ImageDer Sänger Pete Seeger über McCarthy, schwarze Listen und die Jagd nach Idealen

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Pete Seeger, der legendäre Singersongwriter von Welthits wie „We shall overcome“, „Sag mir wo die Blumen sind“, „If I had a hammer“ „Turn turn turn“, „Good Night Irene“ lebt heute noch in den gleichen bescheidenen Verhältnissen wie 1950 in Beacon im Bundeststaat New York. Dort besuchten im den heute 86jährigen Sozialisten die deutschen Liedermacher Diether Dehm und Manfred Maurenbrecher, die an neuen Liedern mit ihm und an einem Musical über ihn arbeiten. Dabei entstand Ende Mai 2005 das nachfolgende Gespräch.


Frage:
Dein damaliger Manager soll Anfang der Fünfziger verhindert haben, dass du und die „Weavers“ dein „If I had a hammer“ gespielt haben - um MacCartheys antikommunistische „Blacklisters“ nicht weiter zu provozieren. .

Seeger: Stimmt. Wir hatten zwar mit „Irene“ einen Nr.1 Hit, hatten aber allmählich einen vollständigen Radio- und Auftritts-Boykott. Natürlich war es trotzdem falsch, nachzugeben. Aber die übrigen „Weavers“ wollten die wenigen Jobs nicht auch noch verlieren. Deswegen schloss ich mich ihrer Entscheidung an.

Frage: Wann fingen die Schwarzen Listen an?
Seeger: Nun ja, auf eine Weise hat es Schwarze Listen immer gegeben. Woody Guthrie und ich kamen als „lefties“ in kein Radio, damals, Woody sang nur noch in Kalifornien einem sehr kleinen, unabhängigen Senders, der ihn fast alles singen ließ. Das einzige Mal, wo wir breit im Radio waren, war nach Pearl Harbor. Das war eine landesweite Ausstrahlung und wir hatten einen Song „Round and round Hitler’s grave, he won’t get up no more“. Aber prompt stand in der nächsten Woche auf der Titelseite einer großen New Yorker Zeitung „kommunistische Folk-Sänger versuchen, das Radio zu unterwandern“. Und das war der letzte Job, den wir bekamen. Ich hatte mein ganzes Leben lang mit Schwarzen Listen zu tun. Auch als der Gehimdienst subtiler auf Radio und TV einwirkte. Sicher: besonders brutal war die Einschüchterungs-Zeit der Fünfziger. Als Künstler genau wie Arbeiter Angst hatten, ihren Beruf zu verlieren und sie nicht wussten, wie sie ihre Familien ernähren würden… Ich bin da etwas dran vorbei gekommen, indem ich in Schulen und Kinder-Sommerlagern sang, und schließlich in Hochschulen. Aber die antikommunistischen Vereine tönten laut „Geht nicht los, um Seeger zu hören.“ Manchmal aber war alles was sie damit erreichten nur kostenlose Reklame.

Frage: Meinst du, dass es heute immer noch Schwarze Listen gibt?

Seeger: O, ich bin sicher dass die Leute, die das Fernsehen kontrollieren, sehr genau wissen, was sie tun. Ich habe keine Stimme mehr, ich versuche nicht zu singen. Aber sie spielen nicht die Platten von Leuten, wenn diese zum Beispiel für Frieden sind. Es gibt Millionen Amerikaner, die nicht froh darüber sind, dass wir im Irak sind. Aber hörst du davon im Radio, hörst du davon im Fernsehen? Nein, natürlich nicht. Weil das Radio und das Fernsehen auf eine Weise kontrolliert sind von denen, die ich „höhere Mächte“ nenne.

Frage: Darüber zerbrachen die „Weavers“, trotz ihrer Hits und großen Erfolge….
Seeger: … und dann kam ein neuer Manager, Harold Leventhal, zu den Weavers nachdem wir seit drei Jahren nicht mehr zusammen gesungen hatten. Eine Zeit während der Fred zurück zur Hochschule gegangen war, Ron Gilber ein Baby bekommen hatte, Lee Hays Kurzgeschichten schrieb. Und er sagte: „Wäret ihr bereit, eine Wiedervereinigung zu machen?“ Und wir sagten: „Sicherlich, wenn du denkst, dass du einen Saal finden kannst, der an uns vermietet.“ Nun, ein Saal, die Town Hall, mit zwölfhundert Sitzen, sagte: „Nein, wir können es nicht riskieren, die Weavers bei uns zu haben. Ihr könnt unseren Saal nicht mieten.“ Aber dann ging er zu Carnegie-Hall, und die sagten dort: „Wenn du das Geld hast, werden wir es an dich vermieten.“ Und Harold Leventhal wusste nicht, ob dort einhundert Leute sein würden oder zweihundert…. Stattdessen war es ausverkauft. Fast dreitausend. Und wir fingen wieder an zu singen. Allmählich wurde mir meine Familie aber dann doch wichtiger als die Band und 1957 schlug ich vor, dass Eric Darling den Platz übernehmen sollte. Er war ein alter Freund und ein wundervoller Musiker. Und er konnte einige Stücke viel besser spielen als ich.  Und so sangen die Weavers weiter bis neunzehnhundertzweiundsechzig, glaube ich.

Frage: War Deine Welthits, etwa gesungen von Joan Baez, den Byrds, Peter, Paul and Mary und Trini Lopez nicht doch so etwas wie eine kommerzielle Waffe gegen die Blacklisters?
Seeger: Ich denke um 1958 kamen Songs von uns wieder in Mode. Peter Paul and Mary verbesserten „If I had a Hammer“; mit Trini Lopez wurde es dann ein Welthit.. Es gab auch ganz neuartige Aufnahmen von „Where Have all the Flowers gone“. Das Kingston-Trio sang das auch, und Marlene Dietrich übernahm es von denen. Max Colpet machte eine deutschsprachige Version, die sich besser singen lässt als meine englische. Es klingt im deutschen wirklich noch beeindruckender: „Sag mir wo die Blumen sind.“

Frage: Du hast auch viel musikalischen Widerstand organisiert. Glaubst du, dass Organisieren nicht auch etwas ist, was dem organischen Feingefühl und der ästhetischen Kreativität eines Künstlers schaden kann?
Seeger: Nun, Schreiber organisieren Worte. Maler organisieren Farbe. Tänzer organisieren ihre Füße und Beine, schätze ich mal, und viele andere Sachen. Und Musiker versuchen, Instrumente und Stimmen und Noten zu organisieren. Aber ich denke, jeder von uns sollte mehr als das sein. Zum einen sollten wir, falls wir Familien haben, helfen die Familie zu organisieren. Und wenn wir irgendwo Mitglieder sind, haben wir eine Verantwortung. Und das will organisiert sein. Ich denke, dass wenn es hier in hundert Jahren eine Welt gibt – niemand weiß, ob – dann nur, weil bis dahin Abermillionen Menschen, begriffen haben, wie man selbst ein Organisator des gemeinschaftlichen Organismus ist. Dann werden die Menschen nach ihren Bedürfnissen Arbeit haben, wie Karl Marx das vorausahnte – und sowas will besonders gut organisiert sein, und dann orgnanisieren die Leute sich mit der Rücksicht auf die Natur.

Frage: Wurdest Du nicht oft in Richtung fauler Kompromisse und Anpassung an Macht gedrängt, vielleicht sogar auch verlockt, mit den großen Hunden zu pinkeln?

Seeger: O, ich mache Kompromisse jedes Mal, wenn ich meinen Mund öffne. Ich mache Kompromisse, wenn ich versuche zu entscheiden was ich genau sagen will. Ich mag es nicht, Leute zu beleidigen, ich möchte nicht Leute wütend machen. Und wenn ich vor stets unterschiedlichem Publikum bin, möchte ich auch verschiedene Arten von Stücken singen. Meine Schwester Peggy sagt es so: es gibt einen Unterschied zwischen Kompromissen und Ausverkauf. Wenn du die Hoffnung für die Menschheit aufgegeben hast, so lange du nur Dein Geld verdienst.

Frage: Was sind Fehler in Deinem Leben gewesen?
Seeger: Einige meiner Fehler waren rein musikalisch. Und dann: zu viel zu reisen und von meiner Frau zu erwarten, dass sie drei Kinder großzieht ohne viel Beistand von mir. Sie lebte alleine bei einem Berg, und konnte einfach nur hoffen, dass, wenn die Hunde anfingen zu bellen, es nicht irgendein Kerl dort draußen war. Sie ist eine sehr tapfere Frau. Sie macht normalerweise Witze darüber. Sie sagt: „Wenn Peter bloß Frauen hinterher jagen würde, hätte ich eine Chance, ihn zu verlasse. Aber er jagt Idealen hinterher, und so bleibe ich bei ihm.“ Es gibt einen Cartoon über mich: eine Frau ist am Telefon, und sie hat einen großen Haufen Wäsche vor sich, und einen Besen, und ein dreijähriges Kind, das an ihrem Rock zieht, und sie sagt in das Telefon: „Nein, er ist nicht da, er ist weit weg, um die Menschheit zu retten.“

Frage: Du überarbeitest gerade Deine Biographie. Was hebst Du als gesellschaftlich besonders relevant hervor?
Seeger: Ich will Dir eine Geschichte erzählen. Stell dir eine Wippe vor. Und eine Seite der Wippe ist auf dem Boden, weil dort ein Korb, halbvoll mit Steinen, ist. Das andere Ende der Wippe ist hoch in der Luft. Dort ist ein Korb, ein Viertel voll mit Sand. Und einige von uns haben Teelöffel, und sie versuchen, mehr Sand in den Korb zu bringen. Die meisten lachen uns aus. „Ah,“ sagen sie, „Leute wie ihr haben es Jahrhunderte lang versucht. Aber es leckt aus dem Korb gerade so schnell wie ihr es hineintut.“ Nun, wir sagen: „Ihr mögt recht haben, aber wir denken ihr liegt falsch, weil wir ständig mehr Leute mit Teelöffeln bekommen. Und wir glauben, dass eines Tages der Korb so voller Sand sein wird, dass ihr die ganze Wippe in die andere Richtung gehen sehen werdet.“ Schwupp! Und Leute auf der ganzen Welt sagen: „Wie ist das so plötzlich passiert?“  Wir und all unsere kleinen Teelöffel über die Jahrhunderte hinweg werden vielleicht übersehn? Wer weiß, wer weiß. Jedenfalls glaube ich, dass du mit einem Teelöffel helfen kannst, egal wo du bist.

Frage: Nun gibt es doch eine ganz neue Generation von Singer-Songwritern in Deiner Tradition?

Seeger: Ja sicher, seit den frühen Sechzigern. Leute wie Bob Dylan und Phil Ochs, Tom Paxton, Joany Mitchell. Und zuerst duzende, und dann hunderte, und jetzt tausende. Ich sage immer, dass die Spitze einer Pyramide so hoch ist wie das Fundament breit ist. Wenn du also viele Leute hast, die Stücke schreiben, wird es einige gute Stücke geben. Zugegebenermaßen, vielleicht sind neunundneunzig von hundert Stücken es nicht wert, ein zweites Mal gesungen zu werden. Ich sage immer über meine eigene Arbeit, dass ich zwanzig Ideen für jedes Stück, das ich fertig stelle, kriege. Und ich erhalte zwanzig fertige Stücke für jedes Stück, das Wert ist, mehr als einmal gesungen zu werden. Aber über eine lange Lebenszeit hinweg und mit hunderten, sogar tausenden von Ideen, habe ich Glück gehabt, einige wenige duzend Stücke zu haben, von denen ich glaube, dass sie vielleicht von Leuten gesungen werden, nachdem ich tot bin. Nun, lass mich Euch danken, Diether und Manfred, dass ihr den ganzen Weg über den Ozean zu mir gekommen seid. Und ich glaube ihr könnt sehen, warum das eine sehr schwierige Zeit für mich ist. Mein Telefon klingelt alle fünf Minuten, die Post kommt, täglich in großen Bündeln. Und ich kriege zu viele Anrufe und es kommt doch immer so wenig dabei heraus.