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Kategorie: Presse 2007
HANNOVERSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG

Hannover. Diether Dehm weiß, wie man sich richtig in Szene setzt. Früher hat er Künstler zu Stars gemacht, Musiktitel geschrieben und Sportler vermarktet. Heute leitet der phantasiebegabte 57-jährige Bundestagsabgeordnete den niedersächsischen Landesverband der Partei Die Linke. Auch das ist eine schwierige Marketingaufgabe, denn im Grunde stehen die Delegierten für gegensätzliche Richtungen. Doch Dehm gelingt es beim Landesparteitag in Hannover, sie vor einer Zerreißprobe zu bewahren.
Die Linke, die zu gleichen Teilen aus der alten PDS und der alten WASG besteht, weiß nicht recht, wie sie es mit der SPD halten soll. Koalieren oder Fundamentalopposition? Schon in 140 Tagen sind Landtagswahlen, die Linke muss spätestens dann eine Antwort geben. Der findige Dehm hat einen Ausweg: Er schlägt vor, die Basis entscheiden zu lassen. “Wenige Stunden“ nach der Landtagswahl solle sich die Linke in einem riesigen Saal mit Betriebsräten, Gewerkschaftern, Friedens-, Umwelt-, Studenten- und Elterninitiativen zusammensetzen und über die eigene Strategie beraten. “Erst anschließend sollten wir uns entscheiden.“ Als Dehm das vorträgt, applaudieren die Delegierten zufrieden – und prompt ist das heikelste Streitthema entschärft. Zur Freude der Hardliner fügt er noch einen markigen Satz hinzu: “Eine Koalition mit dieser SPD ist ebenso wenig vorstellbar wie zumutbar.“
Dehms jüngstes Kunststück ist gelungen: Nach diesem Landesparteitag hält sich die Linke alle Optionen einer Zusammenarbeit mit der SPD offen, besänftigt aber gleichzeitig die internen Koalitionsgegner. Damit stellen sich die Niedersachsen weitaus geschickter an als ihre Genossen im benachbarten Hessen. Dort war ein Gewerkschafter, der erst Spitzenkandidat für die Landtagswahl werden wollte, vom Parteitag abgeblockt worden, nachdem er ein Bündnis mit der SPD für möglich gehalten hatte. Eine Führungskrise war die Folge, die erst an diesem Wochenende behoben werden konnte. Die Niedersachsen sind von derlei Problemen noch weit entfernt. Erst im November soll die Landesliste für die Landtagswahl aufgestellt werden, und bei der jetzigen Vorstandswahl ist es zunächst hervorragend gelungen, die Wogen zu glätten.
Genügend Reibungspunkte gibt es in diesem Landesverband auch, aber sie treten beim Gründungsparteitag nur ansatzweise zutage: Die gut 200 Delegierten, die sich in Hannover in der muffigen Siebziger-Jahre-Atmosphäre des Freizeitheims Ricklingen getroffen haben, sind ein bunt gemixter Haufen aus altgedienten, teils ergrauten Gewerkschaftssekretären, langjährigen Friedensaktivisten und Atomkraftgegnern, Feministinnen, jungen Studenten und langjährigen Kommunisten. Viele, die vom WASG-Flügel stammen, sind tief enttäuscht von ihrer alten Heimat SPD und wollen mit ihr nie mehr etwas zu tun haben. Der PDS-Flügel vereint in sich schon mehrere Strömungen. Da gibt es die linken Dogmatiker, die – wie Dehm – stets das marxistische Erbe hervorheben. Es gibt junge Pragmatiker, die vor allem im Kreisverband Hannover stark sind, und es gibt die Gruppe der früheren DKP-Kommunisten, die sich mehr oder weniger von ihrer alten Systemopposition entfernt haben.
Zunächst hatte es so ausgesehen, als würden die Gegensätze mit voller Wucht aufeinanderprallen – dann aber löste sich alles in Wohlgefallen auf. Edmund Worgul von der WASG, der sich mit Dehm eine Kampfkandidatur um den Vorsitz bieten wollte, zog überraschend zurück, und auch beim zweiten, weiblichen Vorsitzposten blieb es bei einer Bewerberin. Dann hält der junge Kreisvorsitzende von Hannover, Jörn-Jan Leidecker, ein flammendes Loblied auf Dehm, obwohl der doch parteiintern einem anderen Grüppchen zugerechnet wird.
Am Ende bekommt das Vorstands-Duo respektable Ergebnisse – 82 Prozent für den ehemaligen PDS-Mann Dehm, 84,9 Prozent für seine Kollegin Kreszentia Flauger, die früher bei der WASG war. Dehm, der noch vor wenigen Jahren in der PDS zu den großen Polarisierern zählte, nennt diese neue Einigkeit das Ergebnis des “niedersächsischen Weges“: “Wir müssen parteiintern den Andersdenkenden immer mit seinen verletzten Augen betrachten.“ Andere führen die Resultate auf einen “Stillhaltepakt“ zurück: Vor der Landtagswahl will die Linke Geschlossenheit zeigen, man hat sich aber verständigt, schon in einem Jahr einen neuen Vorstand zu wählen.
So halten sich die Proteste bei diesem Parteitag in Grenzen. Die lautesten Einwände ertönen zur Mittagszeit, als einige Delegierte in der stickigen Luft der fensterlosen Tagungshalle eine Pause fordern: “Wir brauchen frische Luft!“, ertönt es, und: “Schaut denn niemand von euch auf die Uhr?“ Die Satzungsfragen gehen ohne größeren Streit über die Bühne. Am Ende fühlt sich der Politfuchs Dehm in seinem roten Pullover sogar ermuntert, eine, wie er es nennt, “inhaltliche Kursbestimmung des Landesverbandes“ vorzunehmen: Der Verband stehe “an der Seite von Oskar Lafontaine“, ruft er in den Saal, und zur niedersächsischen SPD hat Dehm auch noch Anmerkungen. Wolfgang Jüttner könne sich “seiner eigenen Wahl im Landtag nicht sicher sein“, zumal nicht er bei den Sozialdemokraten den Ton angebe, sondern Sigmar Gabriel, Gerd Andres und Hubertus Heil – letzteren verulkt Dehm dabei als “Hubertus Unheil“. Nach Ansicht des Vorsitzenden können “Schwarz-Gelb und der Laden von Jüttner nur dann ins Schwanken geraten, wenn wir in den Landtag kommen“.
Jüngste Umfragen geben der Partei rund drei Prozent, es bleibt also noch etwas aufzuholen. Mit welchem Personaltableau die Linke in den Wahlkampf startet, ist bisher offen. Dehm gehört dem Bundestag an, wird also nicht kandidieren. Flauger dürfte auf der Liste einen Platz bekommen. Über den Anwalt und früheren DKP-Mann Hans-Henning Adler aus Oldenburg wird geredet, nicht jedoch als Spitzenkandidaten.
Pünktlich zum Parteitag hatte das “Neue Deutschland“, einst offizielles Organ der PDS-Vorgängerin SED, weitere Namen hinzugefügt: die 28-jährige Studentin Maren Kaminski aus Hannover und der 38-jährige Göttinger Sozialpädagoge Patrick Humke. Auch über den hannoverschen Buchautoren Manfred Sohn wird spekuliert, der früher auch mal in der DKP war. Wer am Ende wo auf der Liste steht, muss noch ausgekungelt werden. Nur scheint es wahrscheinlich, dass sich die unterschiedlichen Lager intern wieder zusammenraufen. Der “Stillhaltepakt“ läuft schließlich noch weiter