betrieb & gewerkschaft - 15. August 2005

Diether Dehm, Autor von „1000mal berührt“, „Faust auf Faust“, „7 Tage lang“, Ex-Manager von BAP und Katarina Witt, war 33 Jahre in der SPD, für die SPD im Bundestag, sowie in der Frankfurter Stadtregierung und war bis 1997 der Bundes-Chef der 43 000 SPD-Unternehmer. 1998 ging er zur PDS, erhielt als deren OB-Kandidat in Lörrach 18% und ist heute Spitzenkandidat der „Linkspartei“ in Niedersachsen.
It`s an old story: „links“ gilt für ehrlich; verzottelt, vertrottelt zwar, kauzig, aber eben dem Mainstream scheinbar sperrig im Weg. Der Linken vertrauen die Herzen oft mit einer Prise Mitleid, (solange sie keine Diktate befürchten müssen). „Mitte/Rechts“ hingegen gilt im Hinterhalt für erprobt, für gemein und schlau. Dem trauen die Coolen zungenschnalzend einfach mehr zu: denn: „die sind zu allem fähig!“
Wenn die rechten Cleverles Konjunktur haben, (wenn sie eigene Landesregierungen z.B. mit „Sale and Leaseback“ um Steuern bescheissen, um den kommunalen Cash Flow schöner zu rechnen, wenn sie den Gürtel der Dünnen ohne hörbaren Jaulton noch zwei Loch enger schnallen, ein bisschen Krieg, ein bisschen Schwangerschaftsunterbrechung & Atomausstieg hintricksen wollen), dann  gibt sich die SPD als „neue Mitte“: „wir sind schlauer beim Sozialabbau, lasst uns mal ran!“ Wenn allerdings der Vertrauens-, nee, der Unterwürfigkeitsvorschuss der opportunistischen Wähler, die einst ihre Regierungs-Linkelnden als mit den grossen Hunden-Pinkelnden sehen wollten,  aufgefressen ist, muss SPD wieder das trotzige Kind mimen, das gegen Windmühlen und Heuschrecken anrennt, kautzig, unbeholfen, ohne konkretisiertes Wissen, ein sperrig spröder FranzguckindieLuft, der den roten Schal mal wieder im Wind of Change flattern lässt.
Nur eines hatte die SPD in den letzten 90 Jahren nie drauf:  „links“ mit aller Schläue, trickreich, clever gegen das Großkapital zu denken und programmatisch zu operationalisieren. Sie durfte dabei stets auf eine Linke hoffen, die ihr dieses nachsah.  Die speiste sich auch nur aus rosagrüner Moral und Ethik. Das harte Marktgeschäft, Unternehmen in einer neuen Betriebswirtschaft, volkswirtschaftlich innovative Impulse für neue, kontradiewsche Wirtschaftskurven, wurde ebenso “kampflos den (Markt-)Rechten überlassen, wie das Kleinbürgertum“ (Ernst Bloch).
Der linke Mainstream, selbst der marxistische, verzeichnete keine Pragmatik des Antikapitalismus. Links war die liebenswerte Moral, besser: die Unbarmherzigkeit der guten, aufgeklärten Menschen. Denn wehe,  jemand verwendet nicht das neueste Wort aus dem Codex linker PC: lauernde Landminen für Ausrutscher! (Was ist denn gerade das neueste Wort für Behinderte: Menschinnen mit Handicaps?). Da krisch es schon bei jeglich lobender Hervorhebung einzelner Körperteile „Sexismus“, da wurde bei der leisesten Kritik an Finanzspekulation „Antisemitismus“ gewittert (als ob Juden Spekulation im Blut hätten), fahrlässig von „den Deutschen und den Juden“ schwadroniert, das Nationale bekämpft, anstatt des Nationalistischen. Als ob es „national“ sei, den mitunter schönsten Teil der deutschen Nationalkultur, den jüdischen, von Heinrich Heine bis Billy Wilder, vertrieben und verbrannt zu haben. Die PC-Hygieniker klebten auch sofort an der BND-Spiegel-Taz-Kampagne gegen Oskar Lafontaine, bis sie viel zu spät erkennen mussten, dass „Fremdarbeiter“ ein zwar ziemlich hässliches Wort, jedoch ohne Nazi-Ursprung ist.
Die Linke ist voll von Käuzen dieser Art, die zu keifenden An- und Ausfällen auflaufen können, wenn das falsche Wort fällt, aber weder nachrechnen, wann Durchschnittslöhne in einer Unterkonsumtionskrise selbst Kapitalien zu niedrig werden und Profite selbst für die Mehrheit der Kapitalisten zu hoch. (Lenin: „Wer die feinen Risse bei unsern Gegnern nicht kennen will, hat vom Marxismus keinen Deut verstanden.“) Sie diskutieren über die Kollektivschuld des deutschen Volks an Hitler, aber berechnen dabei nicht mal - wie Goldhagen/Aly - die Kreditierung der Wehrmacht-Überfälle durch die Deutsche Bank, also die Spezialschuld der imperialistischsten Monopole. Sie finden sich damit ab, dass Betriebswirtschaft an den Unis nichts anderes ist, als zur „Wissenschaft“ hochgelogene Verschleierungsstrategien für superschnelle Profite und Steuerhinterziehungen - und solcherlei Agitprop dort auch noch widerspruchslos zur alleinigen Volkswirtschafts“lehre“ verallgemeinert wird. Nein, sie wollen gar keine neue, keine sozialistische Betriebswirtschaft rechnen und schaffen, die auch zur Volkswirtschaft taugt. Sie haben ihre Windmühlen und Sprach-Spielfelder und verfolgen jeden hysterisch bis ins private Essgefach, der dieses ihnen nehmen will.
Solange der aussersozialdemokratische Linksmainstream derart simpel-moralistischen Reiz-Reflex- Schemata genügt, kann das Chamäleon SPD auch wieder rote Farbe bekennen.
Denn dort wurde stets vom tumben Links-Gefühl profitiert, mies-menschelnde Metaphern dreist für links erklärt, der Antagonismus vorgelebt von den „unsozialistischen Praktikern und den unpraktischen Sozialisten“ (August Bebel).
Also: keiner soll so die SPD des Falschspiels überführen wollen. Wer links nicht von der Utopie zur Wissenschaft hochsteigen will, wer nicht konkret wissen will, wie Hedgefonds zu bekämpfen sind, soll sich über Heuschreckenplagen nicht mokieren. Wer mit Westerwelle die Enteignungsperspektive gegen Daimler und Deutsche Bank via Grundgesetz (Art. 15) & OMGUS für „verstaubt“ erklärt (wer mit dem Verzicht auf Sozialisierungsforderungen dem Zorn der Betroffenen die demokratisierende Genesis entziehen will, (denn: ohne Demokratisierungsforderung gegenüber der Wirtschaft geht der Zorn langfristig immer nach rechts!)), der soll das Farbenwechselspiel der SPD-Führung gar nicht erst entlarven wollen. Wer die Wahrheit über staatsmonopolistischen Kapitalismus entschärft, soll zur Lüge der SPD-Führung schweigen!
Erst wenn die neue Linkspartei die rosagrün-ethische Correctness durchbricht,  eine eigene wirtschaftspolitische Schläue das Kokettieren mit der Unbeholfenheit hinter sich lässt, wenn die Linke starke Gewerkschaften und den Streik für den zivilisatorischen Imperativ erklärt, weil endlich Menschen, sich emanzipierend, ihre eigene Taxiertheit in Lohn und Gehalt nicht mehr nur fremdverhandelt, sondern durch bewusst gewollte Arbeitsverweigerung mitbestimmt erkennen, erst wenn Linke sich wieder im modernsten Sinne auch als Arbeiterpartei einer demokratischen Revolution empfinden und dem ihr Handeln unterordnen, wenn sie mit Brechts „Lob des Lernens“ eigene Schläue entwickeln, wird eine Linkspartei nachhaltig und dauerhaft da weiterdenken können, wo Brandts Nord-Süd-Diskurs und Schmidts Zukunftsinvestitionsprogramm (siehe Bremer Memo-Gruppe) scheiterten und wo Schröders Zerstörungswerk an der Sozialdemokratie begann: „Prüfe die Rechnung, du musst sie bezahlen… Du musst die Führung übernehmen!“ Das ist die Dialektik der neuen Linken: ohne eine demokratisch-revolutionönäre Perspektive von Antikapitalismus kann es keine pragmatischen Reformschritte mit Perspektive auf sozialistische Demokratie geben. Und vice versa.