Pierre Laurent, Vorsitzender der Französischen Kommunistischen Partei und Vorsitzender der Partei der Europäischen Linken hielt die folgende Rede am 09. Januar  2011 in Berlin bei der Veranstaltung "Rage against the capitalist machine" Wir dokumentieren diesen Beitrag ungekürzt.

Im Download-Bereich unserer Seite befindet sich außerdem eine Pressenachlese zu der Veranstaltung als *.pdf.

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,

ich bin sehr froh und stolz, heute bei Euch zu sein, und danke der Führung und den Mitgliedern der LINKEN herzlich für die Einladung, hier zu sprechen.

Ja, liebe Freundinnen und Freunde, ich bin stolz, dass dies hier eine meiner ersten öffentlichen Initiativen als Vorsitzender der Partei der Europäischen Linken ist. Und ich bin sehr froh, bei Euch zu sein, denn zu diesem Zeitpunkt, wo die Menschen in Europa und in der Welt eine so dramatische wirtschaftliche und soziale Krise durchleben, ist das jährliche Gedenken an Karl und Rosa von großer Bedeutung: es ist Ausdruck einer merklich wachsenden kollektiven Erkenntnis, dass der Kapitalismus, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, schon viel zu lange gedauert hat!

Es gibt wohl kaum eine bessere Hommage an Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und die Spartakisten, die 1919 für ihren Kampf um Frieden und soziale Gerechtigkeit feige ermordet wurden, als ein solches Gedenken durch Menschen, die sich mit der existierenden Ordnung nicht abfinden.

Dies ruft mir, dem französischen Kommunisten, die gemeinsamen Wurzeln unseres Kampfes ins Gedächtnis: die Pariser Kommune, den Kampf von Jean Jaurès und die Kämpfe, die zur Gründung meiner Partei im Jahre 1920 geführt haben, in der Zeit des Schreckens imperialistischer Kriege und des Gemetzels von 1914-1918.

Ein unschätzbarer Augenblick, in dem Brüderlichkeit, Solidarität oder Gerechtigkeit nicht nur einfach Worte sind; Ihr alle hier und heute, ebenso wie die Menschen in Griechenland und Irland, die aufstehen und ihren Zorn zum Ausdruck bringen, erfüllt diesen Augenblick mit Sinn und mit Leben.

Ja, wir befinden uns in einer Zeit, in der die Menschheit am Scheideweg steht.

Zwanzig Jahre, nachdem die globalen kapitalistischen Kräfte vom Fall der Berliner Mauer profitiert haben, um den Sieg des Kapitalismus und das Ende der Geschichte auszurufen, leidet die Menschheit zutiefst.

Die globale Krise des kapitalistischen Systems, hervorgerufen und betrieben von skrupellosen und amoralischen Financiers, setzt Millionen Arbeiter, Angestellte und Jugendliche auf die Straße; Millionen Jugendliche, die schlechter als die Generation ihrer Eltern oder gar ihrer Großeltern leben müssen, auch wenn sie alles dafür getan haben, ihre Ausbildung erfolgreich abzuschließen.

Diese kapitalistische Allmacht organisiert die Ausbeutung der Ressourcen ganzer Völker, besonders in Afrika. Sie veruntreut die von den Arbeitern produzierten Reichtümer zugunsten weniger Privilegierter in unseren Ländern. Sie ruft Nahrungsmittelkrisen hervor. Sie stürzt ganze Bevölkerungen in Hungersnöte und bedroht den Frieden überall in der Welt.

Das Jahr 2010 endete mit einem traurigen Rekord: eine Milliarde Menschen hat nicht einmal einen Euro am Tag zum Leben. Und dennoch wird die Arbeitskraft dieser Frauen, Männer und - in immer noch zu vielen Ländern – Kinder skrupellos ausgebeutet, während gleichzeitig die Profite der multinationalen Unternehmen explodieren.

5000 Milliarden Dollar öffentlicher Gelder wurden seit 2009 in die Banken und das Finanzwesen gepumpt, um das System zu erhalten. Das ist der Preis, den die Menschheit zahlen soll für das, was zu einer heiligen Kuh geworden ist: den Profit aus spekulativen Finanzgeschäften.

Für viele Menschen, egal wo sie leben, und die nun einmal ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um ihr Dasein und das ihrer Angehörigen zu fristen, wird das Leben immer schwieriger, sogar unerträglicher im selben Maße, in der die Zukunft unserer Kinder gefährdet ist. Wir leben in einem Jahrhundert, in dem die Kapitalisten, um sich an der Macht zu halten, Hass, Feindschaft und Krieg entfachen.

Seien es wirtschaftliche, militärische oder soziale Kriege – diese Kriege töten und zerstören zuallererst das, was unsere Menschlichkeit ausmacht. Sie sollen aus jedem Menschen eine Ware machen, ein Tier in einer Horde, wo das Gesetz der Ungleichheit herrscht und man den anderen frisst, um nicht selbst gefressen zu werden.

Welch ein Rückschritt! Wie soll unsere Jugend unter diesen Umständen von einer Zukunft zu träumen wagen? Denn dieses System wird von unseren Herrschenden geschützt, die in ihrer großen Mehrheit gemeinsame Sache mit den Finanzmärkten machen und eine ultraliberale Politik im Sinne des Finanzkapitalismus betreiben.

Es ist trotzdem nicht in Stein gemeißelt, dass dies noch länger so weitergehen muss. Rosa Luxemburg hatte betont, dass keine unserer Verfassungen festschreibt, dass die Herrschaft einer Klasse über die andere unüberbrückbar ist. Und es ist lebenswichtig, sie zu überbrücken. Denn der Weg, auf den man uns zurückführen möchte, ist die autoritäre Herrschaft einer Minderheit von Mächtigen, ein nachhaltiger Rückfall in ein feudales System.

Es gibt Völker, die schon jetzt diese bittere und leidvolle Erfahrung durchleben. Und erlaubt mir, an dieser Stelle die palästinensische Bevölkerung zu nennen, deren Existenz als souveränes und freies Volk konstant negiert und mit Füßen getreten wird.

Gemeinsam mit Euch möchte ich meine Anerkennung zum Ausdruck bringen gegenüber jenen Jugendlichen in Gaza und ihren israelischen Freunden – oft selbst Soldaten der Okkupationsarmee – die für einen gerechten und dauerhaften Frieden in Palästina kämpfen und uns Ende Dezember erneut alarmiert haben: „Wir haben dieses Scheißleben satt, in das uns Israel einsperrt, in dem die Hamas uns tyrannisiert und die internationale Gemeinschaft uns komplett ignoriert! (…) Wir haben drei Forderungen: wir wollen frei sein, wir wollen normal leben können und wir wollen Frieden.“ Ich sende allen Jugendlichen in Palästina unsere Grüße und unsere Solidarität!

Demilitarisierung, Kooperation und Solidarität der Völker und soziale Gerechtigkeit standen im Zentrum des Kampfes der Spartakisten, und wir alle tragen einen Teil dieses Vermächtnisses. Aber nicht aus historischem Pflichtbewusstsein führen wir diesen emanzipatorischen Kampf heute fort, sondern weil unsere Pflicht zur Menschlichkeit heute bedeutet, mit Che Guevara gesprochen, sich gegen jede noch so kleine Ungerechtigkeit zur Wehr zu setzen.

Die gegenwärtige Krise ist nicht nur finanzieller oder wirtschaftlicher Natur. Sie ist eine soziale, eine ökologische, eine politische und eine Krise der Demokratie. Die menschliche Entwicklung selbst ist in Gefahr, und der Kapitalismus ist unfähig, etwas anderes zu tun als Ausbeutung, Herrschaft und Entfremdung jeder Art aufrecht zu erhalten. Er ist dazu unfähig, weil dies seine Antriebskraft und sein Zweck sind.

In Europa, und insbesondere in der Europäischen Union, stehen alle Bevölkerungen im Visier. Unerhörte und untragbare Opfer werden den Griechen, den Spaniern, den Briten und den Iren abverlangt. Selbstmörderische Sparpläne werden in Frankreich und Italien durchgedrückt. Und die Einrichtung des „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ bis weit über 2013 hinaus, die die Volkswirtschaften der EU-Länder unter die Vormundschaft von EZB und Europäischer Kommission stellen soll, ist ein weiterer Schritt in die Krise.

Dass Angela Merkel und ihre Regierung Europa weiterhin der deutschen Wirtschaftsmacht unterwerfen wollen, ist eine Strategie, die auch der deutschen Bevölkerung schadet und die Europäische Union vor strategische Herausforderungen stellt. Entweder die EU löst sich auf, oder sie gestaltet sich um. Und für uns, die Partei der Europäischen Linken, besteht weder in der Konkurrenz der Bevölkerungen untereinander, noch im Ausschluss der Länder mit den größten Schwierigkeiten ein Ausweg aus der Krise.

Der Euro in seiner jetzigen Form war immer als verlängerter Arm der Finanzmärkte angelegt. Für die Neoliberalen ging es nie darum, aus der gemeinsamen Währung ein Instrument der Währungskooperation zu machen. Das ist auch nicht das, was Kanzlerin Merkel, Nicolas Sarkozy, Kommissionspräsident Barroso und EZB-Chef Trichet korrigieren wollen. Indem sie das wahre Ausmaß der europäischen Krise und die Notwendigkeit einer Komplettüberarbeitung der Verträge verschleiern, versuchen sie, in autoritärer Weise Regeln einzuführen, die uns noch tiefer in die extreme Abhängigkeit vom Finanzkapital führen sollen.

Im Interesse der EU-Bevölkerungen liegt stattdessen die Umgestaltung dieser Union, eine tiefgreifende fortschrittliche Erneuerung mit dem Ziel und dem Grundprinzip der gerechten Verteilung der Reichtümer, der menschlichen und ökologischen Entwicklung und der Befriedigung sozialer Bedürfnisse!

Um das zu erreichen, müssen die Völker Europas gemeinsam handeln.

In jedem unserer Länder kämpfen wir. Wir haben auch erste Erfahrungen mit europaweiten Streiks und Mobilisierungen gemacht. Weiter so in dieser Richtung! Führen wir unsere Kämpfe zusammen, um sie wirkungsvoller zu machen!

Wenn wir den aktuellen Regierungen in der EU weiterhin das Heft des Handelns überlassen, sind sie in der Lage, die Idee der europäischen Einigung selbst zu töten, Nationalismen und Fremdenfeindlichkeit die Tür zu öffnen, unsere Länder aggressivsten reaktionären Kräften und extremen Rechten zu überlassen.

Eine der antidemokratischsten und antisozialsten Regierungen Ungarns hat gerade den Vorsitz der Europäischen Union übernommen, ohne dass irgendein EU-Kommissar, geschweige denn Präsident Barroso ein Problem darin sieht!
Führen wir also unsere Kämpfe zusammen, entwickeln wir auf europäischer Ebene gemeinsam den Widerstand und alternative Antworten, und fordern wir eine Europäische Union im Dienste der Bevölkerungen ein.

Die Partei der Europäischen Linken wird die Initiative für eine Kampagne zur Errichtung eines Europäischen Fonds für soziale und ökologische Entwicklung ergreifen.

Es ist höchste Zeit, sich für einen anderen Weg zu entscheiden: Finanztransaktionen zu besteuern, um die Entwicklung und den Ausbau der öffentlichen Daseinsvorsorge zu finanzieren, anstatt sie den Spekulanten zum Fraß vorzuwerfen.

Es ist höchste Zeit, die Rolle und Funktionsweise der EZB radikal zu verändern: Sie sollte ihren Beitrag zu sozialer Entwicklung leisten und nicht der unnachgiebige Chef unserer Banken und Volkswirtschaften sein!

Unsere Bevölkerungen werden die Kraft haben, ihre Forderungen durchzusetzen. Die Bürgerinnen und Bürger werden sich über Hindernisse aller Art hinwegsetzen können und von ihren Rechten Gebrauch machen. Die Partei der Europäischen Linken wird zu jenen gehören, die keine Kompromisse mit Autoritarismus und Sektierertum machen. Welche Ideale auch immer uns zum Widerstand bewegen: wir werden Pluralismus, demokratische Meinungsäußerung und Gewaltfreiheit wie unseren Augapfel hüten.

Wir stehen in der Tradition Rosa Luxemburgs und ihres Beitrags zur Arbeiter- und Emanzipationsbewegung, und wir werden alle Versuche vereiteln, die demokratischen Grundlagen unserer Gesellschaften in Frage zu stellen.

Ich zitiere: „Ist die Demokratie für die Bourgeoisie teils überflüssig, teils hinderlich geworden, so ist sie für die Arbeiterklasse dafür notwendig und unentbehrlich. Weil sie erstens politische Formen (Selbstverwaltung, Wahlrecht u.dgl.) schafft, die als Ansätze und Stützpunkte für das Proletariat bei seiner Umgestaltung der bürgerlichen Gesellschaft dienen werden. Zweitens weil nur in ihr, im Kampfe um die Demokratie, in der Ausübung ihrer Rechte das Proletariat zum Bewusstsein seiner Klasseninteressen und seiner geschichtlichen Aufgaben kommen kann."

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen,

mögen sich die Völker überall auf der Welt solidarisieren, vereinen und gemeinsam kämpfen. Viele von ihnen haben bereits damit begonnen trotz erlittener Niederlagen, trotz Verzweiflung und Resignation, in die man sie treiben will. So kann eine ganz andere Geschichte geschrieben werden als jene, die die Wegbereiter des Kapitals uns aufzwingen wollen.

Seid gewiss: Die Europäische Linkspartei wird sich diesem Ziel mit ganzer Kraft widmen, damit die Menschheit von morgen versöhnt und in Einklang leben kann.