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Kategorie: Presse 2008
Von Klaus Wallbaum und Reinhard Urschel
Hannoversche Allgemeine Zeitung [HAZ] - 29.01.2008


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Diether Dehm und Kreszentia Flauger
Foto: Heusel
Hannover/Berlin. Die Freude des Wahlabends im Berliner Karl-Liebknecht-Haus ist am Montag einer eifrigen Geschäftigkeit gewichen. Die Linken hatten in ihrer Parteizentrale im Osten der Stadt genug zu tun, den Genossen in Hessen und Niedersachsen beim Aufbau der parlamentarischen Kader Unterstützung angedeihen zu lassen. Nur spricht man eben nicht mehr so, man sagt stattdessen, die Linke sei jetzt „endgültig im Westen angekommen“.
Eine einsame, keineswegs unbedeutende Stimme meldete sich mit Bedenken zu Wort. Der Direktor der Stasi-Opfer-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, klagte, die Wiederbelebung „überkommener staatssozialistischer Vorstellungen und die Verharmlosung der SED-Diktatur“ nähmen durch den Wahlerfolg der Linken weiter zu. Ehemalige Verfolgte hätten das Gefühl, dass die Deutschen aus ihrer Geschichte nichts gelernt haben und die „alten Kader wieder auf dem Vormarsch sind“.
Dabei will die soeben in Niedersachsens Landtag gewählte Linkspartei durchaus neue Sitten einführen: Heute, am Dienstag, lädt die elfköpfige neue Fraktion für den Abend zu einem „Großen Ratschlag“ in ein hannoversches Freizeitheim ein. Gemeinsam mit Gewerkschaftern, Umweltinitiativen und anderen Protestbewegungen will man darüber reden, „wie gesellschaftliche Gruppen stärker auf die Politik einwirken können“. Anders gesagt: Man lässt die Basis zu Wort kommen.
Das klingt ganz ähnlich, wie es die Grünen vor 25 Jahren gemacht haben. So ist es auch gemeint. „Wir wollen darüber diskutieren, wie man das, was auf der Straßen diskutiert wird, besser in die Parlamente bekommt“, sagt Manfred Sohn, der neben Tina Flauger Spitzenkandidat der Linkspartei für die Landtagswahlen war. Die Linken als neue politische Kraft, die frischen Wind in die Politik bringen sollen? Mit dem Erfolg in Hessen und vor allem in Niedersachsen, wo die Partei aus dem Stand heraus 7,1 Prozent erreichte, hat die Linke enorm an Selbstbewusstsein gewonnen. „Wir würden uns freuen, wenn auch Vertreter von SPD und Grünen zu unseren Sitzungen kommen“, sagt Sohn mit frechem Unterton. Und er fügt hinzu: „Wir sind zähe Menschen.“
Vor drei Monaten noch wäre er für solche Sätze ausgelacht worden. Anfang Januar standen die Wetten schlecht, dass die Linke in den Landtag von Hannover wird einziehen können. Erst eine Woche vor dem Wahltag kam die Wende. Plötzlich rangierten die Linken in den Umfragen bei fünf Prozent. Als Gregor Gysi und Oskar Lafontaine in Hannover auftraten, gab die Linke ein heiteres und ausgelassenes Fest. Und Bundeswahlkampfleiter Bodo Ramelow entschied sich kurzfristig, den Wahlabend in Niedersachsen zu verbringen – um den Genossen zu helfen.
Wieso gelingt nun in Niedersachsen die eigentliche Überraschung mit 7,1 Prozent für die Linke – in einem Land, das bäuerlich-ländlich geprägt ist, wo Kommunisten bisher keine Rolle spielten? Der Landesvorsitzende Diether Dehm, ein alter Fuchs im Politgeschäft, erklärt das mit der klaren Ausrichtung auf eine pfiffige Oppositionsrolle. Während es in Hessen immer auch um die Perspektive auf einen Machtwechsel gegangen sei, bei dem die Linke als Mehrheitsbeschaffer hätte benötigt werden können, habe sich die Partei in Niedersachsen von Anfang an auf die Opposition festgelegt. Damit konnten die Linken offenbar Protestpotenzial abfischen, das sonst zu anderen radikalen Parteien gegangen wäre. Die niedrige Wahlbeteiligung kam ihnen außerdem zugute, denn die Wähler der Linken gelten als treu, weil die meisten von ihnen aus voller Überzeugung oder aus geharnischtem Protest ihre Stimme abgeben. Schließlich hat auch die Schwäche der SPD, anders als in Hessen, der Linken hier Raum gelassen.
Dabei sind Niedersachsen und Hessen für die Linkspartei nur Bausteine auf ihrem Weg zur bundesweiten Präsenz. Die Partei, die im Westen seit Mai 2007 in Bremens Parlament und im Osten seit Langem in allen Landtagen vertreten ist, verfolgt in den nächsten Jahren in Ost und West ehrgeizige Pläne:
l Sachsen: Hier hegt die Linke ganz große Hoffnungen. 2009 wird in Sachsen gewählt, danach will die Linkspartei endlich mitregieren. Seit 1990 ist sie im Landtag vertreten und seither stets in der Opposition. Zuletzt holte sie 23,6 Prozent und stellt damit 31 Abgeordnete.
l Brandenburg: Auch in der angeblichen „kleinen DDR“ ist die Linkspartei seit der Wiedervereinigung im Landtag vertreten. Ihren Stimmanteil hat sie stetig ausbauen können, von 13,4 Prozent (1990) auf 28 Prozent (2004). Die CDU ist schwach, die SPD wäre ohne Matthias Platzeck nur die Hälfte wert. Hier liegt ein Feld brach zum beackern. Gewählt wird im Herbst 2009.
l Thüringen: Im Thüringer Landtag sind mit CDU, SPD und Linkspartei nur drei Fraktionen vertreten. Bei der letzten Landtagswahl 2004 holten die Linken 26,1 Prozent der Stimmen und wurden damit hinter der CDU zweitstärkste Kraft. Die CDU, die seit 1999 allein in Thüringen regiert, musste damals herbe Stimmverluste (acht Prozentpunkte) hinnehmen, während die Linken deutlich zulegen konnten. Die heimliche Hoffnung der Linken: In Brandenburg oder Thüringen stärkste Kraft zu werden und den ersten sozialistischen Regierungschef zu stellen.
l Saarland: In „Oskar-Land“ wird voraussichtlich im Herbst 2009 gewählt. Lafontaine wird mit Gewissheit als Spitzenkandidat antreten, „dehäm“, wo er schon Saarbrücker Oberbürgermeister war und Ministerpräsident. Er hat persönlich noch viele Anhänger im Saarland, seinen ehemaligen Genossen von der SPD gilt er als rotes Tuch. Ein Comeback als Regierungschef ist damit so gut wie ausgeschlossen.
Aber viele Linkspartei-Mitglieder haben zweifellos langen Atem, und etliche haben auch lange Erfahrungen mit dem „langen Marsch“ durch die Institutionen. Dabei bleibt auch interessant, wie die Bündnispartner der Linkspartei aussehen. In Niedersachsen beispielsweise holt diese Gruppierung ganz weit nach links aus. Die Deutsche Kommunistische Partei, die offen auf Distanz zum politischen System der Bundesrepublik steht, rief vor der Landtagswahl ihre Anhänger zur Wahl der Linkspartei auf. Die neue Landtagsfraktion verspricht also, einige Spannung in das Landesparlament zu bringen.