sie auf seine Weise: »Ein Mensch besteht doch zu aller erst aus Haut, Knochen und Muskeln und dann erst aus seinen schönen Gedanken.« Renzo, der Krüppel mit dem Buckel, widerlegt leibhaftig seine Ideologie, denn er wird trotz schlechter Haut, Knochen und Muskeln »zuerst« seiner schönen Seele wegen geliebt.

Der tragische Kern des Romans wird auf den ersten Blick nicht sichtbar, weil dieser Kern in einer Symbiose von Zeitgeschichte, Ideologie und Kriegsberichterstattung kunstvoll versteckt ist.