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betrieb & gewerkschaft: Dezember 2005

Fünfunddreißig Mrd. Euro Einsparungen nennt der Koalitionsvertrag von SPD und CDU als Zielwert, um ab 2007 wieder die Vorgaben des EU-"Stabilitäts- und Wachstumspakts" einhalten zu können. Gesprochen wird von einer "ernsten Lage", die für einen "hohen Konsolidierungsdruck" sorge.  Ernst ist die Lage in der Tat, in die wir mit Hilfe dieses Paktes geraten sind. Mit immer neuen Sparappellen soll weiterhin eine Politik legitimiert werden, die sich ausschließlich an den Bedürfnissen der Vermögenswirtschaft orientiert und vor allem zu Lasten der finanziell Schwachen geht. Allein im nächsten Jahr sind Einsparungen in Höhe von 3 Mrd. Euro bei den Hartz IV-EmpfängerInnen vorgesehen, in den drauffolgenden Jahren sollen es sogar 4 Mrd. Euro sein.
Der 1997 auf deutsche Initiative zum EU-Recht erhobene "Stabilitäts- und Wachstumspakt" schreibt vor, dass die jährliche Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte in den Ländern der Eurozone nicht höher als 3 Prozent und die Gesamtverschuldung nicht mehr als 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts betragen soll. Dieser auch als Vertrag von Maastricht bezeichnete Pakt soll hauptsächlich den Euro stabilisieren, um mehr Kapitalanleger in die Eurozone zu locken. Die sozialen Auswirkungen sind jedoch fatal: Statt in der Krise durch staatliche Investitionen zusätzliche Nachfrage erzeugen zu können, wird die Konjunktur durch immer drastischere Kürzungen stranguliert. Die an Auszehrung leidenden Staatshaushalte sollen durch Hungerkuren geheilt werden. Die Folge ist eine weitere Umverteilung von unten nach oben, weil die Vermögenswirtschaft vom harten Euro profitiert, während die vermögensarme Bevölkerung unter dem Rückbau der sozialen Sicherungssysteme und der wachsenden Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge zu leiden hat.
Konjunktur abgewürgt
Seit langem ist klar, dass der "Stabilitäts- und Wachstumspakt" nicht funktionieren kann, weil er den wechselnden Ansprüchen der Realwirtschaft nicht gerecht wird. So müsste Deutschland gegenwärtig dringend seine öffentliche Investitionsquote wieder auf den europäischen Durchschnitt anheben, um die Binnenkonjunktur zu beleben, tut unter dem Druck der Maastrichtkriterien aber das Gegenteil und würgt die schwache Konjunktur ab, ehe sie begonnen hat. Nachdem Portugal, Deutschland, Frankreich und schließlich auch Griechenland und die Niederlande gegen die Defizitkriterien verstoßen hatten, konnte diese Tatsache auch in Brüssel nicht länger ignoriert werden. Nach längeren Diskussionen einigte man sich im Frühjahr 2005 darauf, den Pakt zu überarbeiten. Die neoliberale Grundrichtung, wonach sich der Staat in der Wirtschaftspolitik vor allem um die Geldwertstabilität kümmern und die wirtschaftlichen Probleme durch so genannte "Strukturreformen" lösen soll, wurde jedoch unverändert beibehalten. Im Rahmen des "reformierten" Paktes sollen nun Ausgaben, die der Behebung von "Strukturproblemen" bzw. außergewöhnlicher regionaler Belastungen dienen, bei der Defizitberechnung ausgeklammert werden. Für Deutschland hätte das zur Folge, dass die Belastungen der deutschen Einheit von der Defizitberechnung ausgenommen werden können. Das scheint die Bundesregierung jedoch nicht ernsthaft zu wollen. Sie hält an ihrem Konsolidierungskurs fest und versilbert statt dessen lieber das öffentliche Vermögen. Zu kritisieren ist an dem angeblichen Kompromiss auch, dass nun selbst die Kosten aus der Privatisierung der Altersversorgung nicht mehr vom Defizit abgezogen werden können.
Es gibt Alternativen
Die Linkspartei drängt auf eine umfassende Revision der Defizitkriterien und des Stabilitätspakts. Haushaltdefizite in den Euroländern sollten vorrangig bei guter Konjunktur abgebaut und strukturelle Defizite konjunkturübergreifend verhindert werden. In Wirtschaftsflauten sollten allerdings konjunkturbedingte Defizite hingenommen und die öffentlichen Investitionen bei der Staatsverschuldung herausgerechnet werden. Die Alternative zum jetzigen neoliberalen Kurs wäre ein "sozialer Stabilitätspakt". Hierbei würden zunächst die Sozialleistungsquoten der 25 EU-Mitgliedstaaten erfasst und jeweils Länder mit ähnlicher Sozialleistungsquote in einer Gruppe ("Korridor") zusammengefasst. Eine Abweichung vom Ausgangswert nach unten hätte für die betroffenen Länder ein Konsultationsverfahren und gegebenenfalls Sanktionen zur Folge. Ein Abweichen nach oben wäre jederzeit möglich und würde ein Anheben des Korridors bewirken. Auf diese Weise würde endlich die soziale an die wirtschaftliche Entwicklung der EU gekoppelt. Das immer mehr um sich greifende Sozialdumping könnte gestoppt und der Weg in ein sozialeres Europa beschritten werden.
Diether Dehm ist Mitglied des Bundestages und niedersächsischer Landesvorsitzender der Linkspartei