Linkspartei stellt keinen Kandidaten als Bundestagvize mehr auf
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Maja Zehrt - 10.11.2005

Berlin. "Pfui Teufel!" Der Liedermacher und Linksparteiabgeordnete Dieter Dehm findet als Erster Worte für die finale Wahlschlappe seines Parteivorsitzenden Lothar Bisky. Ansonsten herrscht Stille. Bisky sitzt fassungslos in der vierten Reihe seiner Fraktion. Bei der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags am 18. Oktober thronte er noch in Reihe eins. Dort repräsentiert nun Dagmar Enkelmann die Linke. Vielleicht wollte Bisky zur Schlichtung beitragen, sich aus dem Rampenlicht nehmen. Um den Posten des stellvertretenden Bundestagspräsidenten hatte er sich nicht gerissen.
Doch auch in der vierten Reihe bleibt der Vorsitzende der Linkspartei für die Mehrheit der Abgeordneten als Vizepräsident des Bundestags nicht wählbar. Ein Mann, der loyal zur DDR stand, mit einer Frau, die für die Stasi arbeitete. Ob Bisky selbst IM war, ist nicht vollständig geklärt. Es gibt zumindest eine Karteikarte - und massenhaft Vorbehalte bei Vertretern anderer Parteien. "Ein Mensch mit einer anständigen DDR-Biografie", nennt Fraktionschef Gregor Gysi seinen Freund. Dieser Mensch steht am Abend mit einem handgeschriebenen Zettel vor Fernsehkameras und sagt: "Ich habe verstanden. Die Mehrheit will nicht, dass ich den Bundestag repräsentiere. Das muss ich als Demokrat akzeptieren."
Von Verständnis ist in Biskys Gesicht allerdings keine Spur. Er wirkt nicht mal geschockt, nur unendlich traurig. Nach der demonstrativen dreifachen Ablehnung im Oktober soll Bisky geweint haben. Es wäre nur verständlich, wenn er es nun auch tun würde. Doch da ist ja noch der Zettel. "Dies ist kein Tag der Trauer, sondern ein Tag der Klarheit und der Motivation", sagt Bisky mit gesenktem Blick und belegter Stimme. Er werde nun jede Minute der Partei opfern. "Ich knicke nicht ein vor der Mehrheit des Bundestages, und ich bin stolz auf meine Biografie." Neben dem Parteichef stehen Oskar Lafontaine und Gregor Gysi. Fast hat man den Eindruck, sie hätten Bisky die Sätze aufgeschrieben. Gysi bebt vor Wut, Lafontaine faltet die Hände und legt seinen Kopf schief.
"Ich dachte wir sind weiter", faucht Gysi. Die Mehrheit des Hohen Hauses verweigerte dem Linksparteichef sogar die einfache Mehrheit von 298 der 595abgegebenen Stimmen. 249 Abgeordnete stimmten für Bisky, 310 mit Nein, 36 enthielten sich. Heute sei die deutsche Vereinigung abgewählt worden, erklärt Gysi. "Das ist ein verheerendes Signal für die Millionen Ostdeutschen." Dann schlägt die Stunde der Geschichtsdeutung: Gysi spannt den Bogen zum Bundeskanzler der ersten großen Koalition von 1966 bis 1969. Kurt Georg Kiesinger (CDU), NSDAP-Mitglied bis 1945, hätten Union und FDP damals völlig ohne Skrupel zum Regierungschef gewählt. Doch Biskys Biografie habe offenbar einige Schwächen, sagt Gysi zynisch: "Erstens hat Bisky nicht Adolf Hitlers Mein Kampf gelesen. Zweitens ist er nicht in die NSDAP eingetreten und er hat nicht politisch im Goebbels-Ministerium gearbeitet. Hätte er diese drei Voraussetzun-gen wie Kurt Georg Kiesinger erfüllt, dann hätten die Union und auch die FDP gesagt, er kann ganz Deutschland repräsentieren." Einen neuen Kandidaten für den Posten des Bundestagsvize werde die Linkpartei vorläufig nicht aufstellen, erklärt Gysi. "Wir lassen uns das von den anderen nicht aufzwingen."
Union und FDP hatten vor der Wahl aus ihrer überwiegenden Ablehnung des Bewerbers Bisky keinen Hehl gemacht. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unions-Fraktion, Norbert Röttgen (CDU), verteidigte die Gewissensfreiheit jedes Abgeordneten. "Dies ist keine Frage der Fairness, sondern eine Frage der Demokratie." Jede Fraktion habe zwar einen Anspruch auf einen Vizepräsidenten. "Aber wer sich bewirbt, hat keinen Anspruch, gewählt zu werden."