Notizen von Diether Dehm
http://www.jungewelt.de/2010/10-30/031.php
Es ist wie im Boxkampf: Nachdem die »Tea Party« und rechte Republikaner die ersten beiden medialen Runden gewonnen hatten, rappelt sich die Linke in der Ring­ecke allmählich wieder auf und landet erste Gegentreffer. Aber gegen die sich neu findende Bürgerrechtsbewegung inszenieren die Ultrareaktionäre ihren »Protest von unten gegen Obama« und setzen Staatsfürsten andere Zeichen gegen Aufklärung und Humanismus: eine Schwerstbehinderte wurde im September gegen alle humanistischen Proteste hingerichtet und ein Mann in letzter Sekunde aus seinem Freitodversuch »errettet«, um ihm dann sofort die Giftspritze zu geben. Durch diese Nachrichten, noch im Flugzeug und in Gedanken bei den letzten zwei Stunden eines zum Tode Verurteilten und so natürlich bei Mumia Abu-Jamal, schrieb ich ein Gedicht:


»Der Todeskandidat: Die Nacht verteilt ihr Schnarchen auf den Gängen/lang noch nicht klirrt der pralle Schlüsselbund/erst wacht die Amsel auf – von ih’n Gesängen/sind es dann noch zwei Stund’, zwei ganze Stund’!
Gleich brummt das Flugzeug, auch kein Ton von Trauer/im Pfiff, den fern die Lok hinzugesellt, dann krallen Krähen kreischend nach der Mauer, /wenn sich im Stacheldraht das Morgenrot erhellt.
Das einzige war: – es war sein Messer/das andere war: die Frau war weiß und rund/er sitzt und schreibt und weiß jetzt soviel besser/und schreibt doch nur vom Amselsingen die zwei Stund´.
29.9.10 dd«

Als ich jetzt, Ende September, in New York war, bereiteten sich gerade all die vielfarbigen linken Grüppchen, demokratische Sozialisten (die, wenn auch winzig, heute noch – wegen ihrer differenten KP- und sozialdemokratischen Herkunft –getrennt operieren), gewerkschaftsnahe Teile der Demokraten, Bürgerrechtsbewegung, Vertreterinnen und Vertreter gleichgeschlechtlicher Beziehungen, Ökologen und Friedensorganisationen auf den »One Nation March« am 2. Oktober in Washington DC vor. Sie sprechen von einer nationalen und sozialen Spaltung der USA durch Wallstreet und »Tea Party«. Dagegen mobilisierten vor allen Dingen die starken Gewerkschaften um den AFL/CIO. Deren Dachverbandspräsident Richard Trumka machte im Gespräch mit mir (im ND vom 2. Oktober) zweifelsfrei, daß es gerade die Gewerkschaften waren, die auf die zahlreichen bunten Organisationen zugegangen seien, um den 2. Oktober mit annähernd hunderttausend Menschen in Washington zu diesem großen Erfolg zu machen. Und was mir auch auffiel im Land, in dem »Liberals« fast ein Schimpfwort ist: welch ungeheure Hoffnung deren Multiplikatoren auf die geeinte und vernetzte deutsche Linke haben. Und wie gerne US-Linke die Tradition eines freundlichen, weil starken europäischen Welfarestate in ihrer Bevölkerung verankert hätten, anstelle des traditionell verwurzelten subversiven und staatsfeindlichen Grundtons, der seit der US-Gründung von scheinbar unten gegen da oben die »linken Eggheads in Washington« immer dann aufzuheizen ist, wenn, wie neuerdings gelegentlich, aus dem (erstaunlich kleingebauten) Weißen Haus wirklich einmal ein Wort für Abrüstung oder für soziale Gerechtigkeit verkündet werden sollte.

AFL/CIO-Präsident Richard Trumka ließ es an deutlichen Worten nicht fehlen, wie wir sie bislang nicht mal ähnlich aus hochgestellten Funktionen im DGB gehört haben: »Bei uns im Land herrscht Klassenkrieg!« In dieser gesellschaftlichen Situa­tion führte ich das Gespräch mit dem 92jährigen Weltliedermacher Pete Seeger (»We Shall Overcome«, »If I had a Hammer«; »Sag mir, wo die Blumen sind«; »Turn Turn Turn!« usw.). In den 50er Jahren war er von Senator McCarthy und dessen Blacklistern, den Zensoren und Berufsverbietern, verfolgt und an Fernseh- und Live-Auftritten gehindert worden. Späte Genugtuung? Bei der »Inthronisation« von Barack Obama stand er neben diesem und Bruce Springsteen, um gemeinsam das berühmte Lied zu singen: »This Land Is Your Land, This Land Is My Land«. Diesen Song hatte sein 1967 verstorbener linker Freund Woody Guthrie geschrieben, der nicht nur einer der größten Balladenerzähler der USA war, sondern – was weniger bekannt ist – einer der bedeutendsten modernen Maler und Zeichner. (Übrigens: 2012 würde Woody Guthrie hundert Jahre alt….. Da wäre etwas vorzubereiten!)

Gemeinsam mit Nora Guthrie und ihrem Mann, dem WDR-Journalisten Michael Kleff (»Liederbestenliste«), fuhr ich am 25. September zu Pete Seeger nach Beacon im Staate New York. Innerhalb der letzten fünf Jahre war es dasich-weiß-nicht-wievielte Aug-in-Aug- und Telefongespräch mit ihm, dem Bruce Springsteen kürzlich seine ganze CD »Seeger-Tribute« widmete. Er hat die meisten seiner Tantiemen für den Umweltkampf gespendet und lebt mit seiner Frau Toshi seit den 50ern bescheidenst in einem selbsterbauten Holzhaus im Wald oberhalb des Hudson-River. Immer wieder gerieten wir in den letzten 25 Jahren ins Philosophisch-Grundsätzliche, wovon Pete nach 91 Lebensjahren und ewigen Jahrzehnten Kampf gegen Krieg und Ausbeutung Reichhaltiges mitzuteilen hat. Diesmal aber gab es gleich zwei konkrete Anlässe für unser Gespräch. Einmal den Song »Das weiche Wasser bricht den Stein«. Und dann ein Musiktheaterstück, das Manfred Maurenbrecher und ich (für die Opernbühne Chemnitz ab 2012) gerade über das Schaffen von Pete Seeger unter der antikommunistischen Hexenjagd 1949 bis zum Tod von McCarthy 1954 schreiben. Mittlerweile haben Maurenbrecher und ich auch einige Lieder von Pete ins Deutsche übertragen. Und Pete hat jetzt mein »Weiches Wasser« in eine US-Fassung gebracht (siehe links). Aber all diese Werkgespräche wären nicht mit Pete Seeger, wenn sie nicht immer auch Gespräche über die Gewerkschafts- und Friedensbewegung wären.

 

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Englische Version von "Das weiche Wasser", geschrieben Ende der siebziger Jahre von Diether Dehm / Lerryn für die Friedensbewegung. Erschienen auf dem Tonträger "Entrüstung" von "BOTS" -  Textlich überarbeitet und in Zusammenarbeit mit Pete Seeger, Herbst 2010.