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Kategorie: Reden

Lissabon: Profitstreben fördert Revolution
Mehr und bessere Arbeitsplätze, sogar Vollbeschäftigung und ein gestärkter sozialer Zusammenhalt waren als Ziele der Lissabonstrategie versprochen. Nichts blieb davon. Lissabon heißt jetzt: Nationales Reformprogramm, Agenda 2010, Hartz IV sowie jede Menge neue Armut, Insolvenz von Kleinunternehmen und Entlassungen – meist ausweglos für die Betroffenen. Börsensteuer, Schließung der Steueroasen und Kampf gegen die Hedgefonds wären nötig. Lassen sich Nationalstaaten auf Steuerdumping ein, verlieren alle. Nötig sind: In der EU einheitliche Bemessungsgrundlagen und Gewinnsteuersätze und langfristig weltweit einheitliche Konzernbesteuerung auf einheitlicher Bemessungsgrundlage. ATTAC schlägt vor: Eröffnet ein EU-Konzern eine Filiale in einem Land mit niedrigem Gewinnsteuersatz, muss die Differenz zum Steuersatz in der EU nachversteuert werden. Stattdessen bringt das deutsche Reformprogramm Deregulierung, das heißt: Gesetzlosigkeit für die global players. Aber eine Politik, die ungerührt den wenigen nutzt, verliert das Vertrauen der vielen und deren Widerstand wächst.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das Wort hat nun der Kollege Dr. Diether Dehm für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! „Mehr Ehrgeiz bei der Erreichung der Lissabonziele“ beantragen heute die immer noch mit ihrer Oppositionsrolle ringenden Grünen. Die Bundeskanzlerin wollte die Lissabonstrategie im vergangenen Mai mit vollem Herzen unterstützen: Das A und O in einer Welt zunehmender Widersprüche sei wirtschaftlicher Erfolg. Welch eine armselige Schrumpfung menschlichen Glücks auf die Gewinnziffern der Konzerne und Großbanken!

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Bundeskanzlerin, werte Regierende, soweit anwesend, wenn Sie weiterhin wollen, dass die Profitdefinition wirtschaftlichen Erfolgs das A und O in dieser Welt ist, werden Sie eine demokratische Revolution bewirken, wie sie in Lateinamerika bereits begonnen hat.
Ihre Strategie wird aber nicht nur an uns scheitern, sondern auch an Ihnen. Die EU sollte bis 2010 - das ist in 40 Monaten - die dynamischste Region der Welt werden, stärker noch als die USA. Herr Glos, Sie lachen da zwar nicht, aber da lachen doch die Hühner.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Ha, ha!)

Mehr und bessere Arbeitsplätze, sogar Vollbeschäftigung und ein gestärkter sozialer Zusammenhalt waren damals als Ziele der Lissabonstrategie formuliert worden. Von alledem ist nichts übrig geblieben. Der Wachstumsabstand zu den USA ist lange Jahre immer größer geworden.
Auf dem Brüsseler Frühjahrsgipfel 2005 wurden die Prioritäten abgespeckt. Die soziale Rhetorik, wie etwa der ursprünglich angekündigte Kampf gegen Armut und soziale Ausgrenzung, ist faktisch tot. Lissabon heißt bei uns: Nationales Reformprogramm, Agenda 2010, Hartz IV sowie jede Menge neue Armut, Insolvenzen von Kleinunternehmen und Entlassungen. Die Situation ist für die Betroffenen meist ausweglos.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Sie, Kolleginnen und Kollegen von der FDP, diesen Neoliberalismus noch auf der Regierungsbank verschärfen durften, hat Ihr Herr Friedhoff - Herr Brüderle, vielleicht erinnern Sie sich noch an ihn - öffentlich eine andere Vor-Lissaboner Katze aus dem Sack gelassen. Ich zitiere sinngemäß: Wir werden den Kommunen so lange das Geld streichen, bis sie nichts mehr zu verkaufen haben. Das wurde zum Desaster für unsere Gemeinden.

Aber die Menschen wehren sich. Die Linke konnte bei der Kommunalwahl vor etwa zehn Tagen in Niedersachsen mit 136 Abgeordneten in die Kommunalparlamente einziehen. Bisher hatte sie 13 Kommunalmandate inne. Das ist eine Verzehnfachung. Ähnliches geschah im Frühjahr bei der Kommunalwahl in Hessen.

(Beifall bei der LINKEN - Martin Zeil (FDP): Zum Thema!)

- Zum Thema: Zeigen Sie mir einmal eine Partei, die bei der Kommunalwahl in Hessen und Niedersachsen so stark gewonnen hat wie die Linke!

(Dr. Thea Dückert (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was war in Berlin?)

Das liegt auch an Ihrer neoliberalen Politik. Das ist für uns ja von Vorteil. Machen Sie weiter mit dieser Politik, stärken Sie uns weiter!
Die Megakoalition von Helmut Kohl bis Gerhard Schröder, von Sabine Christiansen bis Dieter Hundt, von den Wirtschaftsgrünen bis zu den Wirtschaftsliberalen, von der Freihandelskanzlerin bis zum Dieter Bohlen des Verfassungsrechts, Udo Di Fabio, will den Menschen an den Fernsehapparaten Nacht für Nacht einbläuen, es gäbe keine Alternative zum Kaputtsanieren der öffentlichen Haushalte, zu Lohnstreichungen und brutalen Rentenkürzungen. Aber immer mehr Menschen fragen sich und zum Glück auch uns, Gewerkschafter und linke Kirchenleute: Warum ist der Staat nur dort innovativ, wo er die Profite und Aktienkurse der Konzerne und damit die Managergehälter mästet? Warum zieht er sich dort zurück, wo er ein Helfer für die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen sein soll? Warum finanzieren überwiegend Lohnsteuerzahler und Handwerksmeister die staatlich vorgehaltenen Netze in diesem Land, mit denen Finanzspekulanten, die Energiekonzerne und die Deutsche Bank dann ihre Profite machen, und zwar ohne sich an der Finanzierung der staatlichen Logistik auch nur halbwegs zu beteiligen?

(Swen Schulz (Spandau) (SPD): Was macht denn Herr Wolf in Berlin?)

- Was macht Herr Wolf in Berlin? Ich denke, die verhandeln dort jetzt über die Regierung. Fragen Sie mich in diesem Zusammenhang nicht, was Herr Wolf jetzt in Berlin macht. Ich weiß allerdings, dass er und seine Partei in Berlin oft versucht haben, das abzufedern, was von der Bundesebene den Gemeinden und Ländern aufgebürdet wurde.

(Beifall bei der LINKEN)

Manchmal ist das Verhindern des Schlimmsten schon ein Fortschritt.
Ihr Nationales Reformprogramm will Deregulierung. Das heißt auf gut Deutsch: Gesetzlosigkeit für die global players. Sie unterbieten die Steuern in anderen Staaten, machen den Staat arm und bewirken damit weitere Steuersenkungen bei den Nachbarstaaten. Aber wo soll denn diese Abwärtsspirale enden? Oskar Lafontaine hat Ihnen oft genug die Auswege gezeigt:

(Martin Zeil (FDP): Ja, aber da war er in der SPD!)

Börsensteuer, Schließung der Steueroasen, Kampf gegen die Hedgefonds und keine Senkung der Unternehmensteuer. Darum gibt es auch die Hasstiraden der Herren Beck und Struck und anderer aus der einstmals dritten Garnitur der SPD.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es wurde empirisch unwiderlegbar nachgewiesen: Deutschland liegt laut OECD-Statistik satte 6 Prozent unter der durchschnittlichen Steuerquote in der EU. Das Steuerdumping kommt also nicht von der Welt über uns, es kommt vor allen Dingen von uns in die Welt. Es reißt uns und andere in die Tiefe.

(Zuruf von der SPD)

- Hören Sie einmal genau hin.
Ich zitiere die „FAZ“ von gestern zu den wahren Ursachen der gewaltsamen Unruhen in Ungarn - die „FAZ“ ist ja nicht gerade die Zeitung der Linken -:

(Ute Kumpf (SPD): Das sind Neonazis!)

Zwar hat das Land bedeutende westeuropäische und amerikanische Investoren angelockt, aber dies mit Steuerbefreiungen bezahlt, so daß der Staatshaushalt nicht konsolidiert werden konnte.
Das zu den Unruhen in Ungarn.
ATTAC, die bedeutende junge Organisation von Globalisierungskritikern, sagt:
Wenn sich Nationalstaaten auf Steuerdumping einlassen, verlieren alle. ... Um diesen ruinösen Wettlauf zu beenden, fordern wir:
In der EU: Einheitliche Bemessungsgrundlagen und Gewinnsteuersätze ... Langfristig: Weltweit einheitliche Konzernbesteuerung auf Basis einheitlicher Bemessungsgrundlagen, ...
ATTAC schlägt vor:
Eröffnet ein EU-Konzern eine Filiale in einem Land mit niedrigem Gewinnsteuersatz, muss die Differenz zum Steuersatz in der EU nachversteuert werden ...
Warum blenden Sie diese Alternativen ständig und so dogmatisch aus?

(Beifall bei der LINKEN -Swen Schulz (Spandau) (SPD): Machen wir doch nicht!)

Eine Politik, die ungerührt den wenigen nutzt, verliert das Vertrauen der vielen. Aber der Widerstand der vielen wächst.
Ich danke für Ihre Geduld.