Tagesordnungspunkt 3 “Kulturwirtschaft und Pop-Musik”


3.a) Beratung BeschEmpf und Ber.(22.A)
- Drs 16/5110, 16/5101, 16/5104, 16/6742 -

  • zum Antrag CDU/CSU, SPD
    Kulturwirtschaft als Motor für Wachstum und Beschäftigung stärken
  • zum Antrag FDP
    Die Kulturwirtschaft als Zukunfts- und Wachstumsbranche in Europa stärken
  • zum Antrag B90/DIE GRÜNEN
    Die Bedeutung der Kulturwirtschaft anerkennen und ihren Stellenwert auf Bundesebene nachhaltig fördern


3.b) Beratung BeschlEmpf u Ber (22.A) - Drs 16/5111, 16/6731 -

  • zum Antrag CDU/CSU, SPD
    Populäre Musik als wichtigen Bestandteil des kulturellen Lebens stärken

 

Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):

Meine Damen und Herren! Um es vorwegzunehmen: Wir stimmen weder gegen den Antrag zur Popmusik noch gegen den zur Kulturwirtschaft. Es geht uns um humanistische Kreativitätsentfaltung.
Mit die bedeutendsten Musiker Deutschlands von Kunze bis Lindenberg fordern seit langem eine Rundfunkquote für deutsche Songs. Die Franzosen erleben seit dieser Quote ein Aufblühen ihrer Popszene. Unsere Rockmusiker fordern dies nicht, um Deutschtümelei zu betreiben oder Musik aus Afrika oder Lateinamerika zu behindern, sondern um die US-Übermacht am Weltmarkt wenigstens etwas einzudämmen.
Einige Kolleginnen und Kollegen wissen, dass ich mit US-Künstlern und deutschen Bands arbeite. Lassen Sie mich daher einige Beispiele nennen. Die niedersächsische Tonträgerfirma SPV. Sie gilt als das mittelständische Paradebeispiel und steht im Ranking sogar vor US-Majors.

(Jörg Tauss (SPD): Jetzt kommt aber nicht der Werbeblock!)

Aber auch SPV kann bei der Preisdrückerei von Ketten wie „Saturn“ und „Media-Markt“ oft nicht mithalten, weil ihr kreativer Kostenanteil von 2,40 Euro an einem Händlerabgabepreis von 3 bis 4 Euro zu hoch ist.
Wohl bemerkt: Auch ich liebe Springsteen, Cat Stevens/Yusuf Islam und Billy Talent - das ist jetzt der Werbeblock -; aber durch die angloamerikanische Weltsprache im Pop verteilen sich die Kreativkosten der US-Konzerne über den gesamten Globus auf wenige Cent pro CD. Deutsche Firmen wie SPV zahlen aber das 30- bis 300fache. Wenn eine Plattenfirma hierzulande also nicht nur als Importagentur, sondern auch als Talentförderin agiert, gerät sie in die existenzielle Kostenzange zwischen CD-Piraterie und Media-Markt-Erpressung.
In seiner gegenwärtigen Gestalt bedroht der internationale Unterhaltungsmarkt die regionalen kulturellen Wurzeln nicht nur bei uns. Ich danke für die diesbezüglichen Hinweise des Kollegen Ehrmann.
Die Kölner Band „Brings“ oder die deutschsprachigen Rapper der Band „Microphone-Mafia“, die aus Türken und Italienern besteht, gehören rein handwerklich zur Weltspitze, bleiben aber im Rheinland hängen. Sie können sich dort einigermaßen reproduzieren, weil das Rheinland kaufkraftstark ist. Ganz anders sieht es aber bei der Thüringer Band „Emma“ aus dem Eichsfeld aus, wo eine immense Arbeitslosigkeit und eine ganz geringe Kaufkraft zu verzeichnen sind, auch an der Kartenkasse. Jedes Bandmitglied muss täglich zehn Stunden - etwa am Bau - arbeiten und daneben proben und auftreten. Für diese Bands wäre es wichtig, etwa in einer bundesweiten Messe der regionalen Popmusik zusammenzukommen und vor neuem, überregionalem Publikum zu spielen, mitgetragen von Rundfunkanstalten, Bund und Ländern.
Wie sind denn die Grönemeyers, Niedeckens, Lages, Karats oder Kunzes aufgestiegen? Damals gab es das „Haus der jungen Talente“ und eine große Zahl von Folkclubs und soziokulturellen Zentren, in denen sie noch als Liedermacher oder in ganz kleiner Besetzung Aug’ in Aug’ mit dem Publikum ihre Pointen, Lyrik und Gitarrenriffs wie in einem Laboratorium abprüfen konnten.
Mit dem Kaputtkürzen des Sozialstaats wurden dann aber auch Clubs und Musikschulen zugemacht. Heute ist Musikerausbildung oft nur dickeren Portemonnaies vorbehalten. Gleichzeitig wurden Fernsehplätze für kritische Lieder - ich denke an den Liederzirkus mit Michael Heltau, an Lieder und Leute und anderes - gestrichen.
Was aber heute groß da steht, sagt der Liedermacher Maurenbrecher, hat stets winzig angefangen. Der kleine „Club Voltaire“ zwischen den Frankfurter Bankhochhäusern und das kleine Gartenhaus oder der Jazz-Club in Hannover standen zwar an der Wiege großer Künstlerentwicklungen, aber ihre Existenzangst ist bis heute geblieben. Neben den Linken in Niedersachsen und Hessen sind auch Sie alle aufgerufen, hier konkret zu helfen.
Ich bin als Texter, Komponist und Verleger jeweils Vollmitglied der GEMA. Lassen Sie mich aber auch von hier aus an die GEMA appellieren. Dass die GEMA unser Urheberrecht schützt, ist gut. Dass die GEMA kleinen Vereinen im Sport, im Karneval oder im Kleingarten horrende Strafsummen aufbrummt, wenn diese mal Musik einspielen, ist jedoch grundfalsch.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ohne unsere Vereine ist Kulturleistung, auch die der GEMA, in Deutschland nicht überlebensfähig.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist ein Fehler - Herr Kollege Börnsen hat vorhin meine Kollegin Lukrezia Jochimsen ausdrücklich gelobt; aber bei der Einbringung des Antrags waren wir plötzlich draußen -, dass Sie die Linke als einzige Partei aus der Einbringung Ihres Antrags ausgegrenzt haben, auch wegen des großen Potenzials an Rockmusikern, Theaterleuten, Kabarettisten, Autoren, die uns Linke und andere bei außerparlamentarischen Aktivitäten, etwa von Gewerkschaften, Greenpeace und der Friedensbewegung, unterstützen.
Ihre Anträge müssen noch mit konkretem Leben gefüllt werden. Warum nicht bei mehr offiziellen Feierlichkeiten Popmusik aus den Regionen einbeziehen? Der Starclub der Beatles in Hamburg ist abgerissen. Aber die Burg Waldeck gibt es noch, wo viele ihren Anfang nahmen, wie Katja Ebstein, Hannes Wader, Konstantin Wecker und Reinhard Mey. Oder können wir nicht die ersten Auftritts- und Proberäume unserer großen Songkünstler, wie Gundermann und Nina Hagen, durch Denkmalschutz finanziell stabilisieren und gleichzeitig die Probenräume, Studios und Vermarktungsmöglichkeiten junger Bands fördern?
Warum generieren wir nicht auch Gedenktage völlig neuer Art, zum Beispiel den Todestag von Rio Reiser, oder im Juni 2009 zum 30. Jahrestag des Bestehens von Rock gegen Rechts, das 1979 in Frankfurt immerhin einen NPD-Bundesparteitag verhindert hat? Oder zum 25. Jahrestag der großen Friedenskundgebung mit Willy Brandt und vielen Künstlern im Bonner Hofgarten? Es gäbe auch offizielle Möglichkeiten, sich solch großartiger Volkskünstler wie Karl Valentin und Wolfgang Neuss gemeinsam mit jungen Kabarettisten zu erinnern und in diesem Zusammenhang endlich den politischen Rundfunkboykott gegen die Altmeister des deutschen Chansons Franz Josef Degenhardt und Dieter Süverkrüp oder gegen den mutigen Hannoveraner Kabarettisten Dietrich Kittner nach 30 Jahren zu beenden.

(Beifall bei der LINKEN - Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Warum erwähnst du Biermann nicht?)

- Auch der wird zu wenig im Radio gespielt. Ich erwähne ihn gerne, wenn du mich darauf ansprichst.
Lassen Sie uns also diese Anträge nur als Anfang verstehen, in einen Prozess einzutreten, bei dem wir zuhören, vor allem den Künstlerinnen und Künstlern, auch dort, wo diese ihre sozialen Arbeitsbedingungen und die Lohnsituation ihrer potenziellen Kunden in ihren Liedern und Interviews problematisieren. Hören Sie auf, auch dort, wo Sie in Aufsichtsräten sitzen, Linke und linke Künstler aus dem Rundfunk, aus dem Kulturdiskurs oder aus solchen Anträgen wie heute auszugrenzen!
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)