Deutschland weit wird seit gestern über die mündliche Verhandlung vorm Amtsgericht in Lüneburg berichtet. Von der Nordseezeitung bis zur Süddeutschen wird berichtet: "Wegen eines Aufrufs zum sogenannten Schottern hat das Amtsgericht Lüneburg den Linken-Bundestagsabgeordneten Diether Dehm zu einer Geldstrafe von 2250 Euro verurteilt." und "Dehm kündigte an, für einen Freispruch bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gehen zu wollen."

Einen ausfürhrlicheren Bericht dokumentieren wir vom Weser-Kurier und dem Journalisten Paul Hellmich.

 

Der Eintrag auf Diether Dehms Internet-Seite ist kurz und knapp „Gerichtstermin wegen Schottern, Lüneburg“ steht dort unter dem Datum von heute. Weitere Erläuterungen gibt es nicht. Dehm ist einer von vier Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, die sich wegen einer virtuellen Unterschrift auf der Website der Aktion „Castor Schottern“ vor Gericht verantworten müssen. Die Unterzeichner hatten sich 2011 mit Atomkraftgegnern an der Bahnstrecke zum Zwischenlager Gorleben solidarisiert. „Schottern“ nennen die Protestierenden die Taktik, Schottersteine aus der Gleisanlage zu entfernen.

Im November 2012 hatte der Bundestag die Immunität von Dehm und seinen Parteikollegen Jan van Aken, Sevim Dagdelen und Inge Höger aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft hatte daraufhin Anklage gegen die Abgeordneten erhoben. Nach Ansicht des Oberlandesgerichts Celle haben sich die Unterzeichner der Erklärung den „Aufruf zur Störung öffentlicher Betriebe zu Eigen gemacht“, also zu einer Straftat aufgerufen. Die Staatsanwaltschaft Lüneburg hatte gegen fast 1800 mutmaßliche Unterzeichner Ermittlungen eingeleitet. Jan van Aken, Sevim Dagdelen und Inge Höger wurden im April zu Geldstrafen in Höhe von 2250 und 4500 Euro verurteilt. Bei anderen Unterzeichnern kam es erst gar nicht zum Prozess. So wurde das Verfahren gegen Sahra Wagenknecht, stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, eingestellt, nachdem sie 500 Euro an einen gemeinnützigen Verein überwiesen hatte.

Diether Dehm wollte einen solchen Deal nicht eingehen. Dass der Prozess auf seiner Website als „Veranstaltung/Diskussion“ aufgeführt ist, ist kein Zufall: „Wir brauchen die Öffentlichkeit, das ist auch eine Geldstrafe wert“, sagt er. Mit dem Verfahren gegen die Unterzeichner sollen Dehms Ansicht nach Protestierer eingeschüchtert werden: „Selbst für symbolische und künstlerische Aufrufe kann man jetzt schon verurteilt werden.“ Dehm will den Fall vor das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof bringen. Im Mittelpunkt seiner Kritik an dem Verfahren steht seine Interpretation der Immunität von Bundestagsabgeordneten. Diese sollten Dehms Ansicht nach durch besondere Schutzmechanismen zum Widerstand ermutigt werden. Das sei zum Beispiel in der thüringischen Landesverfassung der Fall. Anfang Mai sprach das Amtsgericht Lüneburg den Landtagsabgeordneten Frank Kuschel (Linke) frei. Kuschel hatte den „Schotter“-Aufruf zwar ebenfalls unterzeichnet, war aber durch die thüringische Verfassung geschützt. Dehm kritisiert insbesondere die Grünen dafür, dass sie dafür stimmten die Immunität der Linken-Abgeordneten aufzuheben. „Früher haben Grünen-Politiker auch das Recht des zivilen Ungehorsams im Parlament genutzt, jetzt tragen sie dazu bei, dass Protest abgewürgt wird“, so Dehm.

Dass Abgeordnete durch Protestaktionen mit dem Gesetz in Konflikt geraten, kommt immer wieder vor. Ein prominentes Beispiel ist Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Thierse. Der SPD-Abgeordnete hatte 2010 an einer Sitzblockade gegen eine Neonazi-Demonstration teilgenommen. Das Ermittlungsverfahren gegen ihn wurde eingestellt. Den Linken-Abgeordneten Caren Lay und Michael Leutert entzog der Bundestag dagegen kürzlich die Immunität. Die sächsische Staatsanwaltschaft ermittelt gegen sie, weil sie 2011 in Dresden eine Demonstration von Rechtsextremen blockiert haben sollen.