Gespräch mit Pete Seeger. Über Schwarze Listen für Künstler in den USA der 50er Jahre, das Aufrappeln der US-Linken gegen die »Tea Party« und Obamas Politik

Pete Seeger (geb. am 3. Mai 1919) ist der bekannteste Folk-Musiker der USA. 1955 verweigerte er vor dem »Komitee für unamerikanische Betätigung« die Aussage und wurde 17 Jahre lang von den kommerziellen US-Medien boykottiert. Zu seinen berühmtesten Liedern gehören »Where Have All The Flowers Gone« (1955), deutsch: »Sag mir, wo die Blumen sind«, »Turn! Turn! Turn! (To Everything There Is a Season)« von 1950.


Wie hast du es geschafft unter diesem enormen antikommunistischen Druck Anfang der 50er Jahre als Künstler zu überleben?
Prinzipiell und über die lange Sicht von Jahren, das wiederhole ich dir noch mal, weil es vielleicht nicht so leicht nachzuvollziehen ist: Je mehr sie auf mich draufgehauen haben, je mehr Publikum ist gekommen. Und ich hatte Glück und war auch weniger anfechtbar, weil ich nie dem großen Geld hinterhergelaufen bin. Mein Vater war Musikprofessor; ich komme aus einer künstlerischen Familie, so daß mein Hauptfokus stets auf Konzerten in Schulen, Hochschulen und Fortbildungseinrichtungen lag. Mit Hitparaden und Rundfunkboykott konnten sie mich also nie so völlig bedrohen oder locken. Ich hatte ja immer viele Auftritte vor Lernenden, vor kleineren Gewerkschaften, und die konnten sie mir nicht nehmen. Meine Frau Toshi war diejenige, die damals das Geld für die Familie verdient hat, und sie mußte durchaus die Pennies zählen. Dann hatte ich auch das Glück, mit Leuten wie Lee Hayes zusammenzuarbeiten. Das war »ein Genie vom Lande«, so wie Woody Guthrie.

Als wir uns dann zu »The Weavers« zusammentaten, geschah etwas, was sowohl die McCarthy-Zensur als auch uns selbst voll überraschte. Unser Song »Good Night Irene« wurde zum meistgespielten Hit nach Kriegsende. Die Blacklisters fragten sich: Wie konnten uns diese Kommunisten durch die Finger schlüpfen? Und dann haben sie von hinten auf uns gedroschen. Danach waren wir quasi für zwei Jahre gesperrt. Wir hatten da zum Beispiel schriftliche Vertragsangebote von TV-Sendern, die dann unter »heimlichem Druck« nicht gegengezeichnet wurden. In die meisten großen Konzertsäle kamen wir nicht rein. Die großen Gewerkschaften, die das Geld hatten und entsprechend angepaßt waren, luden uns wieder aus, und andere taten es ihnen nach. Die »Weavers« legten eine ziemlich lange Zwangspause ein. Als wir dann wieder zusammen auftreten wollten, gab es immer noch keine Halle, wo wir das durften. Es blieb uns nichts anderes übrig, als die Carnegie Hall mit fast 3000 Plätzen zu mieten – ganz auf eigenes Risiko. Und dann geschah das Wunder: Die Carnegie Hall war ausverkauft. Leute kamen hinein, fanden zwar keinen Sitzplatz, aber sie haben sich für uns so gefreut, weil es voll war, daß sie gerne auch stehen blieben. Und damit konnten wir wieder loslegen. Aber ich hatte bald danach keine große Lust mehr auf ähnliche kommerzielle Abhängigkeiten, bin ausgestiegen und habe für Ersatz bei den »Weavers« gesorgt. Ich habe mich dann 1957 wieder verstärkt den Workshops und den Auftritten in Colleges und bei Auszubildenden zugewendet. Das war zwar kein Riesenpublikum, aber in der Summe waren es doch ganz viele Menschen, und sogar solche, die später wichtige Rollen in der Gewerkschaftsbewegung, beim Vorbereiten großer Festivals oder auch in Hollywood, beim Radio oder auf dem Broadway finden konnten. Ich hatte also das große Glück, ein Multiplikator für andere Multiplikatoren zu sein. Deswegen: Wäre ich Ende der 50er Jahre bereits gestorben, ich hätte das Wichtigste in meinem ganzen Leben getan gehabt.

Das fortschrittliche Amerika scheint sich nun neu aufzurappeln gegen Sarah Palin und die Tea Party, die wieder mal von rechts versuchen, Mittelschichten plus Langzeitarbeitslose gegen Obama und gegen dessen Wiedereinführung der von Bush gekappten höheren Steuern zu vereinnahmen. Ich habe vorgestern sogar in Washington Obama-Plakate mit Hitlerbart gesehen. Wenn du jetzt linken Aktivisten begegnest, was würdest du, mit deiner ganzen Kampferfahrung, raten?
Zunächst: Das US-Wahlrecht ist sehr undemokratisch, jetzt auch bei den Kongreßwahlen; z. B. läßt das deutsche Wahlrecht auch kleinere Parteien gelten. Und: Die US-Gewerkschaften waren noch nie richtig vereint wie in Deutschland, und die Linke ist seit den Fünfzigern auch nicht mehr vernetzt. Da gibt es zwar viele Initiativen und Graswurzelbewegungen – okay, small is beautiful – aber als echte Alternative sind sie überregional kaum sichtbar.

Wir müssen aber vor allem erkennen, daß die große Kunst in der Fähigkeit besteht, gute Kompromisse zu fordern und dann zu machen. Nicht faule Kompromisse, sondern solche, die wirklich Kräfteverhältnisse festschreiben und dann allmählich verbessern helfen. Die ganze Welt ist voller Kompromisse. Selbst Revolutionen münden in Kompromissen. Es kommt darauf an, gute von schlechten zu unterscheiden. Ich erinnere mich an einen Gewerkschaftsführer, Harry Brigges. Der wußte von Genossen, wann besonders viele Containerschiffe in den Hafen einfuhren mit Bananen, die dann verladen werden mußten Und er wußte, wie er bei den Bossen damit Kompromisse erzielen konnte. Gegen das »to hire and to fire«. Er ging lange vor Ankunft der großen Schiffe zu den Bossen im Hafen und sagte: Das einzige, was ich echt von euch will, ist, daß ihr, wenn ihr jetzt viele Leute einstellt, ihnen gute Abfindungen und Pensionen bezahlt, solltet ihr sie mal später wieder rausschmeißen. Sonst bekommt ihr die Leute nicht, das sage ich euch. Darauf gingen die Bosse meistens ein, weil sie zu allererst den Riesenarbeitsberg sahen, so daß das für viele Kolleginnen und Kollegen ihre erste soziale Sicherung wurde. Mein Schwager hat so seine erste Rente erhalten.

Menschen und Bewegungen, die gegen oben aufbegehren, brauchen viel mehr Kraft zum Kompromiß! Viele bei uns sind zu unversöhnlich. Ich habe darüber einen, vielleicht meinen besten Song geschrieben, über Dr. Martin Luther King. Eines Tages sah King zwei tief verfeindete Leute in seiner Gemeinde. Er lud die Streithähne abends in die Kirche ein und sagte zu dem einen: Stell dem anderen Fragen, die Dich an ihm interessieren. Und nach einer halbe Stunde sagte er zu dem anderen: Nun stelle du deinem Gegenspieler die Fragen. Und er sorgte dafür, daß sie aneinander Interesse bekamen und so ihren Streit überwanden. Die, die etwas gemeinsam erreichen wollen, weil sie die Menschheit und die Welt zu lieben vorgeben, müssen zunächst Wege finden, ihren eigenen Streit beizulegen, sonst traut ihnen keiner irgendeine Gestaltungskraft zu.

King hat zuallererst mit einem Busboykott um die Rechte der Schwarzen gegen die Rassendiskriminierung im öffentlichen Nahverkehr gekämpft. Viele junge Schwarze sagten: Wir müssen Gewalt einsetzen, sind wir etwa feige, Dr. King? Aber King antwortete: Der größte Mut in dieser Situation besteht im Verzicht auf Gewalt. Und: Der Busboykott war erfolgreich. Daraus entwickelten sich weitere Kämpfe gegen die anderen Bereiche der Rassentrennung.

King wußte, daß sie ihn früher oder später ermorden. FBI-Chef J. Edgar Hoover sagte, King sei der gefährlichste Mensch in den USA. Hoover wurde zunächst nicht erlaubt, ihn umbringen zu lassen. Als Martin Luther King dann aber im Jahr 1967 forderte, die USA müßten aus Vietnam abziehen, geriet Präsident Lyndon B. Johnson außer sich. Er rief dann wohl Hoover an und sagte: »Nach allem, was ich für diesen Mann getan habe, tut er mir jetzt sowas an; Sie können jetzt mit ihm machen, was Sie wollen!« Jetzt gibt es ein Buch, das ich dir dringend empfehlen möchte: »John F. Kennedy und das Undenkbare«. Der Geheimdienst wußte, wenn John F. Kennedy wiedergewählt wird, geht er raus aus Vietnam. Wir müssen ihn stoppen – jetzt oder nie!

Meinst du, daß sich Obama besinnt und endlich die brutale Politik gegenüber Kuba verändert? Wir hatten ja im März einen diesbezüglichen Brief geschrieben, den du ihm geschickt hast. Hast du mittlerweile eine Antwort bekommen?
Bisher noch nicht. Sicher, ich kann die vielen Enttäuschungen seit Barack Obamas Wahl verstehen. Aber ich erzähle dann immer von Abraham Lincoln. Damals gab es unten in Missouri einen kleinen Zeitungsverleger von den »Abolitionists«, die für die Abschaffung der Sklaverei kämpften. Die Anhänger der Sklavenhalter brannten seinen Verlag nieder. Er baute das Druckhaus wieder auf, wachte dort Tag und Nacht. Und er sagte: »Das nächste Mal macht ihr das nur über meine Leiche.« Da haben sie ihn erschossen. Sein Bruder, Owen Lovejoy, wurde in den Kongreß gewählt und er schrieb Abraham Lincoln: »Alles nur, weil Sie die Emanzipationserklärung noch nicht unterschrieben haben. Wann endlich unterschreiben Sie nach allem, was geschehen ist?« Und Lincoln antwortete ihm: »Ich konnte sie bislang noch nicht unterschreiben, aber machen Sie weiter Druck, damit ich die gesellschaftliche Kraft dafür bekomme.« Das ist vielleicht auch die stumme Botschaft von Barack Obama an uns, kurz vor dieser Manifestation am 2.Oktober in Washington: »Ich kann noch nicht alles tun, was Ihr von mir erwartet, aber macht weiter Druck.« Denn wir sind die Mehrheit im Land, aber ohne weiter Druck zu machen, kommen wir keinen Schritt mehr voran. Auch, damit wir endlich rauskommen aus Afghanistan.

Dabei bin ich überhaupt nicht autoritätsgläubig, oh nein. Man muß sich auch mit der Macht anlegen. Als Harry Belafonte vor drei Jahren seinen 80. Geburtstag feierte, kam Präsident Clinton herein. Er strahlte wieder in die Kameras, wie ein Kind zu Weihnachten, bleckte Zähne, umarmte Leute, Bussi hier, Bussi da. Dann kam er zu mir an den Tisch, und ich sagte ihm: »Herr Präsident, hätten Sie damals die engagierte schwarze Bürgerrechtskämpferin Lani Guinier in die Civil Right Commission berufen, ich hätte alles für Sie getan und gegeben. Hätten Sie bloß ihre Nominierung nicht wieder fallen lassen! Warum haben Sie dem Druck nicht standgehalten?« Einen Moment starrte er mich an, das Lächeln glitt ihm aus dem Gesicht. Er brummte etwas wie: »Ich konnte nicht, Ted Kennedy war dagegen«, oder so. Dann versuchte er, schnell von meinem Tisch loszukommen. Sofort anschließend wurden die Kameraleute bedrängt, dieses Gespräch und das, was dieser Seeger da gesagt hatte, schnell zu löschen. Das ist jetzt vielleicht das erste Mal, daß ich von dieser Begebenheit öffentlich erzähle. Aber so war es.

Im Jahre 2012 wird in Chemnitz das Musical über Deine 50er Jahre auf die Bühne kommen. Was wünscht du, was der Darsteller des Pete Seeger dann beim letzten Vorhang unseres Musicals zum Publikum sagen soll?
Die Menschheit hat eine 50-zu-50-Chance, zu überleben. Krieg muß bekämpft werden. Aber auch, indem wir selbst bei uns die Fähigkeit stärken, miteinander zu reden, auch wenn wir uns nicht mögen. So wie es uns Martin Luther King gelehrt hat, wie es Nelson Mandela vorgemacht hat, wie es viele Projekte zeigen zwischen Palästinensern und Israelis. Irgendwann müssen die Nur-noch-vom-Haß-Erfüllten hinter uns zurückgelassen werden und die Menschen die Kraft organisieren zu Liebe und Versöhnung. In diesem Sinne waren meine Lieder für die Gewerkschaften immer auch für den Frieden. Den Frieden unter den Völkern und den Frieden unter Menschen mit ihresgleichen.