(Nicht nur gegen Rassismus, Antisemitismus, Hass, Gewalt, Antiislamismus, Fremdenangst, Homophobie, Frauenfeindlichkeit, Transfeindlichkeit, Ziganophobie, Xenophobie, Nationalismus, Verschwörungslügen, Machismus, Sprachverrohung, Despotismus, Sexismus, Stalinismus, Antiamerikanismus usw.)
(Manuskript von Diether Dehm für seine Reden in Hannover am 21.2.20 beim linken Neujahrsempfang im Rathaus mit Jan Korte und auf der Kundgebung „Bunt statt Braun“ mit Ministerpräsident Weil u.a. vor 3000 Teilnehmern)
Auf den jüngsten „Mahnwachen gegen rechts“ war von vielem die Rede. Aber wenig vom Antikommunismus der Nazis und von der inneren Beschaffenheit des Rassismus. Denn den Rechtsterroristen ging es am Ende nie nur um die Unterwerfung von Minderheiten, sondern die der breiten Mehrheiten, um die materielle und kulturelle Entwürdigung aller Werktätigen.
Wer psychologisch nämlich den Rassismus durchleuchtet, wird feststellen, dass dieser nicht bloß den Angriff „von oben“ auf fremd erscheinende Opfer braucht, sondern immer auch eine Rebellion mit Täter-Fiktion „gegen oben“. Dies ist die psychische Doppelstruktur jener besonders widerlich-wirkmächtigen, alle Phobien durchziehenden Phobie. Die den Ekel nach unten (durchaus auch im freudschen Sinne, wiewohl wir uns eher der sowjetisch-materialistischen Schule der Psychologie hier bedienen sollten) mit Neid gegen oben zu verbinden und zu einer widersprüchlichen Einheit zu führen sucht.
Das reine Opfersein alleine wäre für die aggressive Projektion des Rassismus „zu schwach“ und vom Mitleid „bedroht“. Der Rassismus richtet sich z.B. in der Regel nicht gegen Behinderte und wehrlose Kinder (zumindest solange er denen nicht wenigstens „Sozialbetrug, Schmarotzerei, Bandentätigkeit“ o.ä. hinterherkeifen darf).
Vor purer Mächtigkeit verneigt sich der Rassismus eher. Der japanische, arabische oder amerikanische Großinvestor wurde aktuell selten zur Zielscheibe rechter Hetze. (Selbst die aggressiven Kampagnen der Orban-Regierung gegen George Soros waren zwar antisemitisch konnotiert, entfalteten aber keinesfalls jenen spontan-rassistischen Populismus, wie der BILD-Sprech gegen die „faulen Griechen“.) Der Rassismus braucht, um populistische Projektion zu werden, die Janusköpfigkeit aus Opfer und Aggressor in einem, aus Ekel und Neid als „Massenpsychologie des Faschismus“, um einen Begriff von Wilhelm Reich zu verwenden.
Am klarsten wird die Einschätzung der Doppelköpfigkeit des Rassismus beim deutschen Antisemitismus.
Veit Harlans „Jud Süß“, „Der ewige Jude“ und andere NS-Schundfilme zeigen 1939 nah beieinander, zur kulturellen Einschleifung des Holocausts, bettelarme Juden im Osten als „verlauste Untermenschen“ und in Deutschland und USA als mächtige Spekulanten, letzteres auch zur Ablenkung des „Antikapitalismus der dummen Kerls“ (August Bebel über den Antisemitismus). Göbbels‘ Filme aus 1939 sind durchaus Prototypen der (psycho-)logischen Zweigleisigkeit rassistischer Projektionen.
Sozialpsychologisch und historisch real tritt der Rassismus aber immer (!) im „Geschwisterpaar“ mit Antikommunismus und Gewerkschaftsfeindlichkeit auf. Wenn „Bewusstsein“ nach Marx „bewusstes Sein“ ist, dann ist Unterbewusstsein unterbewusstes Sein. Antikommunismus und Rassismus spalten das Fremde in ein Unten und in ein Oben und appellieren an den alltäglichen Opportunismus.
Es wird darum für Demokratinnen immer wieder nötig, den Antikommunismus aus seiner Mechanik zu lösen und zwar vom ersten Adressat faschistischer Hauptfeindschaft: den Kommunisten. Der Nichtkommunist Thomas Mann nannte den Antikommunismus „die Grundtorheit der Epoche“, weil er ihn als Aggression auf alle - gerade auch nichtkommunistische(!) - soziale und kulturelle Selbstorganisatorinnen in der zivilisierten Welt sah, die sich die Freiheit nehmen, entschiedene Ansprüche gegen Staat und Kapital zu reklamieren. Und, ja, auch umgekehrt wird ein Schuh daraus: es kann nicht einmal eine entfaltete bürgerliche Demokratie und Zivilisation geben ohne gewerkschaftliche Standards, Koalitionsfreiheit und Streikrecht! Aber der Antikommunismus (man kann ihn auch „Antisozialismus“ oder „Sozialchauvinismus“ nennen) schürt den Hass gegen „rote Habenixe und Parasiten“, die sich über traditionell angestammte Herrschaftsformen dreist hinweg setzen wollen, gegen deren „Faulheit“ als Weigerung an „der Wirtschaft“ mitzuwirken und mündet schließlich in einer Form des „Anti-Totalitarismus“ gegen „die roten Bonzen“, also die Funktionsträger linker Organisationen und deren echte oder angebliche Privilegien. Während der Rassismus seinen Opfern demagogisch Tätereigenschaften fiktiv hinzuaddieren muss, erwächst der Antikommunismus über die reale widerständige Tätigkeit seiner Hassobjekte; und weil der Widerstand mit dem Grad seiner Organisiertheit korrelierend gegen die übermächtigen Kapitalverhältnisse zunehmen muss, steigert der Antikommunismus seine Demagogie (von den angeblich undemokratischen Organisationsstrukturen ihrer unterlegenen Gegner) analog zur Wirkmacht der Werktätigen und jeder ihrer Bewegungen, ihren Gewerkschaften und Parteien.
Psychologisch funktioniert der Antikommunismus in dieser praktisch populistischen Dialektik, Aggression der Opfer vorzutäuschen, dem Rassismus artverwandt. Es ist deswegen ein demokratisches Defizit, wenn jetzt auf Kundgebungen im Gefolge rassistischer Terrortaten (wie in Halle und Hanau), in meist unwissentlich allein-deutschzentrierter Betroffenheit nicht gleichzeitig auch auf die antikommunistischen und rassistischen Menschenjagden in Ungarn, Polen, Rumänien, Ukraine, Brasilien, Kolumbien und so weiter und so weiter hingewiesen wird. (Bolsonaro deckt den Mord an armen Kindern und Homosexuellen genau so, wie den an Lula-Anhängern und Gewerkschaftern und jagt alle gemeinsam in die Emigration.)
27 Millionen Sowjet-Menschen wurden vom deutschen Faschismus getötet - nicht, weil Göbbels nur von einer „jüdischen Weltverschwörung“, sondern weil er auch von einer „jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung“ demagogisiert hatte. Auf den Abschusslisten rechter Todesschwadronen - auch außerhalb Europas - standen immer Migranten, Andersgläubige UND Rote. Buchenwald war kein klassisches Vernichtungslager, sondern zunächst eines der kleinen und großen KZs, die dem Verbot von organisierten Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaften mit gezielten Ermordungen die Wirkmacht erhöhen sollte. In Buchenwald wuchs zusammen, was vor Buchenwald gemeinsam hätte kämpfen müssen.
Noch ist die AfD mit den wesentlichen Teilen des Großkapitals nicht verbunden. Selbst für die Harzburger Front und ihren Manager Hjalmar Schacht war es bis 1932 nicht einfach, die petrochemischen Industriekapitalisten für Hitler zu begeistern. Dies gelang erst mit der Finanzkrise und dem Zusammenbruch der Darmstädter Nationalbank, also der Bank der Chemieindustrie, und dann auch nur zu Teilen.
Noch ist also weder Deutschland, noch Europa noch die USA an Rechtspopulisten und Nazis verloren. Darum ist es heute so wichtig, eine breite bürgerliche Front gegen rechts zu entfalten und dies unter Einschluss der großartigen taktischen und radikaldemokratischen Entscheidungen und Wendungen, die DIE LINKE in Thüringen in die Erfahrung eingebracht hat. Auch in Weimar hätte es diese Chancen gegeben, hätten nicht Kommunisten die SPD-Führung als „Sozialfaschisten“ und SPD-Führer Kommunisten nicht als „rotlackierte Nazis“ geprügelt. Und wäre zum Beispiel gemeinsam ein Carl von Ossietzky (statt Thälmann) gegen Hindenburg als Reichspräsidenten-Kandidat für das gesamte Mitte-Linkslager aufgestellt worden; usw.
Aber: gleichzeitig mit einem populären Bündnis gegen rechts – und das ist die praktische Dialektik als Einheit der Widersprüche im Handeln – müssen die sozialen Besonderheiten der Linken in einem solchen Bündnis hochgehalten und dürfen nicht für ein Schulterklopfen von oben geopfert werden. Deswegen muss jetzt schon in die Aufzählung der Opfer des alten wie des neuen Faschismus der Antikommunismus und die Gewerkschaftsfeindlichkeit öffentlich mit benannt werden. Auf Kundgebungen muss durchgängig und offensiv von Linken dafür eingetreten werden, dass der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ die Gemeinnützigkeit erhalten bleibt. Und über die „Fassungslosigkeit“ bei rassistischen Mordanschlägen in Deutschland hinaus muss der Opfer anderswo gleichwertig erinnert werden.
Um noch einmal den Blick auf sozialpsychologische Erkenntnisse zu lenken: die Kränkungen, die den ArbeitskraftverkäuferInnen tagtäglich angetan werden, hängen nicht nur mit der staatlichen Macht des Großkapitals zusammen – und damit mit der Ohnmacht linker Organisationen – sondern auch mit der tagtäglichen Entfremdung, mit der Enteignung der Arbeitsprodukte und Enteignung der Arbeitskraft der eigenen Hände und des Hirns. Diese strukturelle Kränkung als „psychologische Grundtragödie“ (Lucien Sève) liefert die Anknüpfungspunkte für Rassisten und ihre sozialdemagogische Ausdeutung von Sündenböcken nach unten und oben. Und deswegen braucht die politische Rechte immer auch den Antikommunismus, damit die von Entfremdung und Arbeitskraft-Enteignung Betroffenen Angst vor der emanzipativen Selbstorganisation zu spüren bekommen. In diesem umfassenden – auch psychologischen – Sinn meinte Brecht die alltägliche Innenarchitektur des Imperialismus: „der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch“. Somit ist - auch im individualpsychologischen Sinne - jeder Streik, jede soziale Widerstandstat gegen kapitalistisches Unrecht, jede rote Gewerkschaft auch praktischer Antifaschismus und schließlich Unfruchtbarmachung dieses Schosses, aus dem auch der Rassismus kroch.
Im Bundestag steht die AfD praktisch immer gegen den Sozialstaat und verteidigte sogar dreist, durch ihren Redner Leif-Eric Holm im Dezemberplenum 2017, die Steuer-Hinterzieher mit den „Panama-Papieren“, mit den Briefkasten-Firmen in Lateinamerika, als „Alternative für Deutschland“. Wenn also von deutschen Schulwänden der deutsche Putz blättert, in deutschen Krankenhäusern deutsche multiresistente Keime auf dem Vormarsch sind und (allein in unserem Land) jedes Jahr Zigtausend deutsche Menschenleben (in Größenordnungen einer Kleinstadt) auslöscht werden, weil an der Hygiene gekürzt und auf Billigreinigung gesetzt wird, wenn der öffentliche Verkehr und damit das Klima kaputt gespart und kaputt spekuliert wird, wenn deutsche Altersarmut, Leihsklavenarbeit und deutsche Arbeitsplatz-Zerstörungen auf dem deutschen Vormarsch sind, dann dürfen die deutschen Betroffenen auch der „Alternative für Deutschland“ danken. Offensiv gegen rechts sollten wir uns nicht nur mit „Vogelschiss“ und Höcke-Sprech befassen, sondern auch mit der asozialen Wirtschaftspolitik der rechtsextremen Antikommunisten. Der rote Kern des Antifaschismus ist keine nostalgische Beigabe, sondern moderne Wirkmacht, die unsere Bündnispartner nicht unbedingt übernehmen müssen, die sie uns aber erlauben sollten, offen und offensiv auszusprechen. Politische Korrektheit wird erst dann „voll korrekt“ sein, wenn sie auch Antikommunismus und Gewerkschaftsfeindlichkeit zu unterdrücken sucht.
Und wir müssen so mutig und gewitzt sein, möglichst überall darüber zu reden, nicht um den Antifaschismus zu spalten, sondern um die Rechte vereint zu schlagen.