Interview von Diether Dehm mit der früheren Juso-Landesvorsitzenden Janine Hamilton, die mittlerweile mit anderen Ex-Jusos in „Die Linke“ übergetreten ist:
Diether Dehm: Die Frage an mich, als ich nach 33 Jahren aus der SPD kam, war eigentlich immer: Warum bist Du so spät aus der SPD ausgetreten? Bei mir waren das noch die Notstandsgesetze etc. und bei Dir könnte man ja sagen, die Agenda 2010 gab’s schon, bzw. den Jugoslawienkrieg auch.
Jannine E. Hamilton: Es war bei mir so, dass sich eine Radikalisierung oder eine Linksorientierung eher in der Zeit eingestellt hat, in der ich schon in der SPD war. Bei den meisten ist es ja umgekehrt: Sie treten in eine Partei ein und lassen sich dann langsam einlullen und werden immer unkritischer. Bei mir war es gerade umgekehrt.
Diether Dehm: Darf ich mal dazwischenfragen, was da die Faktoren waren, die Dich innerhalb der SPD sozusagen „radikalisiert“ haben?
Jannine E. Hamilton: Ich war schon immer ein politisch denkender und interessierter Mensch, habe aber sehr lange nichts Aktives gemacht. Als ich nach Hannover umgezogen bin, habe ich mich entschlossen, in die SPD einzutreten. Bis dahin hatte sie mir – oberflächlich betrachtet – inhaltlich sehr nahe gestanden. Ich habe mich dann sehr schnell sehr intensiv mit der Politik der SPD befasst und bin eben auch sehr schnell darüber hinweggekommen, einfach nur zu konsumieren. Ich bin dann immer mehr dahinter gestiegen, wie denn eigentlich die Strukturen sind: Dass die Menschen sich einlullen lassen, dass sie Regieren-um-jeden-Preis wollen, dass sie ständig „Sachzwänge“ vorschieben – und das sind alles Dinge, die mir unheimlich zuwider geworden sind.
Diether Dehm: Dann kommt natürlich gleich der Einwurf, das geschehe jetzt wegen eines Landtagsmandats. Aber für mich wäre das nichts Ehrenrühriges.
Jannine E. Hamilton: Also, wenn es mir darum ginge, dann hätte ich eindeutige Angebote seitens der SPD gehabt. Mir wurde sinngemäß gesagt, ich solle jetzt mal nicht so einen Stress machen, links sei ja schön und gut, aber ich solle mich ein bisschen anpassen und dann könne ich mit einem Mandat rechnen. Und ich muss sagen, das war eigentlich der ausschlaggebende Punkt, an dem ich gesagt habe: Wisst Ihr, das ist für mich nicht Politik machen. Das ist Leute einkaufen und sie mundtot machen. Das war wirklich ein ausschlaggebender Punkt, der bei mir ein ganz großes Unwohlsein ausgelöst hat. Und wie gesagt: Ich bin Neumitglied. Ich bin seit fünf Tagen, nein, mittlerweile schon seit einer Woche in einer neuen Partei. Es gibt Menschen, die dort seit Jahren ganz intensiv …
Diether Dehm: Nein, nein, nein. In dieser neuen Partei sind alle ganz neu!
Jannine E. Hamilton: (lachend:) Stimmt, in dieser neuen Partei sind wir alle ganz neu. Nein, aber es gibt ja Genossinnen und Genossen, die schon in der Linkspartei.PDS und in der WASG sehr viel Arbeit gemacht haben, schon seit Jahren. Ich fände es anmaßend und inhaltlich auch nicht zu rechtfertigen – denn schließlich kennt mich ja auch noch keiner inhaltlich in dieser Partei – da jetzt auf ein Mandat zu plädieren. Das fände ich unangemessen und deswegen kommt es für mich auch im Moment überhaupt nicht in Frage, auch nur darüber nachzudenken. Ich habe noch keinen Handschlag inhaltlicher Arbeit in der Linken getan, es fällt mir wirklich schwer, jetzt darüber nachzudenken, nun ein Mandat „abzukassieren“.
Diether Dehm: In unserer Programmatik: Wo siehst Du Abweichungen, wo siehst Du besondere Übereinstimmungen?
Jannine E. Hamilton: Ich habe damals, in meiner Zeit als Juso noch, immer wieder festgestellt, dass es relativ große Überschneidungen mit PDS-Inhalten zu der theoretischen Juso-Programmatik gab. Was Friedenspolitik angeht, auch wirtschafts- und sozialpolitische Inhalte. Insbesondere auch im bildungspolitischen Bereich fallen große Übereinstimmungen auf. Aber jetzt alle Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzuzählen, würde auch zu weit führen. Differenzen zwischen meiner politischen Überzeugung und der Programmatik der Linken. konnte ich noch nicht feststellen.
Diether Dehm: Also – wie immer – ist ja die Programmatik auch entstanden in einem Abgleich von strömungspolitischen Differenzen ähnlich der SPD zwischen Frankfurter Kreis, Seeheimern, Zentrum etc. Wo gibt es für Dich noch erheblichen Diskussionsstoff?
Jannine E. Hamilton: Auch wenn das jetzt sehr allgemein klingt, das ist mir trotzdem ein sehr wichtiger Punkt: Ich bin der Meinung, dass gerade jetzt zu Beginn, jetzt gerade, wo die Fusion stattgefunden hat, noch ganz, ganz viele Diskussionen stattfinden. Ich glaube, dass die große Stärke der neuen Partei darin besteht, dass jetzt viele Dinge noch ausgefochten werden, die in anderen Parteien schon längst totgeredet wurden. Und ich glaube, das ist in jedem Bereich so. Ich habe mir im bildungspolitischen Bereich einige Dinge angeschaut, weil das auch ein Thema ist, mit dem ich mich in der Vergangenheit immer intensiv beschäftigt habe. Ich habe da sehr viele Übereinstimmungen mit meiner persönlichen politischen Meinung gefunden. Um genauer zu sein: Ich habe eigentlich keine Abweichungen entdecken können, aber trotzdem: Auch dort gibt es immer wieder Diskussionsbedarf. Wie Du schon sagtest, es gibt Strömungen, alles muss diskutiert werden. Ich schließe da kein Thema aus. Aber das ist ja auch die besondere Kraft und im Prinzip auch die Chance der neuen Partei. Es gibt ja nichts Schlimmeres als eine Partei, die so tut, als sei alles schon diskutiert. Das ist ja das große Problem der SPD. Sie tut so, als wenn das Regierungshandeln allen klar und allen einsichtig – und vor allem richtig – sei. Und genau das Gegenteil ist der Fall!
Diether Dehm: Wie ist denn dieser Streit der beiden linken Fraktionen in Hannover bei Dir angekommen, als Du noch in der SPD warst?
Jannine E. Hamilton: Darüber hat man von außen nicht viel mitbekommen. Natürlich liest man und lässt sich ein wenig berichten, aber es widerstrebt mir, aus zweiter Hand etwas dazu zu sagen – zumal das vor meiner Zeit in der Partei war.
Diether Dehm: Abschließend noch einmal die Frage: Du hast ja sicherlich mitbekommen oder erfahren, dass Gerhard Schröder ja einmal ein ganz Linker war und Joschka Fischer mal Steine geworfen hat und andere auch ganz links waren und dann fing dieser Weg an, ins realpolitische Gammelfleisch. Was würdest Du jetzt der Linken empfehlen, dieser Partei, der Du beigetreten bist, um möglichst diesen Weg nicht zu gehen?
Jannine E. Hamilton: Wenn Menschen sagen, sie seien „Realpolitiker“ dann zweifle ich daran sehr oft. Denn die Realität ist nicht, dass dieser Kurs, den die Regierung jetzt fährt oder den die SPD schon seit Jahren fährt, dass das Realpolitik sei. Das ist sie nicht. Denn die Realität der Menschen ist eine ganz andere. Und die Kürzungen und die schlechte Lebenssituation, die treffen sehr, sehr viele Menschen. Die betreffen nicht einige wenige. Ich würde der Linken empfehlen – und das ist auch das, wofür ich mich gern einsetzen würde – dass man erkennt, dass linke Politik für einen Großteil der Menschen da ist, für alle Menschen da ist. Und dass man sich nicht hinter Ausreden verbirgt. Meine ganz persönliche Meinung ist auch: Man sollte davon Abstand nehmen, um jeden Preis ständig überall mitregieren zu wollen. Ich glaube, der eine große Fehler der SPD, neben vielen inhaltlichen Fehlentscheidungen, war, in die große Koalition zu gehen. Man konnte sich einfach nicht davon trennen und wollte nicht einsehen: So, jetzt ist Schluss mit Regieren, wir müssen jetzt gucken, wo wir selber stehen. Diesen Fehler sollten wir nicht machen. Irgendwann, irgendwie mit einem sinnvollen Koalitionspartner mag das funktionieren. Ich glaube, dass das nicht primäres politisches Handeln und nicht primäres politisches Ziel sein sollte, weil ich glaube, dass das sehr viele „Sachzwänge“ konstruiert, die eigentlich nicht da sind. Wir brauchen eine Partei, die links argumentiert, die inhaltlich links steht, die ein linkes Korrektiv bildet und natürlich auch ganz real eine linke Politik macht. Aber man sollte sich erst einmal davor verwahren, sich einkaufen zu lassen in Form einer Regierungsbeteiligung. Das ist meine ganz persönliche Meinung.
Diether Dehm: Ein Zusatz da noch: War der Sündenfall die große Koalition oder schon das Regieren bei Rot-Grün und wie sollte eine linke Partei mit der möglicherweise jetzt mit dem erfolgreichen Parteitag gewachsenen Option des Mitregierens 2009 und später umgehen?
Jannine E. Hamilton: Ich spreche so ungern vom Sündenfall, weil ich mich bemühe moralische und religiöse Begriffe aus der Politik ’rauszuhalten. Aber ich glaube, es war ein großer Fehler in einer Reihe von vielen Fehlern, die die SPD gemacht hat. Sie konnte sich nicht von der Macht lösen und man sieht, dass sie im Prinzip kaum noch Einfluss hat. Und den Einfluss, den sie hat, nutzt sie auch noch falsch, eben nicht zum Besten der Menschen, sondern zum Schlechten. Die SPD hat einfach die Chance vertan, sich neu „aufzustellen“, sich inhaltlich richtig zu positionieren. Das ist eine Entwicklung, die ich ganz klar mit der großen Koalition in Verbindung bringe. Die zweite Frage war, wie die Linke sich jetzt in Bezug auf Koalitionen oder Regierungen …
Diether Dehm: … sagen wir mal jetzt in Bezug auf Niedersachsen, denn Jüttner ist ja kein ganz Rechter?
Jannine E. Hamilton: Wie gesagt, meine Meinung ist, dass es momentan keinen fähigen Koalitionspartner gibt. Also ich bin ja nicht ohne Gründe aus der SPD auch in Niedersachsen ausgetreten. Es würde mich wundern, wenn jetzt in den nächsten zwei Jahren die SPD so weit nach links ’rüberwanderte, dass die Überschneidungen so groß sind, dass man mit ihr koalieren könnte. Das ist meine persönliche Meinung. Ich sehe im Moment keinen Koalitionspartner. Übrigens noch einmal zur vorigen Frage. Der „Sündenfall“, wenn man das Wort nehmen will, hat schon vorher begonnen, wie einige ganz prominente Beispiele aus der rot-grünen Regierung zeigen, die äußerst kritikwürdig sind. Also momentan sehe ich keinen Koalitionspartner. Regieren, Mitregieren mit einem Koalitionspartner, der so aufgestellt ist, wie es die anderen Parteien momentan sind, das hielte ich für einen Fehler. Da ich keine Glaskugel habe, kann ich auch keinen weiteren Blick in die Zukunft werfen.