Diether Dehm ist eine schillernde Gestalt auf der Schnittstelle zwischen Kulturbetrieb und politischem Aktivismus. In diesem Essay beschreibt er Erfahrungen aus drei Jahrzehnten der politischen Benefizkultur. Der Artikel erschien das erste Mal in der Meldodie und Rhythmus.
Um ganz unten zu beginnen: meine übelste Benefiz-Erfahrung war eigentlich Brockdorf 1979. Die Anti-Atombewegung befand sich damals in ihren Anfängen, die zahlreichen kommunistischen Gruppen und Grüppchen der westdeutschen 68er-Linken hatten sich noch nicht in die Grünen aufgelöst und der Kampf gegen den Neubau eines Atommeilers mobilisierte Zehntausende in die Elbmarsch. Beim großen Benefiz war dann der Platz bestens gefüllt. Auf der Bühne stand ein großartiges Künstleraufgebot - und am Ende gab es ein gigantisches Loch in der Kasse. Ein paar Geschäftemacher hatten sich gekonnt bereichert, möglicherweise kam auch ein gewisser Dilettantismus bei der Kassenführung hinzu. Das Atomkraftwerk in Brockdorf wurde trotz unseres massenhaften Anrennens gegen den Bauzaun durchgesetzt – und auch das dazugehörige Benefiz hinterließ die bittersten Gefühle.
Der größte Benefiz-Erfolg, den ich miterlebt habe, war wenig zuvor „Rock gegen Rechts“ in Frankfurt am Main. Die NPD hatte sich damals vorgenommen, diese Hochburg der westdeutschen Linken zu brechen und marschierte ab Jahr für Jahr auf. Auch der Widerstand gegen diese Aufmärsche nahm jährlich zu, aber der Durchbruch kam, als wir durch ein großangelegtes Festival mehrere Zehntausend auf die Beine brachten und die Mobilisierung dadurch in ganz neue Bereiche vordrang.
Wie sah nun die Einbettung dieses Festivals in die Bewegung aus? Was den organisatorischen Vorlauf anbetrifft, bekam jede Organisation und Initiative, die wir ins Festivalkomitee akzeptiert hatten, je eine Stimme – mit einer Ausnahme. In schlechter antikommunistischer Tradition durfte zwar die „Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend“ (SDAJ) mitmachen, aber die DKP nicht, obwohl gerade die DKP eine Menge Arbeit weggetragen hat. Überhaupt ist mir damals übel aufgestoßen, dass es einen der Sache ziemlich unangemessenen, aber letztlich leider erfolgreichen Antikommunismus gab. So setzten die beiden Frankfurter Spontis Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit durch, dass bei unserem Festival keine politischen Reden von der Bühne herab gehalten werden würden. Dies ging zum Teil zu Lasten von Antifaschisten, die von ihren KZ-Erfahrungen berichten wollten. Ich war damals Vertreter der sozialistischen Jugendbewegung „Die Falken“ und wollte beispielsweise, dass Emil Carlebach, ein jüdischer und kommunistischer Buchenwald-Häftling, auf der Bühne steht. Das wurde mit knapper Mehrheit niedergestimmt, teilweise im Festivalkomitee aber auch niedergeschrien.
Immerhin: die Mobilisierung für Gegendemo und Festival lief auf Hochtouren und beide Ereignisse waren in dem Ziel, die NPD zu stoppen, absolut vereinigt und am Ende auch erfolgreich.
Rock gegen rechts
Bei einem Bierabend mit Jutta Ditfurth und einem weiteren Genossen, hatten wir für das Festival den Namen „Rock gegen rechts“ aus der Taufe gehoben. Zur zentralen Benefiz-Veranstaltung am Tag des NPD-Aufmarschs wurde schon im Vorfeld durch zahlreiche dezentrale „Rock gegen rechts“-Veranstaltungen mobilisiert. Das würde ich grundsätzlich empfehlen, um eine regionale Verwurzelung zu erreichen, die auch nach dem Großereignis noch ihre Spuren in den kleineren Städten und Gemeinden hinterlässt. Über das Großereignis hinaus muss etwas strukturellen Nachhall haben, sonst ist es eigentlich gar nicht gewesen.
Frankfurt am Main war seinerzeit eine Hochburg linksradikaler Pseudo-Militanz. Joschka Fischer höchstpersönlich kommandierte damals die sogenannte „Putzgruppe“, eine auf Straßenkampf gedrillte Schlägertruppe. Nachdem man im Vorbereitungsbündnis jegliche Redebeiträge beim Festival effektiv verhindert hatte, tauchten die Fischer-Truppen beim „Rock gegen rechts“-Konzert urplötzlich in schwarzen Anzügen auf, nannten sich Hausbesetzer, liefen rum und agitierten die Rockmusiker, doch für die lieben sympathischen Hausbesetzer Redezeit einzuräumen.
Vor diesem ebenso trickreichen wie rücksichtlosen Schachzug kann man zwar den Hut ziehen. Somit bekamen das „Rock gegen Rechts“-Festival aber eine sehr einseitige Prägung. Und dieses Verhalten unseres damals noch anderweitig militanten, späteren Kriegsministers sollte sich als zukunftsweisend herausstellen. Robuste Tricksereien dieser Art bewährten sich auch auf manchem späteren Parteitag. Aus den Frankfurter „Spontis“ wurden nämlich bald die Grünen – und wer einmal von unseren Geheimdiensten, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst, auf die Schwarze Liste gesetzt worden war, sollte künftig auch bei Grünlich-Linken Benefiz-Veranstaltungen nicht mehr reüssieren dürfen. Diese Grundhaltung wurde auch gegen verdiente und großartige Künstler wie Franz Josef Degenhardt gnadenlos durchgehalten.
In gewissem Sinne beweisen aber gerade diese Vorkommnisse, wie sehr „Rock gegen rechts“ in die außerparlamentarische Bewegung – mit all ihren schönen und weniger schönen Aspekten – eingebunden war. Und dieses Festival war wirklich eine reine Benefiz-Veranstaltung. Wenn ich mich richtig erinnere, hat überhaupt nur der Frankfurter Jugendring, in dem wir als „Die Falken“ saßen, Geld dazugegeben. Ansonsten hat die SDAJ die Aufgabe übertragen bekommen, mit ihrem Button-Apparat „Rock gegen rechts“-Buttons zu prägen, die dann für fünf Mark verkauft wurden. In diesen Tagen wurde in Frankfurt jeder strafend angesehen, der keinen Button trug. Ansonsten basierte alles auf einem Prinzip der absoluten Freiwilligkeit. Allerdings mussten die Stände, so dort irgendetwas Kommerzielles verkauft wurde, Standgebühr bezahlen.
Damit konnten wir die notwendigsten Spesen für die Bands auftreiben. Darüberhinaus wurde seitens der Künstler komplett umsonst aufgetreten, aber gewisse taktische Überlegungen waren doch bei einigen erkennbar vorhanden. Der liebe Genosse Udo Lindenberg zum Beispiel wartete bis zur letzten Sekunde, ob genug Publikum kommen würde. Seine Band war unter anderem Namen im Programm platziert, so dass er sehr kurzfristig entscheiden konnte, ob er auftrat. Wir mussten also auf dem Konzertplakat, das wiederum von Jutta Ditfurth wunderbar gestaltet worden war, bei Lindenberg immer „angefragt“ oder ein Fragezeichen hinter den Namen schreiben.
Am Ende ist Lindenberg doch aufgetreten. Er konnte allerdings nicht verhindern, dass ihm die Bots mit „Aufstehen“ und „Was wollen wir trinken?“ den Rang der Stars dieser Bewegung deutlich abgelaufen haben. Überhaupt war der Auftritt der Holländer, den wir auch einem Tipp von Wolf Biermann verdankten, der absolute Renner am Frankfurter Rebstockgelände des Jahres 1979. Bei dem Lied „Aufstehen“, in dem ja sukzessive alle unterdrückten Gruppen des Kapitalismus und der Rechten erwähnt werden, standen allmählich immer mehr Leute von der Wiese auf. Und am Ende standen alle 50.000. Somit war zum ersten Mal eine Demonstrationsform gefunden, in der gegen Nazis ein kollektives Glücksgefühl in Stellung gebracht wurde.
Die Lieder der Bots verkörperten ein ganz anderes Lebensgefühl als der Typus antifaschistischer Gesänge, der nur in Klage und Anklage verfällt. Politische Kunst ist ja nicht nur dafür da, die Klagemauern zu bedienen, sondern einen über den Kapitalismus hinausgreifenden Glücksentwurf in Herzen und Köpfen zu vermitteln. Diese Glücksgefühle, die die Bots bei „Rock gegen rechts“ musikalisch artikuliert haben, haben wir dann auch eingebracht, als die IG Metall für eine radikale Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden die Woche mobilisiert hat. Hier sind wir mit Georg Danzer, den Bots, Klaus Lage und anderen aufgetreten und haben gefragt: was kann man mit seiner Zeit nicht an Wunderbarem anfangen, anstatt sie im Hamsterrad der Erwerbsarbeit zu vergeuden?
Die Friedensmanager
Eine noch weitaus größere Rolle spielte die Einbindung von Künstlern für Benefizkonzerte dann in der westdeutschen Friedensbewegung der 80er Jahre. Damals ging es gegen die Stationierung einer neuen Generation amerikanischer Atomraketen und diesmal konnten wir weit über die Kreise der üblichen Verdächtigen hinausgehen und Künstler für Friedenskonzerte gewinnen, die bisher nicht einmal ansatzweise als politische Künstler in Erscheinung getreten waren.
Natürlich erregte genau dieser Erfolg einigen Widerspruch. Das Auftreten einer modisch linksradikal kostümierten Truppe um wiederum Joschka Fischer, später die Zeitung Spex, Wiglaf Droste und andere führte regelmäßig zu den peinlichsten Situationen. Für diese Leute ergab sich Radikalität weniger aus den programmatischen Aussagen der jeweiligen Benefiz-Veranstaltung, sondern es war von vornherein klar: eine Veranstaltung, die von so breiten Kreisen getragen wird, kann inhaltlich weder zielklar noch in ihrer Wirkung im Entferntesten fortschrittlich sein. So wurde gegen Menschenketten als Aktionsform gehetzt, gemeinsames Singen grundsätzlich verteufelt und die Bündnispolitik etwa mit „Christen für den Frieden“ im harten Kämpferton als Weicheierei abgetan.
Als es uns endlich gelungen war, auch Leute wie Peter Maffay, Howard Carpendale und andere sehr populäre Künstler unter den „Krefelder Appell“ gegen die amerikanischen Atomraketen zu bekommen, mobilisierten diese Truppenteile nach Stuttgart zu einem Konzert der Friedensbewegung, um dort ein Spruchband hochzuhalten: „Lieber Pershing II als Peter Maffay“. Peter Maffay, der sich wirklich aufgeopfert hat gegen die US-Militärpolitik, musste sich absolut verarscht vorkommen und viele seiner Anhänger werden sich über diese Feindseligkeiten bei einem Konzert für den Frieden einigermaßen gewundert haben.
Die immer stärkere Anziehungskraft der Friedensbewegung und speziell der Erfolg einiger großer Friedenskonzerte und Künstler-Initiativen offenbarte bald eine wenig erfreuliche Kehrseite. Ab Mitte der 80er war eine zunehmende Professionalisierung der Friedensbewegung zu beobachten. Ein ganzer Managementapparat war nur darauf aus, bei bestimmten Großkonzerten der Friedensbewegung weniger bekannte Künstler zu verdrängen, um für ihre Künstler die besseren Fernsehauftritte zu erhaschen. Das war mitunter schon grotesk. Vorne auf der Bühne wurde vom Frieden gesungen und hinter der Bühne lieferten sich die Manager ein wüstes Hauen und Stechen um die besten Auftrittszeiten.
Diese Künstler und Managements, die damals nichts unversucht ließen, auf der kommerziellen Seite der Benefiz-Bewegung abzusahnen, waren selbstverständlich nicht mehr zu finden, als die Friedensbewegung in eine große Krise geriet, nachdem ehemalige Linke wie Joschka Fischer und Gerhard Schröder den NATO-Angriff auf Jugoslawien politisch durchsetzten. Ich selber war auch zehn Jahre Manager der Schallplatten für BAB und habe mich 1999 ziemlich geschämt für deren Verhalten. Plötzlich waren Niedecken und Co. auf Seiten der Bomber und nicht mehr bei den Bombardierten zu finden.
Damit wir aber nicht unreflektiert Klischees bedienen, will ich hier ausdrücklich eine Lanze für Herbert Grönemeyer brechen, den ich ansonsten genauso wenig leiden kann wie er mich. Aber er hat seine Sache immer ehrlich vertreten und hat auch keinen der bundesdeutschen Kriege unterstützt. Und das sei ihm hoch angerechnet.
Krebskranke Robbenbabies
Im Zuge der 90er sind wir dann allmählich in eine Situation geraten, wo jeder Künstler seine ein, zwei, vielen Charity-Projekte braucht, die ihm dann Promotion bescheren. Man kannte das ja schon länger aus den USA. Es gibt dort, egal in welchem Gerne, kaum einen Star, der nicht mindestens für irgendein krebskrankes Robbenbaby Pate steht oder sich mit hungernden Kindern abfilmen lässt – die im Falle Madonnas am besten gleich adoptiert und mit nach Hause genommen werden. Das ist mittlerweile ein richtiger kleiner Industriezweig geworden, und die Linie zwischen ehrlichem Engagement, Image-PR und Steuersparmodell verwäscht zusehends.
Während diese artigen Formen bürgerlicher Wohltätigkeit von der Musikindustrie mit einigem Aufwand publizistisch aufbereitet und von den Medien willig begleitet werden, wird jede Form echter politischer Positionierung weiterhin abgestraft. Künstler, die sich gegen die insgesamt vier bundesdeutschen Kriege unter Kohl und Schröder entschieden und auch noch geäußert haben, durften zuverlässig mit der Reduzierung ihrer Fernseh- und Rundfunkauftritte rechnen. Man merkt das dann immer zwei Jahre später bei der GEMA-Abrechnung.
Sicherlich war es schon immer so, dass Künstler, die sich gegen Krieg und für soziale Gerechtigkeit eingesetzt haben, dafür wenig Beifall aus den oberen Rängen zu erwarten hatten. Ich schreibe gerade mit Manfred Maurenbrecher – der selbst ein Paradebeispiel für diese Vorgänge ist! – ein Musical über Pete Seegers Kampf gegen die Schwarzen Listen des Kommunistenjägers McCarthy in den USA der 50er Jahre.
In früheren Jahrzehnten gab es aber immerhin im öffentlich-rechtlichen Rundfunk noch Journalisten, die politisch brisante Songs von BAB, Grönemeyer, Lage, Wecker, Wader und anderen gesendet haben. Diese Lektion haben die Herrschenden allerdings gelernt. Solche Journalisten sind so gut wie kaum mehr zu finden. Dass ein Unterhaltungschef des ZDF so etwas Ungeheuerliches wie „Neues aus der Anstalt“ mit Georg Schramm und Urban Priol möglich macht, ist die absolute Ausnahme.
Heute gewinnt man kaum mehr einen Blumentopf mit politischem Benefiz – ganz im Unterschied zu den 80er Jahren, in denen sich hier mancher auch auf Kosten des angegebenen Zwecks eine goldene Nase verdienen konnte. Heute laufen dafür topprofessionelle Spendengalas im Fernsehen, bei Hungersnöten und nach Naturkatastrophen.
Über die Höflichkeit
Nur in Zeiten der Rebellion war und ist es möglich, sich gegen die Gesetze des Musikmarktes durchzusetzen, denn dann macht sich die Bewegung ihre eigenen Stars. Um eine politische Benefiz-Kultur wiederherzustellen, ist aber wohl gerade in Deutschland der Hinweis nicht überflüssig, dass Veranstalter von Benefiz-Konzerten mit ernsthaften politischen Anliegen eine gewisse Höflichkeit gegenüber Künstlern an den Tag legen sollten. Die Benefizbereitschaft der Künstler ist dieser Tage nicht übermäßig ausgeprägt. Wenn sie in Zeiten, in denen die Bewegung ihnen letztlich wenig anbieten kann, bei Auftritten für gute und richtige Zwecke auch noch schlecht behandelt werden, braucht man sich nicht wundern, wenn sie künftig Benefiz-Veranstaltungen lieber ganz absagen.
Mein Traumbenefiz, das ich trotzdem gerne veranstalten würde, wäre eins zur Enteignung der Deutschen Bank. Diese Verbrecherbande, die Hitler finanzierte, den Kredit für Auschwitz übernommen hat und von Robin Wood zurecht die Managerin der Klimakatastrophe genannt wird, gehört endlich in die Hände des Volkes. Und solange dieses eben nur über eine repräsentative Demokratie geht, gehört die Deutsche Bank sowie der gesamte Kreditsektor verstaatlicht.
Deswegen fände ich es großartig, wenn wir eine große Bewegung hätten, bei der viele Künstler mit dabei wären, um die großen Finanzhaie endlich zur Strecke zu bringen. Wenn man das groß genug aufzieht, schadet es vielleicht auch den GEMA-Abrechnungen nicht im befürchteten Maße. Es gab schließlich auch Zeiten, wo politische Lieder die besten GEMA-Bringer waren...