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Kategorie: Reden

7.a) Zweite Beratung u Schlussabstimmung BReg
Vertrag vom 25. April 2005 über den Beitritt der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union
Drs 16/2293, 16/3155, 16/3160 -
7b) Zweite und dritte Beratung BReg
Anpassung von Rechtsvorschriften des Bundes infolge des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens zur Europäischen Union
Drs 16/2954, 16/3147
Zusatzpunkt
2.) Beratung Antrag CDU/CSU, SPD, FDP, B90/GRÜNE
EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum Erfolg führen
Drs 16/3090 -

Dr. Diether Dehm
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Auch ich möchte gleich am Anfang sagen: Herzlich willkommen! Ich füge hinzu: Der Titel des Antrags „EU-Beitritt Bulgariens und Rumäniens zum Erfolg führen“ ist zwar schön, aber es wäre schöner gewesen, wenn Sie diesen Antrag nicht gezielt an der Fraktion Die Linke vorbei auf den Weg gebracht hätten. Wie Sie wissen, stimmt unsere Fraktion dem Beitritt Bulgariens und Rumäniens zu, wie Herr Kollege Schäfer lobend hervorgehoben hat. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen ganz besonders von CDU und CSU, wenn kein Grund zur Konspiration besteht, brauchen Sie auch nicht zu konspirieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Statt heute hier mit einem gemeinsamen, aufeinander abgestimmten Antrag aller Fraktionen dieses Hauses ein kraftvolles Zeichen nach Europa zu setzen, haben Sie parteipolitischen Kleinmut vorgezogen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sicher: Wir hätten Ihnen gern den ersten Absatz, dieses völlig unrealistische und überschwängliche Lob, geändert, wonach „Frieden, Wohlstand und neue wirtschaftliche Dynamik und politische Stabilität“ mit der EU-Erweiterung 2004 erfolgt seien. Herr Kollege Schäfer war, als er die Ängste der Menschen benannt hat, etwas realistischer. Durch Schönfärberei erreichen wir keine neue Akzeptanz für Europa.

(Beifall bei der LINKEN – Klaus Uwe Benneter [SPD]: Ich wusste, dass Sie daran herumkritisieren würden!)

– Weil ihr wusstet, selbstverständlich! Aber die Prophezeiung kam nicht von den Kollegen der SPD, sondern von denen der CDU/CSU. Ich weiß, Herr Kollege Benneter, dass Sie etwas prognostischer sind.
Am Schluss des Antrags wird der vorauseilende Ratifizierungsgehorsam Bulgariens und Rumäniens als „neuer Impuls zur Wiederbelebung des Verfassungsprozesses“ gelobt. Als ob Unterwerfung unter einen gescheiterten Verfassungstext zwingend für den Beitritt gewesen wäre – etwa unter das Aufrüstungsgebot und den Wettbewerbskannibalismus.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, finden Sie sich damit ab: Dieser Verfassungsvertragstext ist endgültig gescheitert. Sackgassen werden auch durch Dauerbeschwörung nicht zu Durchfahrtsalleen!

(Beifall bei der LINKEN)

In diesem Sinne bitte ich auch die Bundesregierung noch einmal ausdrücklich: Verplempern Sie die Zeit der deutschen Ratspräsidentschaft nicht damit, den Bürgerinnen und Bürgern Blähungen des gescheiterten Verfassungsvertrags ständig als Eau de Cologne verkaufen zu wollen.

(Widerspruch bei der SPD)

Er ist gescheitert. Arbeiten Sie mit an einer Alternative für einen Text, mit dem wir uns nicht vor einer Volksabstimmung zu fürchten brauchen.
Sicherlich können Passagen aus dem vorliegenden Text übernommen werden, aber die Europäische Union braucht eine bessere Verfassung, die – Frau Kollegin Kastner, jetzt hören Sie genau zu – nicht an den Rüstungsmärkten und den Finanzmärkten, sondern an den Grundelementen unseres Grundgesetzes orientiert ist. Das ist das Entscheidende. Wir ringen darum, die Elemente des Grundgesetzes in eine europäische Verfassung zu übernehmen.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Susanne Kastner [SPD]: Das streitet niemand ab!)

Dafür werden Ihnen die Fraktion Die Linke, Gregor Gysi und Oskar Lafontaine, in Kürze Grundelemente eines alternativen Verfassungsentwurfs vorlegen.

(Unruhe)

Ich freue mich über die allumfassende Unruhe. Vielleicht haben Sie doch richtig gehandelt, als Sie bei diesem Antrag auf uns verzichtet haben. Bestimmte kritische Fragen wollen Sie nicht hören.
Welches Volk außer den Spaniern und Luxemburgern durfte wirklich direkt darüber abstimmen? Noch nicht einmal Deutschland – das verschweigen Sie immer – hat ratifiziert. Bundespräsident Horst Köhler hat sich geweigert, den vorliegenden Text zu unterschreiben. Der Mann hat noch ein Gespür für demokratische Hoheitsrechte, was er auch bewiesen hat, als er das Gesetz zur Privatisierung der Flugsicherung nicht unterschrieben hat.

Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Susanne Kastner [SPD]: Jetzt sind wir beim Thema!)

Ich bitte Sie, Frau Kastner. – Die Sozialdemokraten unter den SPD-Leuten mögen ihren Kollegen sagen, dass man deswegen nicht extra das Grundgesetz ändern kann. Wir brauchen keine Verfassung nach Kassenlage. Damit die Kassen durch die Privatisierung der Flugsicherung voller werden, können wir nicht das Grundgesetz ändern. Sagen Sie das einmal den Leuten, die jetzt an die Presse gehen und fordern, wir sollten das Grundgesetz ändern, weil Bundespräsident Köhler nicht unterschrieben hat. Dazu kann ich nur sagen: Hände weg vom Grundgesetz.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich frage hier: Welchem Europa treten Bulgarien und Rumänien bei? Was alles wollen Sie noch privatisieren? Was alles gehört noch aus dem Verfügungsbereich der Wählerinnen und Wähler heraus? Zu den horrenden Managergehältern sagt Herr Kollege Hintze, den wir letzte Woche 15 oder 20 Mal aus dem Plenum dazu befragt haben, das gehöre nur auf die Ebene der Märkte und der Chefetagen der Konzerne. Wenn es denn so ist, wenn am Ende unser Staat und die Steuerzahler die Bundeswehr oder europäische Battle-Groups nur noch finanzieren sollen, um den Energiekonzernen die sprudelnden Ölquellen zu sichern, ist zu fragen: Warum privatisieren wir dann nicht die Bundeswehr und integrieren sie in den Werkschutz von Vattenfall, Eon und RWE? Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die Frage muss doch erlaubt sein: Wie verfasst ist diese EU und in welche EU laden wir Rumänien und Bulgarien ein, um sie willkommen zu heißen?

Wir hören: Großbritannien und Irland haben pünktlich zu den Neuaufnahmen die Arbeitsmärkte reguliert; mein Kollege Hakkı Keskin hat schon dazu gesprochen. Zusammen mit der Tatsache, dass seit der letzten Erweiterungsrunde die Mittel für neue EU-Mitgliedstaaten mehr und mehr ’runtergefahren worden sind, stellt sich doch der Eindruck ein, dass Integration eine Einbahnstraße wird. Export- und Investitionsinteressen: ja; entsprechende Mittel bereitstellen: nein.

Europa muss aber scheitern, wenn es nur zu einer gigantischen und seelenlosen Freihandelszone würde, in der alles – von Gesundheit und Bildung bis zur Energie- und Wasserversorgung – privatisiert, der Zivilisation entzogen und den Konzernen einverleibt wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Nicht die Linke, nicht das Nein aus Frankreich und den Niederlanden, womit der Verfassungstext gescheitert ist, übt Verrat an der antifaschistischen, aus den Trümmern von 1945 hervorgegangenen großen europäischen Idee.

(Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie was zu Bulgarien und Rumänien!)

Die Verfechter und Profiteure einer neoliberalen, autoritären und militaristischen EU, das sind die wahren Feinde Europas!

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wir sagen Ihnen: Haben Sie wieder Mut zum Grundgesetz! Haben Sie Mut dazu, mit dem Angriffskriegsverbot und der Sozialbindung des Eigentums eine neue Verfassung zu gestalten, einen neuen Text zu entwerfen! Dann können wir gemeinsam dafür werben. Haben Sie mehr Mut zur Demokratie, dass ein gutes Europa blühe! Es blüht von unten gegen oben hin.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])