Dr. Diether Dehm, Europapolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion DIE LINKE, zur Forderung des Kommissionspräsidenten José Manuel Barroso nach stärkerer europapolitischer Beteiligung der Parlamente.

Die jüngste Aufforderung der EU-Kommission an die nationalen Parlamente, sich stärker an europäischen Debatten zu beteiligen und sich v.a. stärker in die Diskussionen über verbesserte wirtschaftspolitische Koordinierung, das "Europäische Semester", die Europa 2020-Strategie und zu Maßnahmen zur Überwindung der Euro-Krise einzumischen, ist nur recht und billig.


Sie ist - einerseits - "recht", bzw. richtig, da die Parlamente (und die Bevölkerungen) Europas im Zuge der anhaltenden Wirtschafts- und Finanzkrise derzeit mit tiefgreifenden Reformvorschlägen von Seiten der Kommission und den EU-Regierungen konfrontiert sind: Die genannten Vorhaben sowie die "Rehn-Vorschläge", das sechs Gesetzgebungsvorschläge umfassende Kommissions-Paket, wie auch der Bericht der Arbeitsgruppe um Ratspräsident van Rompuy enthalten Maßnahmen, die wirtschafts-, finanz-, haushalts- und - implizit - auch sozialpolitische Weichenstellungen von erheblicher Tragweite beinhalten.

DIE LINKE ist der Meinung, dass darüber intensive politische Debatten in den Parlamenten und Öffentlichkeiten der Mitgliedstaaten unerlässlich sind. Dies gilt umso mehr, als DIE LINKE in Deutschland, ihre europäischen Schwesterparteien und zahlreiche außerparlamentarische Gruppen und Organisationen (u.a. Gewerkschaften) und Expert/innen die Vorschläge von Kommission und Rat äußerst kritisch sehen. Die gegenwärtig auf europäischer Ebene diskutierten Maßnahmen wie sie z.B. in den "Rehn-Vorschlägen" enthalten sind, sind völlig ungeeignet, die strukturellen Ursachen der Euro-Krise zu überwinden. Sie leiten eine neue Runde des Sozialdumpings in Europa ein, setzen die öffentlichen Haushalte durch die wirtschaftspolitisch unsinnige Verschärfung des Stabilitäts- und Wachstumspakts einem neuen Aderlass aus. Wirksame Maßnahmen zur Regulierung der Finanzmärkte, zur einheitlichen Besteuerung von Spekulation und Unternehmen sind nicht vorgesehen. Weil eine breite Öffentlichkeit für europäische Themen bis heute vor allem über die nationalen Parlamentsdebatten hergestellt wird, drängt DIE LINKE auf eine gründliche Befassung des Bundestags mit diesen "Reformen".

Wenn, wie im Fall des von Bundeskanzlerin Merkel auf dem Gipfel des Europäischen Rates am 4.2. eingebrachten "Paktes für Wettbewerbsfähigkeit" eine radikale Zuspitzung dieser neoliberalen Reformen auf Regierungsebene vorgenommen wird, ohne dass zuvor eine Unterrichtung geschweige denn eine Debatte und Abstimmung im Bundestag - nicht einmal innerhalb der Koalition - erfolgt ist, so ist das aus unserer Sicht schlichtweg ein Skandal. Das ist ein Rückfall in die Hinterzimmer-Diplomatie, der (neben den verheerenden wirtschafts- und sozialpolitischen Konsequenzen, die dieser Pakt bringen würde) das ohnehin geringe Vertrauen der Menschen in die EU, bzw. in eine demokratische europäische Integration massiv beschädigen wird.

Andererseits ist die Barrosos Appell letztlich "billig": So richtig es ist, die Parlamente zu mehr Einmischung aufzufordern, so sehr vermissen wir eine deutliche Kritik der Kommission an den Praxen zahlreicher EU-Regierungen - nicht nur, aber besonders der Bundesregierung: Diese kommen ihren Informations-, Unterrichtungs- und Konsultationspflichten nicht ausreichend nach und be- und verhindern somit eine Beteiligung der Parlamente. Wenngleich die Kommission gegenüber den Regierungen über keine bindenden Sanktionsinstrumente verfügt, so wäre eine derartige Stellungnahme trotzdem ein starkes politisches Signal.

Last but not least erlaube ich mir als Vertreter einer Oppositionspartei den Hinweis, dass die Arbeitsweise und Informationspolitik der Kommission, ihre Einbeziehung der Parlamente (und einer darüber hinausgehenden breiten Öffentlichkeit) ebenfalls stark verbesserungsbedürftig ist. Wer mehr parlamentarische "Einmischung" einfordert, der sollte durch größere Transparenz in der eigenen Behörde sowie durch verbesserte Weitergabe von Informationen die Voraussetzungen dafür schaffen.