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Kategorie: Presse 2005

Gegenöffentlichkeit contra BND-Medien
Die Linke braucht eigene Kulturarbeit, nicht Gnade der Verlagskonzerne
Von Diether Dehm  - 22.11.2005

Daß die Linkspartei jetzt unter den für sie nachgerade idealen Startbedingungen einer Großen Koalition mit 54 Abgeordneten in den Bundestag einzieht, dürften die Schreibagenten der Herrschenden, die mit ihnen verknüpften Nachrichtendienste und die restliche meinungsbeherrschende Kaste zu besonders aggressiven  Gegenangriffen veranlassen. Der Angriff wird nicht pauschal und frontal, sondern punktuell erfolgen, auf Nahkampf umgestellt: die prominenten weil medienabhängiger gewähnten Funktionsträger sollen fortan die von Medienkonzernen vermeintlich Unkontrollierbareren gleichsam stellvertretend in Schach halten. Die meist noch instabilen Wähler der Linkspartei sollen dabei dann in eine Art „medialer Geiselhaft“ genommen, wobei dann mittels Skandalierungen einzelner, besonders unbotmässiger Linker Entsolidarisierung in das Parteizentrum getrieben werden kann. Das Nah-Ziel dieses medialen Nachkampfs (wie früher bei SPD-Jusos und Grüne-Fundis): Absatzbewegungen der besonders publikumsabhängigen Prominenten zu befördern, „mit Rücksicht auf die Wähler“ besondere Renitenz einer affirmativen Parteiordnung zu unterwerfen und so die Linke wieder einmal zu spalten. Hiergegen sind nicht nur gute Nerven (sogar gelegentliches Lernen vom großen dicken Aussitzer Kohl) nötig, sondern endlich auch der systematische Aufbau einer eigenen linken Gegenöffentlichkeit, also einer Kommunikationsstrategie, die sich nicht nur mit den geliehenen Talk-/Sende- und Zeilenplätze der herrschenden Konzernmedien begnügt.
Der Begriff der „Gegenöffentlichkeit“ findet systematisierte Verwendung bei Negt/Kluge in den Siebzigern und wurde von Pierre Bourdieu als organisiertes Netzwerk („organisiert“ versus „organisch“!) gegen die organisch gewachsene Medien(konzern-)macht und der in ihr verfassten, veröffentlichten „Meinungsführerschaft“ (Peter Glotz in „Mythos und Aufklärung“, Suhrkamp 1987) verstanden. Konsequent abgeleitet aus Antonio Gramscis Konzeption eines Ringens um und Nicht-mehr-länger-Überlassens von „Kultureller Hegemonie“ wurde neben die totalitär-konspirative Gleichschaltung der Öffentlichkeit eine Art - um in der Elektroniksprache zu bleiben -  Parallelschaltung (oder Induktivschaltung),  gesetzt.
War der alte Leninismus, völlig „unleninisch“, ausschliesslich von einer Vermittlung der Meinungen „von den Herrschenden nach unten“ ausgegangen, einer Gleichschaltung von oben also, machten sich die Gramsci-Schüler den Marxschen Begriff der Ideologie als „notwendig falschem Bewusstsein“ praktisch  zueigen. Alltägliche Konditionierungen via Reputation und Prämie, besonders im sozialen Leben der kulturell hegemonialen Kaste, die die Kapitalverwertungstendenzen gleichsam auf ihrem jeweiligen Spezialgebiet schürzt (Journalist/inn/en, Parlamantarier/innen, Showstars, Steuerberater, Juristen usw.), stützen diese zwar, Geheimdienste wirken zwar auch konzentrisch auf die meinungspotenzierende Politkaste (=„Schild und Schwert“ des transnational agierenden Kapitals) ein (viel mehr und viel näher bei uns als wir freiwillig glauben mögen, Siehe: „Geheimdienst, Politik und Medien; Meinungsmache Undercover“ Erich Schmidt-Eenboom, Berlin 2004), aber die kardinale Ursache der Ideologieproduktion liegt nicht in der Verschwörung, sondern in der notwendig so gespiegelten gesellschaftlichen Realität und Praxis. Und zur so abgebildeten Realität zählt auch deren Geschichtstiefe: so mag es durchaus sein, dass am Anfang des deutschen Kapitalismus der Meinungszwang und die mediale Verschwörung von oben nach unten dominant gewesen sein mögen, z.B. die journalistische Gleichschaltung während der Bismarckschen Sozialistengesetze und unter Hugenberg, Göbbels & Co., jedoch im Laufe der Jahrzehnte entwickelte der Kapitalismus organisch die Elastizität seiner Meinungsvorherrschaft, die allmählich immer mehr auf „induktiver“ Parallelschaltung fußte. Das heisst: jeder Journalist weiss selbständig und auch ohne ständige Order von oben und er ahnt es auch zugleich, was sein zu zollendes Tribut an die herrschende Meinung ist und wogegen er verstößt, wenn er sie nicht bedienen sollte. Die Herausbildung eines solchen gesellschaftlichen Instinkts in der politischen Kaste und aus ihr heraus macht die große Elastizität eines Systems, das System hat! Aber nicht nur, dass ein Journalist bei seinem Vorgesetzten Ärger auf sich zukommen sieht, sondern auch bei den Kollegen, weil er auf gewisse Fragestellungen – etwa die der Linkspartei nach komplizierterem Steuerrecht, würde er diesen näher treten – viel mühevoller nur eine kommunikationsmächtige Antwort im Kollegenkreis fände, als sich der süffig-saloppen Einfachsteuersenkplausibilität anzuschliessen oder dem Horrorszenario  des bei Steuerdemokratisierung scheu flüchtenden Kapitals zu verschreiben. Den Skandalen des Kapitals mutig hinterher zu gehen oder feige der Skandalierung seiner Gegner: Hier wird die individuelle Entscheidung gesellschaftlich organisiert: entsteht ein gemeiner Medienstrolch oder ein Aufklärer?
Die historische Momentaufnahme des einstigen Tradeunionismus, etwa als notwendig falschem Bewusstsein vom „gerechten“ Lohn, der in regionalen Umfeldern gewerkschaftlich erkämpft werden musste, wurde in der Realität bedeutenderer transnationaler Kapitalbewegungen aufgehoben. Die journalistische Meinungsmultiplikation des sogenannten Neoliberalismus fand also proletarische Ohnmacht bei der Tarifgestaltung und auch europäisch wenig  an effizientem gewerkschaftlichem Netzwerk vor. Angesichts eines papiergeformten EGB, der noch dazu Maastricht in der Illusion eines künftig „sozialen Europa“ akzeptierte, klang das Lied von der internationalen Solidarität notwendigerweise (!) – bis auf ein paar Zehntausend wanderzirkusähnlich demonstrierender Globalisierungskritiker – nach nostalgisch faulem Zauber. Menschenhirne neigen zu dem, was Brecht gar zum Imperativ erhob: „Keinen Gedanken verschwende an das Unabänderlich“. D.h.: wo reale Lösungskraft nicht greifbar und begreifbar ist, werden Lösungen im klassisch freudschen Sinne verdrängt. Die verfasste öffentliche Meinungsherrschaft brauchte also nur an den Metaphern der supranational- gewerkschaftlichen Schwäche anzuknüpfen, um das Feld zu bestellen, in den meisten Multiplikatorenköpfen eine Sicht der Löhne, als von den Herrschenden einseitig und ungehemmt disponibler Masse zu erzeugen. Bei den Ableitungen aus dieser plausibel neoliberalen Grundannahme hat es mit Sicherheit Gleichschaltungen geheimdienstlicher und anderer unmittelbar bezahlter  Konditionierungen und Verschwörungen a la Schmidt-Eenboom gegeben und gibt es sie fürderhin: aber die kulturellen Hegemoniemetaphern entstammen organisch der aktualisierten Kapitalgeschichte! Sie sind auch letztendlich nur aufhebbar, wenn sich das nationale und internationalistische Kräfteverhältnis plausibel und sichtbar erkämpfter Erfolge nach links verschiebt. Darum war Gramsci stets auf der Hut davor, gegen den von ihm bekämpften Ökonomismus, (=alle wesentlichen Meinungen geradlinig aus den Produktionsverhältnissen abzuleiten) eine Art „Überbauismus“ zu setzen (wie etwa die Frankfurter Schule „Emanzipation“ letztlich zur elitären und ichvergötzenden  Selbsterziehung zu 12-Ton-Musik Adornos degenerierte. WF Haug hat in seiner „Warenästhetik“ im Widerspruch zu Adorno/Horkheimer die produktive Dialektik geliefert, selbst den affirmativ im „Konsumismus“ verhafteten Rezipienten nicht mehr kampflos dem herrschenden Meinungssystem preisgeben zu müssen, sondern justamente den Lohnkampf um die Konsumausstattung auch als Primärhebel für Denkbrüche auch in der „Warenwelt“ zu erkennen.)
Für Gramsci zielte eine Konzeption von verändernder kultureller Hegemonie nie auf die Welt der reinen Vorstellungen oder gar Einbildungen, sondern stets  auf die sozialen Kräfteverhältnisse und war ergo untrennbar mit ökonomischer Reform- und demokratischer Revolutionsstrategie verbunden, weil die Dynamik der echten Kräfte- und Kampfverhältnisse am Ende über die Wirkung und Elastizität auch der herrschenden Meinungen entscheidet.
Insofern war und ist die antikommunistische Inanspruchnahme Gramscis infam: Streik und andere linke Kampfpraxen waren für ihn immer noch die wirkungsvollsten Faktoren einer demokratisierten Kulturhegemonie und deren Gegenöffentlichkeit , Streikfähigkeit einer national verfassten Arbeiterklasse also ein zivilisatorischer Imperativ, weil Menschen ihre Taxiertheit in der Sozialität nicht mehr nur fremdverhandelt, sondern eigenmitgestaltet wahrnehmen können, was am Anfang jeder Emanzipation steht.
Gramsci hat die Kampfplätze der Linken wieder produktiv geöffnet, wie Haug und Bourdieu nach ihm, und dies besonders für die historischen Phasen eines gesellschaftlichen  „Stellungskriegs“ (weil der machtorientierte Massenstreik u.ä. als Bewegungskrieg gleichsam selbst eigene Meinungszivilisation betreibt und seine Kulturen auch selbständig ohne viel Zutun entfaltet.) Dabei hat der praktische Philosoph selbst die Lücke geschlossen, die in einer Theorie der Korrespondenz von Meinungen zu realen Kräfteverhältnissen ins Auge fällt: wenn sich nämlich politisches Bewusstsein aus realen Kräfteverhältnissen herleitet - wie können sich dann Widerspiegelungen in den Hirnen der Multiplikatoren und ihrer Rezipienten nach links wenden, solange linkes reales Erfolgserlebnis ausbleibt? Genau in solchen Phasen kommen der Kunst und Unterhaltung besondere Aufgaben zu. Gemeinsame geistige Ausflugserlebnisse in die ästhetisch bewusst gestaltete Gegenwelt, beifallskonditionierte Widerstandsbekundungen von unerwarteter Radikalität, Überlegenheit und Schicksalsmächtigkeit via Spott und Satire u. ä. wirken der Atomisierung und Hilflosigkeit entgegen, auch dann, wenn Streik und Massendemonstrationen noch fern sind. (Die materialistische Psychologie, die leider seit den 8oern stagnierte, hat dafür Erklärungsansätze geliefert: Kunst und Liebe gehören demnach zu jenen sozial-antipodischen Evasionserlebnissen, die die Inferiorität via Vereinzelung in eine kollektive Wirkungsträchtigkeit hinein aufhebt. Gerade die im Kunst- (u.a. Sexualitäts-) Genuss stattfindende Traumarbeit stärkt via Kollektiv also das wahrhaft Individuelle. Ganz abgesehen davon, dass es bei uns Menschen nicht gleichgültig ist, wie wir unsere Festplatten defragmentieren und ob dabei realistische Ich-Stärke oder halluzinative Ego-Vergötzung herauskommt.)
Gramsci hat das Ringen um kulturelle Hegemonie nie gegen „Trivialästhetik des Volks“ oder gegen AgitProp gesetzt. Er erklärte hingegen in Überwindung des unleninschen Leninismus Rechtsstaat, hohe Kunst und Folklore und Unterhaltung („Warum schreiben die Linken keine Abenteuerromane wie Alexandre Dumas?“, fragte Gramsci einst sinngemäss in seinen Gefängniskassibern), Religion und vieles, was linkssektiererisch als Besitz der Herrschenden abhakt war, zu umkämpften Plätzen, zur Herausforderung an eigenes Talent, Bündnispolitik und geduldige Nachhaltigkeit der Linken. Insofern setzte er zu und vor dem Begriff der demokratischen Staats-Diktatur des Proletariats (als absterbendem Staat, weil nur noch die Herrschaft der 999 über den Tausendsten ausgestaltend) die bündnispolitisch erstreitbare Hegemonie.  Diese hat ihren Anfang dort, wo die Linke aus reinem Überlebenswillen, der organisch gewachsenen, öffentlich verfassten Meinung der Herrschenden eine lebendige Gegenöffentlichkeit organisiert entgegensetzt („organisiert“ versus „organisch“!).
Gerade eine parlamentarische Linke, die sich selbst nachhaltig stärken und darum die Herrschenden angreifen muss, statt mit ihnen zu charmieren, während sie zu Tode skandaliert wird, braucht bei Strafe ihres Untergangs ein aktives Verhältnis zur Streik- und auch Kampagnenfähigkeit sowie eine enge Beziehung zur renitenten Kunstentfaltung als expandierendes Terrain der Gegenöffentlichkeit und Immunisierung ihrer Wählerinnen gegen offen und subtil herrschende Meinungsmachmaschine. Für diese ihre ausserparlamentarische Lebenserhaltung muss die Linke parlamentarische Ressourcen – vom Geld, Mitarbeiterangebot bis zum offenen Mikro im Bundestag – zur Verfügung stellen und halten.
Dabei muss die Kooperation mit den Künstlern und anderen Kulturschaffenden einen eigenen Raum eröffnet bekommen, in der sich die Draufsicht auf das vor der Alltagssprache Versteckte entfalten kann und nicht routiniert von Politikerposen schnell überrumpelbar wird.
Der Umgang mit der Kunst ist für linke Parlamentsarbeit neben dem Stoffwechsel mit dem kämpferisch Gewerkschaftlichen ein Lebendigkeitselexier. Schon Marx bemerkte, dass das künstlerische auch im Kapitalismus einen wesentlich niedrigeren Entfremdungsgrad auf weist als andere Arbeit (in jedem Falle aber als die Parlamentariertätigkeit). Auch Künstler mögen  Opportunisten sein. (Wenn sie sich z.B. einer Linkspartei versagen, weil sie ja viel unbefleckt radikaler seien, als alle Partei.) Aber ist es nicht doch ein gänzlich anderer Opportunismus, ausschliesslich aus Angst um CD- oder Eintrittskartenabnehmer-Verlusten  die öffentliche Nähe einer gelegentlich skandalierten sozialistischen Partei zu scheuen – also Abhängigkeit nur vom  Publikum einzugestehen? Im Vergleich zu Konzernmedienagenten, die nur „trojanisches Pferd des Neoliberalismus“(Bourdieu) sein wollen? Und: sollten wir diesen Spiegel-, Focus-, Bild- und BND-Knechten nicht grundsätzlich misstrauischer und weniger entgegenkommend gegenüber treten? Künstler als strategisch wichtiger begreifen als Journalisten?
Am Anfang aller Bemühungen steht: endlich für die gleich vielen Wählerinnen im Westen eine ähnliche Tageszeitung aufzubauen, wie das „Neue Deutschland“ im Ost ist und hoffentlich weiter bleiben und werden wird. Die mediale Situation im Westen ist eine Achillesferse der neuen Linksfraktion, wissen wir doch, dass mancher Skandalierungsversuch der medialen Westherren im Osten an der Verbreitungsdichte des ND gescheitert war, die aber leider nicht auf den Westen zu übertragen ist, weil es dort politisch viel breiter und auch mehr „linkssozialdemokratisch“ konzipiert sein will. Auch hierfür kann eine Beratung mit linken Kulturschaffenden von Daniela Dahn bis Konstantin Wecker hilfreich sein.
Die Arbeit einer Linkspartei mit den Künstlern muss die o.a. Angst zum Ausgangspunkt machen, sie nicht falschen Mutproben aussetzen und behutsam die eigene Bedrohtheit mit der ganz anderen von Kulturschaffenden abzugleichen suchen. Dazu brauchen wir materiell ausgestattete Anlaufstellen in der BT-Fraktion, wo Künstler sich über Urheberschutz etwa ebenso informieren, wie Beistand gegen Zensur, Blacklisting und politisches Mobbing in herrschenden Medien suchen können.
Gegenöffentlichkeit braucht aber auch neue, subversive Formen (ohne oder gemeinsam mit prominenten und anderen wirkungsvollen Linkskünstlern) für die sich weder Ministerinnen noch Abgeordnete der Linkspartei zu schade sein sollten.  Die Autorität des „hohen“, zumindestens aber respektablen Staatsamts oder arrivierten Postens muss gelegentlich auch in die ausserparlamentarische Aktion las ermutigende Reputation investiert werden. Käme so zum Beispiel demnächst ein neuer Entwurf der EU-Verfassung (oder niederschwellige Vertragsartikel) auf den Markt – und dann wäre das durch den „französischen Vorlauf“ ja wesentlich publiker als der erste Vertragsentwurf -  könnten wir auf dem Alexanderplatz  und in anderen Städten öffentliche Lesungen des „Werks“ mit hineingespickten  Gedichten und Liedern gegen Krieg und Großkapital veranstalten helfen.
Auch die subversive „Methode Wallraff“ darf für Abgeordnete kein Tabu sein: in Pflegeheime oder andere Prekär-Betriebe vermittelt zu werden und dort ein paar Tage under cover die Zustände auszuforschen, wäre durchaus des Schweisses der Roten wert.
Lange habe ich mich, selbst als sein Manager, gefragt, was den großen Erfolg und die Millionenauflage Günter Wallraffs ausgemacht hat, etwa im Vergleich zum „Werkkreis Literatur der Arbeitswelt“ beim immerhin renommierten Frankfurter „Fischer-Verlag“, der das gleiche Erforschungssujet  hatte, wie Wallraff, aber eher eine dürftige Verbreitung fand. Blieb der „Werkkreis“ bei der blossen Elendsmalerei am Arbeitsplatz, öffnete Wallraff, der prominente Schriftsteller, am Ende seiner „Gerling“-Aktion oder als „Türke Ali“ oder „Hans Esser“ gleichsam sein Hemd und ein Superman-Chiffre war zu erkennen. Der bloße und große Veröffentlichungseffekt des Kölners verlieh den mitleidenden Rezipienten Mächtigkeit über das eigene Arbeits-Schicksal – sie waren vorübergend nicht Objekt. (Ein „proletarischer“ Rache-Effekt, den Gramsci in den Gefängnisheften bei Dumas „Graf von Monte Christo“ näher beschrieben hat.)
Diesen Rache-Effekt haben, wie andere auch, sich die Herrschenden längst einverleibt („BILD kämpft“ für Sie!“). Rosa Luxemburg aber empfahl schon sehr früh, mit der Einzelfall-Skandalierung der herrschenden Verhältnisse das flache Lohnbewusstsein (tradeunionismus) in Richtung eines realistischen Klassenbewusstseins aufzuheben. Aus diesem Grunde sollte die Linke regelmässig mit sehr wenigen, konspirativ aber sauber recherchierten „Skandalfällen“ durch den Mund ihrer Prominenten (wozu haben wir sie denn?) die Wallraff-Methode nutzen: „Die Linke kämpft für Sie!“ Und warum nicht die Rentnerin, die in Süddeutschland vor die Mietwohnung gesetzt wird, die alleinerziehende Kassiererin bei Lidl oder MacDonalds deren Kind weder lesen noch schreiben lernt usw. und das in den Räumen der Bundespressekonferenz aus dem Mund von Oskar Lafontaine und Günter Wallraff, oder dem von Klaus Ernst und Daniela Dahn - und daneben aktuell dazu gemachten Liedern von Manfred Maurenbrecher usw. Die nur als Anregungen, wobei die Arbeit des Petitionsausschusses dabei nicht unberücksichtigt bleiben darf.
So, wie die Kultur-Aktionen zum 8.Mai (Hannover, Halle, Leipzig mit Wecker, Sodann, Hochhuth, Dahn, Maurenbrecher usw.) muss die Linke auch Traditionen „wieder besetzen“ lernen. Auch hier ist ein Feld, mit Gewerkschafterinnen, Künstlern, Programmmachern u.a. parlamentarische Arbeit und Daten im gesellschaftlichen Raum zu unterfüttern. Auch Hörbücher auf CDs können dabei als kulturelle Aufklärungsinstrumente (mit Musik und Text) aus der Links-Fraktion ansprechender sein, als engbedrucktes Papier  Die Zusammenarbeit mit Bürgerradios und offenen Kanälen hat sich dabei in hervorragenden Ansätzen (etwa in Niedersachsen) bereits zum 8. Mai aber auch im BT-Wahlkampf exemplarisch bewährt.
Ich will hier nicht allzu konkretistisch bestimmte Aktionsformen ausmalen. Es soll nur exemplarisch zum weiterdenken deutlich werden, dass eine Linke, die sich ausschliesslich in den Ausschüssen und Interna des Parlamentarismus verausgabt, den Schlägen der Herrschenden nicht gewachsen sein dürfte; aber dass es Möglichkeiten gibt, bei kultureller Selbstbehauptung der Linken, nicht nur die Gejagten zu bleiben. Darum dieses Plädoyer für eine Arbeitsgruppe „Kulturarbeit und Gegenöffentlichkeit“ bei der Linksfraktion, (die zunächst einmal wenig mit Parteistruktur + Gewerkschaftssprache usw. sowie der offiziellen Kulturpolitik zu tun haben darf, um nicht sehr bald ihr Ästhetisch-Spezifisches, und damit die Künstler, zu verlieren.).
Nur eine linke Fraktion, die ihre Schöpferkraft nicht nur hinter den verschlossenen Türen von Parlaments-Ausschüssen verausgabt, sondern kämpferisch und gewitzt eigene Gegenöffentlichkeit und deren Plätze ausbaut, vermag 2009 zu überleben und zu einer neuen Qualität staatlicher Mit-Gestaltung bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Opposition gegen das Großkapital zu gelangen.