Über Seltsamkeiten und Personalien im Vorfeld des Dresdner Linksparteitages, Seilschaften und Diskussionen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Gespräch mit Diether Dehm*

http://www.jungewelt.de/2005/12-07/027.php
Interview: Jürgen Elsässer - 07.12.2005

*Diether Dehm (55) trat 1998 nach 33 Jahren SPD-Mitgliedschaft in die PDS über, war fünf Jahre stellvertretender Parteivorsitzender und ist jetzt für die Linkspartei im Bundestag
F: Joseph Fischer hat Sie in seinem Abtanz-Interview in der taz einmal als einen der »Klabautermänner der Linkspartei« bezeichnet: »Schiffe, auf denen Dr. Diether Dehm anheuert ... da würde ich sofort abheuern.«
Daß Fischer freiwillig abheuert, wo ich bin – das hat mich mit gewissem Stolz erfüllt. Denn er weiß: da fliegt schon mal ein verfassung-brechender Imperialistenknecht über Bord.
F: Woher kommt die herzliche Feindschaft Fischer–Dehm?
Wir kennen uns recht gut, seit er für die Grünen und ich für die SPD die ersten Schritte zu Rot-Grün in Hessen 1986 etwa im Frankfurter Nordend, na ja, konspiriert hatten. Später wurden wir Gegenkandidaten im Frankfurter Bundestagswahlkreis. Früher wollte ich ihm nicht glauben, wenn er rumgeröhrt hat, er sei Antikommunist. Aber er offenbarte sich bald als Linkenfresser und Anarcho des ungehemmten Markts.
F: Und Dehm?
... vertritt nach wie vor die Theorie vom Staatsmonopolistischen Kapitalismus, das Bündnis von Proletariat mit Kleinbürgertum, perspektivisch die Vergesellschaftung von Daimler, Deutsche Bank und Co. nach Artikel 15 Grundgesetz und eine demokratische, sozialökologische Planwirtschaft.
F: Und deswegen sind Sie dafür, daß die Linkspartei auch Doppelmitgliedschaften mit der DKP erlaubt?
Ich halte nix davon, bewährte betrieblich und kommunalpolitisch verankerte Aktivisten der DKP, die heute auch in der WASG sind, bei uns nicht eintreten zu lassen. Diese Parteineubildung muß auch historische Lehren ziehen, etwa aus dem linken Antikommunismus. Die Mehrheit gegen die DKP-Doppelmitgliedschaft in unserem Parteivorstand kürzlich war mit einer Stimme übrigens äußerst knapp.
F: Aus dem Parteivorstand hört man, ein auch von Oskar Lafontaine unterstützter Vorschlag sei abgelehnt worden, nämlich den Iraker Haj Ali, den »Kapuzenmann von Abu Ghraib«, zum Dresdner Parteitag am kommenden Wochenende einzuladen. Warum?
Es ging offensichtlich darum, Haj Ali, dessen Bild als gefoltertes CIA-Opfer zum Symbol des Widerstands in Millionen Hütten des Nahen Ostens geworden war, zu unserem Parteitag einzuladen. Im Parteivorstand kam dagegen das merkwürdige Argument, der Kapuzenmann sei in einer Unrechtsstaatspartei, der Baath, gewesen. In der war ein großer Teil der Iraker. Ich fände es grotesk, wenn ihn der Stern zum Interview und sogar österreichische Jusos einladen können, aber nicht wir.
F: Angeblich soll Horst Kaas, der erste Mann beim Berliner Linkspartei-Bürgermeister Harald Wolf, neuer Leiter der Grundsatzabteilung der Linkspartei werden. Kaas soll die aktive Duldung der Berliner Linkspartei für das Ja von Wowereit zur EU-Verfassung im Bundesrat maßgeblich eingefädelt haben.
Die einmütige Entscheidung des Parteivorstands lief, wie ich hörte, eindeutig auf Harald Werner hinaus. Ich weiß seither nichts anderes und denke von daher, weder Dietmar Bartsch noch Lothar Bisky werden an Werners Kompetenz vorbei wollen.
F: Auf dem Geraer Parteitag 2002 eroberten Gabi Zimmer, Uwe Hiksch und Sie die wichtigsten Parteifunktionen – aber ein halbes Jahr später waren Sie alle schon wieder gestürzt. Wie kamen Sie dann wieder ins Spiel?
Gegen Hinterzimmer-Machtzirkel mit ihren bürokratischen Tricks und Fallenstellereien hast du nur inhaltlich eine Chance. Die Kräfteverhältnisse in der PDS haben sich im Zusammenhang mit der Debatte um die EU-Verfassung wieder nach links verschoben. Noch im Sommer 2003 nahm der Parteivorstand mit breiter Mehrheit zustimmend die Unterschrift der Europaabgeordneten Sylvia-Yvonne Kaufmann unter dem Verfassungsentwurf des Konvents zur Kenntnis. Im Laufe des Jahres 2004 gelang es Linken bis ins Zentrum, daß sich die gesamte PDS inhaltlich mit dem militaristischen, neoliberalen Entwurf auseinandersetzte. Allmählich entstand eine Mehrheit für das Nein. Gegen Berlin und den Parteivorstand wurden dann vor den Wahlen zum Europa-Parlament die aussichtsreichen Listenplätze für Sahra Wagenknecht und Tobias Pflüger erkämpft. Schließlich hatte die PDS in Mecklenburg-Vorpommern mutig gezeigt, was Mitregieren auch bedeuten kann: Sie zwang die Landes-SPD zur Enthaltung im Bundesrat. Nur auf dieser Grundlage war es dann auch möglich, Oskar Lafontaine – der sich ja in Paris für das »Non« im Referendum stark engagiert hatte – und die WASG für ein gemeinsames Vorgehen bei der Bundestagswahl zu gewinnen. Ohne das Nein zum EU-Vertrag hätte es die gemeinsame Bundestagsliste nie gegeben. Mindestens genausowichtig war dabei das Mitwirken bei den breiten Proteste gegen Sozialabbau und vor allem die Montagsdemos gegen die Agenda 2010.
F: Beim Thema Auslandseinsätze der Bundeswehr erscheinen mir die Linksfraktion und auch Sie selbst nicht ganz koscher.
Warum? Weil ich auf dem Münsteraner Parteitag 2000 dafür votiert habe, daß die UNO in Osttimor interveniert hatte? Das haben die Genossen der osttimoresischen Befreiungsbewegung FRETILIN erbeten, alle kommunistischen Parteien inklusive der KP Kubas und die gewiß nicht wankelmütige KP Portugals waren dafür. Jetzt aber, wo André Brie unser Heer in Afghanistan lobt, wo Nicht-PDS-Kenner und Neumitmacher wieder mit dem UNO-Speck in die NATO-Falle gelockt werden sollen, bin ich im Nachhinein fast froh, daß der Münsteraner Parteitag beim generellen Nein zu Auslandseinsätzen geblieben ist. Als Abgeordneter fühle ich mich im übrigen an Parteibeschlüsse gebunden – auch in Fällen, wo ich persönlich vielleicht anderer Ansicht bin.