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Kategorie: Presse 2009

* Dieser Artikel erschien in gekürzter Fassung in der "Antifa" - Zeitschrift der VVN-BdA *

logo_antifaVom „Tod des Bestsellerautors“ schreiben die meisten. Die Linke mag keine Bestsellerautoren. Auch mit dieser Pauschalierung klebt sie auf herrschendem Leim.


Ulrike Baureithel hat in findiger Sprache ihr Amüsement darüber geschildert, wie „sich über die Jahrzehnte hinweg der Eiserne Vorhang zwischen U- und E-Literatur immer mehr als witterungsanfälliger Palisadenzaun entpuppte…“ (Freitag, 9.1.09) Sie würdigt zwar die Aufklärungsarbeit Simmels, aber auch sie kommt dem Palisadenzaun nicht auf die Klassenspur. Nur den „konsumkritisch gestimmten Bandleadern des Feuilletons“, denen Simmel, „den Spaß verdarb“, weil der sich irgendwann „gar nicht mehr um die Aufnahme in den von ihnen bewachten Olymp bemühte“. Was aber strahlt dieser Olymp bürgerlicher Kulturkritik bis tief in die Linke ab? Was richtet das Feuilleton als antipodisch-kompensatorisches Freigehege der Verlagskonzerne an?

Kleinbürgertum und Bestsellerei werden nicht nur mit derselben psychologi- sierenden Metapher vorverurteilt, sie sind auch aus gleichem Holz. So giftete Brecht vergnüglich gegen die „Tuis“ als vom Kapital pachtbare Verklärer. Aber auch das antifaschistische Proletariat lieh sich Künstler mit Breiten- und Tiefenwirkung aus dem Kleinbürgertum. Und folgte dabei eher den Bauplänen von Gramscis „organischen Intellektuellen“, als Ottwalds und Gottsches Mär vom proletarischen Schriftsteller. Der Kleinbürger Brecht gab seinem Werk den proletarischen Klassenstandpunkt nebst Publikumsmobilisierung bei. Der Antikapitalismus des Kleinbürgers Thomas Mann hingegen war ohne Georg Lukacs’ Gebrauchsanleitungen schwer zu dechiffrieren. Die wirkungsmächtigsten Intellektuellen entstammten bislang weder der Monopolbourgeoisie noch dem Proletariat. Auch linke Massenwirkung kam vorwiegend aus dem Kleinbürgertum.

Solcherlei bürgerlicher Fahnenflucht in den Antikapitalismus musste nach dem Krieg ein besonderer Zaun entgegengestellt werden. Zunächst mit Begriffen. Aus dem „Marktplatz“ – einer dörflichen Freiheitsidylle, einem von Kleinbürgern wie Künstlern bevorzugten Umschlagsplatz – wurde der Kampfbegriff „Marktwirtschaft“. Kunst sollte da deren kühler Verwertungslogik folgen, nicht „fremdimplantierter Moral“, wie der humanistischen Volksfrontlogik eines Picasso, Neruda oder Brecht. Francis Saunders hat in „Wer die Zeche zahlt“ auf vielen hundert Seiten minutiös nachrecherchiert, wie CIA und FBI kurz nach der Entzweiung der Alliierten zig Millionen Dollar spendierten, um gegenstandlose Dreieck-, Würfel- und Kreise-Zeichner gegen den Realismus von Sowjets und anderen Antifaschisten in Stellung zu bringen. Wer die Hauptlügen der Markwirtschaft unangetastet ließ, galt fortan als populär. Wer Antikapitalismus verbreitete, als trivial und „populistisch“. Bis heute.

Mit den 68ern teilten sich dann die journalistischen Wachmannschaften. Die Wenigsten um „Handelsblatt“ und FDP priesen offen die Segnungen des monopolbourgeoisen Staats. Die Mehrheit wurde ausschließlich zu Kopfgeldjägern auf jene linken Kleinbürger, die die kapitalistische Zivilgesellschaft im Begriff waren zu verraten. Das Kleinbürgertum in Deutschland musste weiterhin als Schild & Schwert-Träger vor die ideologischen Hauptlasten des Monopolkapitals gespannt bleiben. Und die Linksabweichler mussten wieder in die zahnlose Herde zurück gestoßen werden, unter jene SPD- und Grünen-Leitbullerei, denen Brechts Gedicht von Herrn Dschins achtem Wach-Elefanten mit dem langen Zahn gewidmet war, der sie zuschanden schlug.

Nirgends war dies so augenfällig, wie bei der von der Deutschen Bank einst ausgegründeten FAZ. Deren Wirtschaftsteil und Politik waren bestanden aus den harten Börsenbewegungen. Das Feuilleton hingegen bewirtschaftete die daraus abgeleiteten Seelenbewegungen, die kleinbürgerlichen Schlittenhunde, konditionierte die Grenzen zur „Peinlichkeit“ (als Synonym des elitären Mainstreams) und pries, was harmlos war und kritisch klang.

BILD übernahm den Job der frühen SA (als da noch Hans Habe schrieb): gegeneinander aufschäumender Neid der Schichten und gnadenlose Kriminalisierung von Klassenkämpfern.

Und seit Altnazi Gehlens „BND“ zum Ende der Augstein-Krise seinen Frieden und seinen Deal mit „Zeit“ und „Spiegel“ gemacht und diesen zu seinem legalen Arm der Öffentlichkeitsarbeit erhoben hatte, (man darf sich das wie die IRA bei der Sinn Fein-Partei vorstellen) werden die Hauptjagdlinien von da vorgegeben, vor allem die Grenzziehung. Mit jeder „Spiegel“-Ausgabe weiß nun jeder linksliberal getünchte Strichjunge bei Frankfurter Rundschau, Süddeutscher und Berliner Zeitung, welchen Antifaschisten er ins Visier zu nehmen hat.

Wie mit den kindlichen Scheuklappen eines „frühreifen Begabten, wie Billy Wilder“ (Gaus) schrieb Simmel weiter: gegen „die multinationalen Konzerne, die so viel Unglück über die Menschen bringen“. Demonstrativ trat er aus der Kirche aus, weil die Waffen gesegnet hatte. Es sprach sich ’rum, welchen Blutzoll seine Familie den Nazis entrichten musste. Zunächst noch war er geschützt, als landesweit bestbezahlter Reporter der „Quick“, als Drehbuchautor von 36 Spielfilmen. Mit zunehmend sozialistischem Engagement jedoch geiferte der pawlowsche Feuilleton-Reflex ereifernd: „linker Kitsch“ und „totalitäre Zeigefingerkunst“. (Die Deutung, was dies denn sei und warum es keine Sprache als die deutsche gibt, in die „Kitsch“ übersetzbar wäre, unterblieb wie immer.) Dies Totschlagwort aber wurde stets gegen alle Wirkungsvollen instrumentalisiert, die antikapitalistischen Handlungsaufruf nicht aussparen: ob gegen Brecht, Hacks, Busch, Degenhardt, Hochhuth usw. Oder gegen Simmel. Aber in der Deckung seines Publikums und der 70 Millionen verkauften Bücher trafen ihn die Wortgranaten nicht. Dagegen konnte dann nur der Kriegshetzer Konsalik helfen.

In einem Gespräch 1996 mit Günter Gaus bewies er seine Unbeirrtheit. „Die größten Geister waren Kommunisten geworden… Viele sind meine Vorbilder… Ja, ich hoffe auf den Sozialismus … auf ein Konglomerat so vieler zertretener Träume.“ Er schrieb gegen Euthanasie, gegen das Adenauer-Deutschland und seine Wiederbewaffnung und überall gegen „die Nazis, die leider doch nicht verschwunden sind“. Für eine VVN-Konferenz vor 16 Jahren bei uns in Frankfurt am Main sagte Simmel – wie er mir nebenbei erwähnte – eine Lesung für ein paar tausend Mark ab. Die „Frankfurter Rundschau“ erwähnte den Auftritt des Autors mit den verkauften 70 Millionen Büchern im Karmeliterkloster nicht einmal im Lokalteil. Die FAZ sprach vom „Trivialautoren“.

Warum aber soll Goethes „Faust“ E-Kultur sein und sein „Heideröslein“ trivial? Warum der Mackie-Messer-Song „U-Kultur“ und Brechts „Galilei“ „Hochkultur“? Ob Celan oder Matthias Claudius: Dichtung kommt von dicht. Und Dichtes hat Simmel geliefert. Wenn er die widersprüchlichen Gesichter der herrschenden Kaste zeichnete, stand er seinem Vorbild Hemingway kaum nach.

Vor wenigen Monate hat er mir ausführlich erläutert, warum er anfänglich gemeint hatte, ohne Sex & Crime könne „die ausführliche Beschreibung der herrschenden Verbrecher kein Mensch aushalten“ und wie froh er später wurde, „bei seinen letzten Romanen dann keinerlei deftige Bettszenen mehr nötig gehabt zu haben, um hohe Aufklärung in hohen Auflagen zu bringen. Damit mehr Menschen mehr denken und weniger glauben.“