Rede des Abgeordneten Dr. Diether Dehm, Europapolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, zur Regierungserklärung der Kanzlerin im Plenum des Deutschen Bundestages am 4. Dezember 2008
(Protokollauszug)


Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Die „Verpflichtung auf den ‚unverfälschten Wettbewerb’ im Lissabon-Vertrag stellt insgesamt die Öffentliche Daseinsvorsorge, den ‚demokratischen und sozialen Rechtsstaat’ infrage.“

Das war ein Zitat vom Bundeskongress der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen in der SPD, AfA. Dort so mit großer Mehrheit beschlossen.
Ich zitiere weiter: „Die AfA lehnt den Lissabon-Vertrag ab und fordert die Bundestagsabgeordneten der SPD auf, diesem Vertrag im Bundestag nicht zuzustimmen.“

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist eure Stimme aus den Betrieben, lieber Axel Schäfer. Dieser Stimme zu folgen, ist besser, als Irland und andere indirekt mit der Rauswurfdrohung aus der EU zu erpressen.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Sehr richtig!)

Der miserable Lissabon-Vertrag ermutigt den Europäischen Gerichtshof zu solchen Skandalurteilen wie dem Rüffert-Urteil,

(Dr. Angelica Schwall-Düren (SPD): So ein Quatsch!)

das der niedersächsischen Landesregierung verbietet, Bauunternehmen Vorzug zu gewähren, die wenigstens ordentliche Tariflöhne zahlen. Ich verweise auch auf die unverschämten EuGH-Angriffe auf unser VW-Gesetz, also auf die Mitbestimmung bei VW, oder   so im Viking-Urteil geschehen   auf das Streikrecht in Europa.

(Beifall bei der LINKEN)

Darum fürchten Sie jede Volksabstimmung wie der Teufel das Weihwasser. Aber die Europawahl am 7. Juni wird quasi zur Volksabstimmung gegen den Lissabon-Vertrag. Die Linke wird die einzige Wahl sein, auch für die Mitglieder der AfA in der SPD.

(Beifall bei der LINKEN)

Barack Obama klotzt mit 2 Prozent des US-Bruttosozialprodukts für Arbeitsplätze und gegen die Finanzkrise. So etwas dürften Sie beim EU-Stabilitätspakt gar nicht.

(Dirk Niebel (FDP): Dann wandern Sie doch nach Amerika aus!)

Und so kleckern Sie mit „neu und netto“ 0,25 Prozent hinterher.
Der oft von der NPD beklatschte Roland Koch sagte gestern, wir bräuchten keine weiteren Konjunkturanstrengungen. Koch, der Fachmann für schwarze Koffer, kennt nur Milliarden für Milliardäre, aber nicht für Millionen Arbeitnehmer.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Wir sind hier nicht auf einem Parteitag!)

Mit dem geltenden EU-Recht könnten Sie nicht einmal verhindern, dass Steuermilliarden für Opel in die USA abfließen.

(Dirk Niebel (FDP): Oder SED-Vermögen nach Kuba!)

Das verbietet Ihnen Art. 56 des EG-Vertrages.
Wir aber wollen ein EU-Recht, mit dem die Folgen der Krise nicht auf die Leiharbeiter, die Rentner, die Arbeiter bei Opel, die Studierenden und unsere Handwerksbetriebe abgewälzt werden. Diejenigen sollen Macht abgeben, die diesen Finanz-Tsunami aufgequollen haben: die Spekulationsfondsbesitzer und die Großbanken.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen ein neues EU-Recht, das dem Frieden Vorrang gibt vor Battle-Groups und dem Aufrüstungszwang des Lissabon-Vertrags. Die Linke will ein neues EU-Recht, das dem Klimaschutz Vorrang gibt vor den Luxusklassen von BMW und Daimler,

(Beifall bei der LINKEN)

wo die Konzernchefs den Umweltmarkt verschlafen haben.
Sie, Frau Merkel, haben sich vor dem EU-Rat und vor dem Klimagipfel in Poznan für die Luxuskarossen durchgesetzt,

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

ein Pyrrhussieg über das Polareis und die Alpengletscher, ein trauriger Sieg über die Nachgeborenen.

(Beifall bei der LINKEN)

Als Umweltministerin wollten Sie die 120 Gramm pro Kilometer bis 2005, die Sie jetzt als Kanzlerin ins Nirwana nach 2015 vertagen. Jetzt, wo es in den USA ein kleines grünes Licht fürs Klima gibt, schalten Sie die Ampel auf Schwarz-Rot. Sie sind keine große Europäerin, Frau Merkel. Sie sind eine Kanzlerin der Luxusklassen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Oh!)

Sie flehen die Deutsche Bank an, die Steuermilliarden doch gnädigerweise in Anspruch zu nehmen. Aber die Deutsche Bank gehört seit 1945 eher verstaatlicht, als mit den Milliarden der Steuerzahler gesalbt und gepudert.

(Beifall bei der LINKEN)

Der gesamte Kreditsektor gehört unter Gemeinnützigkeit gestellt. Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken müssen Vorrang haben vor den Universalbanken. Kredite sollen kreativen unternehmerischen Ideen und dem Allgemeinwohl dienen. Aber dazu muss das Finanzkasino radikal geschlossen werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen ein europäisches Recht, das offen ist für Vergesellschaftung – so wie unser Grundgesetz in Art. 15 –, das den Wählerinnen und Wählern die Überführung der deutschen Banken in Gemeineigentum erlaubt und nicht, mit dem Lissabon-Vertrag, verbietet. Nur ein solches Europa, das rechtlich den „Terror der Ökonomie“ stoppen darf, wie ihn Viviane Forrester genannt hat, das den Terror der Deutschen Bank und der Allianz gegen Arbeitsplätze, Sozialstaat und Frieden stoppen darf, ein Europa, das sozial, friedlich, ökologisch und demokratisch „mit dem Herzen gedacht ist“ – um Konstantin Wecker zu zitieren –,

(Beifall bei der LINKEN)

hat - statt Milliardäre zu vergötzen - eine Zukunft in den Herzen und Köpfen der Millionen in diesem Europa.

(Beifall bei der LINKEN - Thomas Silberhorn (CDU/CSU): Ihre Lyrik reimt sich nicht, Herr Kollege!)