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Kategorie: Presse 2006
Bushs Kuba-Plan und die Reaktion der Kubaner

000_0039.jpg (ND 14.8.06 ungekürzt) - Von Diether Dehm z.Zt. Havanna - 15.08.06
* Der Autor ist Mitglied der Fraktion DIE LINKE im Bundestag. 
http://www.nd-online.de/artikel.asp?AID=95448&IDC=2
(gekürzte Version)

Der Zeitpunkt der Erkrankung kam ausgesprochen ungelegen. Für Fidel Castro. Wegen seines 80.Geburtstags und der Absage an ein paar Tausend internationaler Feierfreunde und Reisekader. Aber: wäre es Condoleezza Rices Darm, auch sie hätte die Blutung nicht schlechter einrichten können. Als sie postwendend mit böser Miene zu gutem Spiel die kubanische Bevölkerung „zum demokratischen Wandel“ aufrief, ging das einfach so vorbei. Nicht nur an dem Körperteil, das in Havanna wedelt und tanzt. Zum Beispiel beim Live-TV-„Konzert fürs Vaterland“ am Samstag. 70 000 überwiegend Jugendliche feierten mit dem künstlerisch Besten, was Kuba zu bieten hat, von 20.30h bis 4hfrüh in Fidels Geburtstag hinein. Und das auf der „tribuna antiimperialista“, jenem Platz vor der US-Botschaft, von der aus permanent antirevolutionäre Slogans als Leuchtbandarolen in Richtung Malecon flimmern. Aber Fidel hat kürzlich 138 gigantische Flaggen davor stellen lassen. Für 138 Jahre Unabhängigkeitskampf. Und jetzt kann man die Dioden (von der Qualität „Die Insel will die Wende“) nur mit gekniffnen Augen lesen, leuchtet die Botschaft ins Leere.
Fernando Remirez de Estenoz Barciela ist ein sportlich-schlanker Mittvierziger. Er ist als Hauptabteilungsleiter im ZK für internationale Beziehungen erster, hochrangiger Gesprächspartner für uns als MdBs. Er kann, wenn er sich Mühe gibt, bescheiden und nachdenklich aussehen. Aber an diesem 11.August  im ZK-Gebäude brauchte er das nicht. Die Produktion ging allein im letzten Jahr um 11,8% (BiP) nach oben. Sogar der Stand von vor 1989 ist wieder erreicht. Nein, es waren gerade nur ein paar hundert Fratzen, die aus Miami via Medien herübergefeixt hatten. Von 600 000 Ex-Kubanern, die dort wohnen.

Der Dollar ist nur noch 25 Pesos wert (im Unterschied zu 1993: da waren es noch 150). Das heisst: der einheimische Peso ist sechsmal stärker geworden in diesen 13 Jahren. Seitdem 1993 der Zusammenbruch des RGW-Handels (damals waren dies 85% der kubanischen Wirtschaft!) vollends auf den Inselalltag durchgeschlagen war, ging die kubanische Wirtschaft nach oben. Jüngst gar rasant. Trotz und mit den öffentlichen Investitionsschwerpunkten: Bildung und Gesundheit. Ohne ein Krankenhaus zu schliessen oder eine medizinische Versorgung zu privatisieren. Weder eine einzige Krankenschwester noch ein Lehrer wurde entlassen. Damals, 93, kamen grade noch 6% am Öl- und Gasverbrauch in Kuba aus Kuba. Heute sind es 44%. Und jetzt gibt es noch Chavez und Morales. Und zusätzlich vor der kubanischen Küste: neues Öl.
Bush hat vor einem Monat einen neuen Cuba-Plan vorgelegt. Und mit der Darmkrankheit liess er Castro kurzerhand für tot erklären. Dann wartete er auf Havanna. Wenigstens auf ein paar Hundert Protestierende. Ohne die würde sein Plan um die Pointe gebracht. Meint Fernando Remirez und spekuliert den geheimen Teil III des Bushplans, der dann die US-Army und terroristische Anschläge ins Spiel bringen will. Aber die Leute in Havanna arbeiten, essen und tanzen. Und die auf dem Land meinen sowieso eigenen Grund und Boden, wenn sie von „Defendiendo la revolucion“ reden. (Auch ein Unterschied zur DDR: die KP sucht hier die Mythen von Kleinbesitz auf ihre Seite zu bringen.)
Sicher: das Einkommen der Kubaner – auch das der Politiker – ist für deutsche Verhältnisse ein Taschengeld. Aber Kindergarten, Schule und Gesundheit sind kostenlos. Und 85% sind Eigentümer ihrer Wohnung. Die Restlichen zahlen maximal 10% ihres Gehalts für Miete.
Die Energie ist subventioniert. Der 8-Stunden-Tag in der Landwirtschaft ist festgeschrieben, wird aber da deutlich unterschritten. Fernando Remirez zuckt die Schultern und hat den Anflug einer Zornesfalte, die sich gleich wieder aufhellt: Arbeitslosigkeit sei seit der Neunzigerkrise von 8 auf 2% gesenkt. In diesem Jahr würden 100 000 neue Wohnungen gebaut, 100 000 neue Ärzte ausgebildet. 20 000 tun jetzt schon solidarischen Dienst in ganz Lateinamerika.
Dann fragt er mich, ob ich in den Tagen seit der Ankunft einen Stromausfall erlebt hätte. Ich darf wahrheitsgemäss verneinen. Jetzt strotzt er vor Selbstbewusstsein: „Wir produzieren 1000 Megawatt mehr als im Vorjahr. Das Stromversorgungsnetz wurde ausgebessert, sodaß ein 18%iger Verlust auf 12% reduziert werden konnte. Und: „Wir haben 10 Millionen alte Glühbirnen im Volk gegen Stromsparbirnen ausgetauscht. Völlig kostenlos.“
Aber Fernando Remirez gefällt sich nicht als Schönredner: „Wir haben immer noch große Probleme“. Für Kuba sind die Nickelproduktion und ihr Export von großer Bedeutung. Den will der neue Bushplan nun ganz abwürgen. Toyota, Daimler und andre Konzerne müssen neuerdings in USA zertifizieren, daß nicht ein Milligramm Nickel aus Kuba eingebaut ist in den Pkw-Stahl. Sowas trifft.
Aber dann hat Bush einen Gouverneur für Kuba benannt. Caleb McCarry heisst der Schattenkommandant. Der liess im Mai vom hessischen Oberursel aus ein Programm verlauten für das Kuba nach dem Commandante: „Alte an den Bau!“ Kuba ist demographisch sehr alt, 15% sind über 60 Jahre. Die Begeisterung bei den Rentnern angesichts der Fassadenrisse auf der Insel hielt sich in Grenzen. „McCarry“, schreibt Alexander Osang im „Spiegel“ letzter Woche, sähe aus „wie ein Kartoffelbauer aus Idaho“. Aber es muss auch in Idaho Kartoffelbauern geben, die Kinder nicht zweimal für das Gleiche impfen wollen. Die Kindersterblichkeit in Kuba ist sogar geringer als in den USA. Mit 13 Impfungen pro Kind unter Castro. McCarry will Kinder nun „endlich impfen lassen“. Der Mann möchte Krankenschwestern entlassen und auch alles andere „auf Rentabilität“ abklopfen.“ Jedoch dazu müsste er es etwas kennen.
Aber selbst im politischen Nichts lässt sich nicht folgenlos schwadronieren. McCarry und Bush haben es jetzt sogar geschafft, die Exilkubaner zu verärgern. Weil sie ihnen verbieten, unbegrenzt Dollars an ihre Verwandten auf die Insel zu überweisen. Jetzt muss jede Finanzzuwendung an der US-Zensur vorbei über Mexiko geschmuggelt werden. Und das kostet Extragebühren.
Castro hat mit jedem linken Wahlgewinner in Lateinamerika auch einen Umweg mehr gegen den Boykott. Jetzt kam Chavez sogar zum Geburtstag ans Krankenlager. Der „Spiegel“ nennt Castro für den Kontinent „halb Gott und halb Kanonenkugel“. Rice und Bush würden dann, wenn er stirbt, gegen einen Geist kämpfen müssen, einen „Unsterblichen“ .Marketinggenie wurde bereits bei Che demonstriert, an einem Charisma, wo einer nicht unterzukriegen war. Castro selbst hat mittlerweile 10 US-Präsidenten erlebt, „ebenbürtig, wenn nicht größer als alle zusammen“ -das schreibt der „Spiegel“, der es nicht mitansehn kann, wie das Weisse Haus die Kommunisten auf Kuba immer stabiler macht. Seit Mario Soares kommt die europäische Konterrevolution auf sozialliberalen Sohlen geschlichen, nicht mit Bushs Krummsäbel.
Aber: die Gelassenheit bei Remirez und den anderen Nachgeborenen der Revolution kommt auch daher, dass es der Insel so viel besser geht. Und das ist ihr Thema. Mehr, als die Revolutionslyrik der Alten. Dabei wissen sie: ihre Erfolgslitanei kommt, weil Castro Kubas Isolation in Lateinamerika so nachhaltig durchbrochen hat. Und das liegt auch an Chavez. Solange Fidelfreunde Wahlen gewinnen, gehn dem Handelsboykott gegen Kuba allmählich die Zähne aus.
Meinungsfreiheit wie in Deutschland gibt es ebenso wenig wie Volksmusik a la Deutschland. Aber wenn am Geburtstag mehr als ein KP-Funktionsträger mir laut sagt, Fidel solle sich doch jetzt mehr schonen, dann ist die Botschaft deutlich: Castro soll die großen Botschaften des jungen, modernen, linken Lateinamerika weitertragen, aber seine Nase nicht mehr in jeden Termitenhügel der Insel stecken. Mit der Krankheit konnte ich Angst bis gestern spüren und wie die Bevölkerung in Havana zusammenrückt. Soeben kam dann Fidels dritte Erklärung vom Hospital, er käme viel früher zurück, als gedacht. Bis dann wird er aber mehr zu delegieren gelernt haben. Und das werden ihm nicht nur seine Ärzte sagen. Dreiste Zungen behaupten bereits, Fidel habe seine Krankheit wie eine Generalprobe bewusst in diese wirtschaftliche Aufschwungsphase gelegt. Aber: mag der alte Fuchs sich auch jeden Winkel seiner Republik auf den Schreibtisch holen können. Dieser Achtzigste gemahnt auch ihn der Endlichkeit des Materiellen. Sich also auch des Kubas zu erfreuen, nach ihm. Zumal seine Widersacher offenbar keine Ideen haben, die - zur materiellen Gewalt werdend - Massen ergreifen könnten.