Die Verbaljauche, die FDP-Chef Guido Westerwelle nach der Hartz-IV-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die angeblich "spätrömische Dekadenz" der Beziehenden von Sozialleistungen kübelt, ist mehr als nur eine Stammtischparole aus der Business-Lounge. Sein eigentliches Angriffsziel bleibt der Sozialstaat. Kalkuliert hantiert er mit dem "Wörterbuch des Unmenschen", um sich als Propagandaminister der vorgeblichen "Leistungsträger der deutschen Wirtschaft" zu profilieren.


Als Unternehmervertreter verwahre ich mich gegen solcherlei Alleinvertretungsanspruch: Die überwiegende Zahl der klein- und mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmer (KMU) handelt nämlich in sozialer Verantwortung und folgt nicht den von Westerwelle gestanzten parasitären Leitmustern.

Die soziale Wohlfahrt von Sozialleistungsempfangenden, von Menschen, die auf Existenzminimum leben, ist einerseits moralische Visitenkarte einer jeden Gesellschaft. Westerwelles Beleidigung von rund 7 Millionen Hartz-IV-Leistungsbeziehenden in Deutschland - darunter 1,4 MillionenVollerwerbstätige - ist so die offene Aufkündigung gesellschaftlicher Solidarität. Wie man sich mit 359 Euro einen dekadenten Lebenswandel finanzieren kann, bleibt sein Geheimnis. Westerwelles Delegitimierungs- und Zerstörungswut gegen den - ohnehin sklerotischen - Sozialstaat steht im völligen Widerspruch zu unserer Verfassung.

Wie eine Gesellschaft mit wirtschaftlich Schwachen umgeht, ist aber auch eine Anzeige dafür, welche Konsequenzen aus der Weltwirtschafts- und Finanzkrise gezogen wurden. Die Bundesregierung, vernarrt in jahrzehntelange Exportweltmeisterei, ignoriert dabei weiterhin die Frage, wer die Exporte bei weltweit sinkender Nachfrage überhaupt noch kaufen soll und kann. Sie trägt Verantwortung dafür, dass sich die Binnennachfrage in Deutschland nicht im globalwirtschaftlich verträglichen Verhältnis zum Export entwickelt hat. Gerade Schichten wie die von Westerwelle Verleumdeten, die eben nicht wie das FDP-Klientel in Finanzprodukte und Steueroasen anlegen, sondern ihre Euros in Läden und Handwerk tragen, müssen jetzt umso mehr wirtschaftlich und moralisch gestärkt werden.

Doch Westerwelle und sein Brüderle verschärfen sogar noch den Kurs, der mit der Krise gescheitert ist: durch die Pressung von Lohn- und Staatsquote. Mediale Begleitmusik soll die Diffamierung sozialer Gruppen liefern. Für die meisten Volkswirtschaften, auch die deutsche, hat sich diese Klientelpolitik zugunsten von Finanzakteuren und Konzernen als zerstörerisch herausgestellt. Mit den Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen, die über 90 Prozent der deutschen Unternehmen vertreten und über zwei Drittel der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigen, hat das nichts gemeinsam. Besonders Kleinunternehmen sind auf die Binnennachfrage angewiesen und benötigen Schutz vor der Knebelung durch Banken und vor dem Dumpingdruck der Konzerne.

Seine antisoziale Volksverhetzung ist europaweit längst kein Einzelfall mehr: Westerwelle scheint sich zunehmend an Aznar, Berlusconi nebst "Führer" Gianfranco Fini zu orientieren, die bewiesen haben, wie Marktliberalismus und postfaschistisches Gedankengut zu einem demagogisch neuen Giftmix für das aggressivste Banken- und Konzernkapital zusammenfließen können.

Von Diether Dehm, mittelstands- und europapolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag