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Kategorie: Presse 2006


Von Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Paul Schäfer

„Privatisierung ist Zurückdrängung der Demokratie, Enteignung des Einzelnen und des ganzen Volkes.“ Oskar Lafontaine


Für Antikriegspolitik und ein wirtschaftsdemokratisches Umstiegsprogramm
Dass Außenpolitik Kriegseinsätze ausschließen muss und vielmehr für globale Wirtschaftsdemokratie und Abrüstung streitet, ist zum Markenzeichen der Linken geworden. Veröffentlichung schicksalhafter Entscheidungen und „mehr Demokratie wagen“ machen dann nicht mehr Halt vor Betriebstoren, Besitztiteln oder Eigentumsverfügung.
Obwohl "Verstaatlichung" nur ein rechtstechnischer Terminus ist, schmeckt er in Deutschland nach einem besonders bürokratischen Typ von Sozialismus. In Japan aber wurden grade eben große Banken verstaatlicht. Was dort nun besser funktioniert, ist der Kapitalismus! Zunächst wollen wir also hierzulande eine unaufgeregtere Verwendung von „Verstaatlichung“, um endlich auch freier über „Vergesellschaftung“ nachzudenken. (Die größten Enteignungen kamen nie von Links, sondern vom Monopolkapital gegen Arbeitskraftverkäufer, auch gegen jene mit mittlerem Kapital.) Ausgerechnet Blair re-verstaatlicht gerade das Verkehrswesen. Demokratische Mitentscheidung von Personal und Fahrgästen  heißt das zwar noch lange nicht. Aber immerhin: dort kann nun wieder mit dem Stimmzettel Unmut über Fahrpreise, Leistungsabbau und Verspätungen artikuliert werden.
Sicher ist es besser als nichts, wenn via Verstaatlichung Konzern- und Großbank-Entscheidungen wieder zum Wähler zurückgebracht werden. Aber, wo Demokratie nicht lebt, wo es keine freie Wahlen und Gewaltenteilung, also keinen demokratischen Staat gibt, hat Verstaatlichung auch wenig „mehr Demokratie“ gebracht. Das, vor allem, unterscheidet uns demokratische Sozialisten grundsätzlich von den ersten kostbaren Ausbrüchen und Anläufen aus der Welt des Kapitals.
 Wenn nach einer rechtsstaatlichen Enteignung (was stets nur per „Verstaatlichung“ geht) eine demokratische (genossenschaftliche oder öffentlich-rechtliche) Rechtsform etwa für die „Deutsche Bahn“ oder „Post“ wieder auf den Stimmzettel rückt, heißt das noch lange nicht, dass Wählerinnen und Wähler auch sozial und ökologisch davon Gebrauch machen. Wer heute die (staatsfernen und shareholder-freieren) öffentlich-rechtlichen Aufsichtsorgane der ARD (der effizientesten Rundfunkversorgerin der Welt) gegen Springer und RTL verteidigt, weiß gleichzeitig, dass der Bayrische Rundfunk entsprechend der süddeutschen Offizialkultur wesentlich konservativer gefärbt ist, als etwa der WDR. Das ist eben Demokratie. Darum wäre auch die inhaltliche Besetzung der Aufsichtsräte, als Kultur von Wirtschaftsdemokratie, zum Wahlkampfthema zu machen. Warum sollen dann die Wähler nicht darüber abstimmen dürfen, ob attac, greenpeace, amnesty und mehr Sozialverbände in öffentlich-rechtliche Aufsichtsratsposten einer so demokratisierteren Deutschen Bank gebracht werden? Vorläufig geht es nicht um Sozialismus. Zunächst müssen wir den extremistischen Marktfanatismus stoppen, Privatisierungen in Gebieten der Daseinsvorsorge rückgängig machen.
Ein neuer „Schutzraum des Öffentlichen“, kann nach Artikel 14 (Sozialbindung des Eigentums) entstehen. Aber eher noch nach Art. 15, den „Gemeineigentums- u. Vergesellschaftungsartikel“. (Ohne diesen hätte übrigens die SPD 1949 dem Grundgesetz nicht zugestimmt! Und das BVG sagt im Juni 1954 dazu, „eine grundsätzlich andere Wirtschaftsordnung“ sei mit diesem Artikel 15 möglich!).
Ein wirtschaftsdemokratischer Umstieg beginnt nie „auf einen Schlag“. Er wird aber auch nicht ohne kleine und große Brüche mit der kapital- und militarismusunterworfenen Logik der Herrschenden verlaufen. Darum kommt es darauf an, bereits im Heute diese Perspektive programmatisch zu benennen und sie  breit in der Gesellschaft zu diskutieren. Erst wenn auch bei uns Bevölkerungsteile ein wenigstens ungefähres Bild von einer rechtsstaatlichen, wirtschaftsdemokratischen Alternative haben, kommt von unten neues Leben in unsere repräsentative Demokratie. Statt des großen Grau einer staatsbürokratischen Fernlenkung und monopolkapitalistischen Überregulation: ein bunter Mix an Eigentumsverhältnissen! Bei dem kleine und mittelgroße Privatunternehmen befreit vom Konzern- und Bankendruck existieren können und zwar neben der Genossenschaft, der öffentlich-rechtlichen Großbank und Rundfunkanstalt, dem kommunalen Wasserbetrieb, dem staatlichen Gewalt- (und Sicherheits-)monopol und dem gemeinwirtschaftlichen Energiekonzern, bei qualitativ neuer Selbst- und Mitbestimmung in Großbetrieben und strategisch aufgewerteten Gewerkschaften. Sozialistische Demokratie ist Gemeinwirtschaft im demokratisch gewaltgeteilten Staat inclusive Markt und private Unternehmen. Sie meint zivile Außenpolitik,  globale Gerechtigkeit, Geschlechterdemokratie, mehr individuelle Freiheit durch eine solidarische Gesellschaft.
Regieren aus der Opposition
Die Linke muss, um obiges zu erreichen, ihr Instrumentarium von Entlarve auf Eingreifen, umrüsten, vom Nur-Verschieden-Interpretieren aufs Verändern. Die diesbezüglichen Debatten in Deutschland beschränkten sich bislang auf Tabuisierung des Mit-Regierens, den triumphierenden Verweis auf die realexistierenden Marketingbüros namens SPD und Grüne. Oder eben auf das „zufällige“, die Linke unvorbereitet treffende Heineinschliddern in Regierungen. Aber wann beginnt hier die diskursive Öffnung für einen wirtschaftsdemokratischen, antimilitaristischen Umstieg? Der nicht nur in unseren Köpfen stattfindet, sondern, aus der Furcht davor, dass der neoliberale Zeitgeist sich mit den Regierungsjahren auch die Linke untertan macht, praktisch wird.
Politische Bedingungen dazu müssen erarbeitet und erlernt werden. Mit dem Blick auf die Geschichte und auch auf jüngere Enttäuschungen beim Mitregieren, wie in Frankreich. Die Linke in Deutschland muss so als Gegenmacht den pessismismusgeläuterten Willen zum Regieren zurückgewinnen. Für Deutschland und Europa, sowie für eine internationale „Unidad Popular“. In China und Südostasien regieren KPn – ohne unsere echte Beachtung. In der anderen Wachstumsmacht, in Indien, tolerieren die beiden KP’n die Minderheitsregierung. Im nahen Zypern stellt die AKEL, Beobachterpartei der Europäischen Linken, die Mehrheit in einer Koalitionsregierung, in Norwegen die Minderheit. Am 9. April wählt Italien. Eine Ablösung der Berlusconi-Regierung wird nur durch Einschluss der Kommunisten möglich. Die Vereidigung des neuen bolivianischen Präsidenten Evo Morales, mit erhobener Faust und im Bündnis mit Chavez und Castro, signalisiert: der Wind beginnt sich zu drehen. Höchste Zeit, über den deutschen Tellerrand hinaus zu blicken. Und nach hinten.
Nach dem von den USA gefeaturten Militärputsch gegen den demokratischen Präsidenten Chiles, Salvador Allende, eröffneten die Eurokommunisten um Enrico Berlinguer eine tief greifende Diskussion. Als Zwischenergebnis empfahlen sie eine noch breiter-mehrheitliche Basis als `conditio sine qua´ non für den Einstieg in eine linke Nationalregierung, sogar unter Einschluss von großen Teilen der Christdemokraten. Berlinguer bezeichnete dabei das  Misstrauensvotum gegen Brandt, der zuvor von den Konzernmedien „sturmreif geschrieben“ worden war, bereits als „kalten Putschversuch“, hatte aber für Europa durchaus blutigere Varianten vorm Auge. Seine Skepsis gegen Mitregieren kam also aus Furcht. Nicht aus radikalem Maximalismus. Bis zu einer breitmehrheitlichen Massenbasis wollte er nur „aus der Opposition regieren“, getreu den Lehrern Gramsci und Togliatti, die diese Dialektik bei Bebel ablasen, der so sogar Bismarck eine Sozialgesetzgebung aufgeprägt hatte.
Togliatti war kein „Regierungsfeind“, hatte durchaus schwere Kröten des Mitregierens geschluckt, als er mit der KPI-„Wende von Salerno“ nach der Inhaftierung Mussolinis in die vom faschistischen Großrat gestiftete Regierung Bardoglio eingetreten war. Aber mit lohnendem Ziel: die Verbreiterung der Partisanen- und Widerstandsbewegung gegen die deutschen Besatzer und Mussolini. Die italienischen Kommunisten vermochten aus der Regierung zu opponieren und aus der Opposition zu regieren.
Schöne Ablenkungspropanda beim Verfüttern linker Wählerstimmen in Ministerposten hat es immer gegeben. Nicht nur in der SPD durften Wählerbasis immer, aber Minister nimmer „schutzlos im Regen stehen gelassen werden.“ Mitregieren muss sich aber kritisch messen lassen. Wurde das Leben der Benachteiligten dadurch besser? Und: wurde die Widerstandsbasis gegen Krieg und Großkapital stärker oder schwächer durch sie? Regiert die Linke mit, muss immer auch die übernächste Wahl mitgewonnen werden, weil sonst ein brutales Rollback droht. Fausto Bertinotti von der „Rifondazione“ warnte jüngst vor diesem „Gesetz des Pendels“, der auch unsre Linke weghauen könnte.
Gesellschaftliche Opposition aus der Regierung
Mit-Regierende auf Gemeinde- und Länderebene könnten die Chancen der Opposition gegen Krieg und Konzernmacht verbessern. Wenn z. B. Bürgermeister und Landesminister für die Menschen mehr rauszuholen, partizipative Haushalte öffnen, nichts unter dem „Sachzwangdeckel“ verschweigen die Profiteure von Krisen und Haushaltslöchern beim Namen nennen, und mit ihren Amtstiteln zum Protest ermutigen. Wie Berlin und Mecklenburg-Vorpommern zeigen: dies ist schon kompliziert genug. Aber eine Bundesregierung wäre gleichsam um Klassen gefahrvoller. Dies will intellektuell-konsequent durchgeplant sein, um nicht in seinen Gefahren umzukommen. Um nicht  in eine Bundesregierung hineinzuschliddern, aus der wir kaum erhobenen Hauptes, sondern eher mit den Füssen zuerst wieder herauskommen. Und also sagen wir klar: wir wollen in eine Bundesregierung, so geplant wie möglich. Und wir wollen dies nicht verdeckt, nicht via heimlicher Absprachen hinter dem Rücken der Linken, wir laden ein ins Freie, zu einer linksöffentlichen Diskussion.
 Der einzige meistzitierte Faktor für einen Regierungseintritt reicht uns dabei nicht aus: nämlich dass die Herrschenden in der Krise sind! (Zumal nicht als Lückenbüßer für Privatisierung und Haushaltskürzungen auf Kosten der unteren Zweidrittel). Es müssen zwei Faktoren hinzutreten, um im Bund, für einen friedenspolitischen, wirtschafts-demokratischen Umstieg mitzuregieren:
 Eine breite Mehrheit bei Wählerinnen und Wählern, tiefes Vertrauen in der Gesellschaft. Selbst jene Kleinbürger, die eine linke Regierung ablehnen, dürfen uns dann in ihrer Mehrheit nicht als Bedrohung empfinden. Denn solche Ängste sitzen im Kernland des Kalten Kriegs tiefer als anderswo in Europa. Eine Linke in der Bundesregierung kann nicht überleben, ohne wurzelstarke Bewegungen der Betroffenen, aus Gewerkschaften, von Künstlern und anderen Intellektuellen, die die Linke nicht nur in die Regierung zu tragen, sondern auch nachhaltig zu stützen vorbereitet sind. Und – denn hier müssten ja Milliardenprofite von oben nach unten zurückverteilt werden – dann gegen den Sturm von rechts, von Verlagskonzernen, Geheimdiensten usw. zu verteidigen. Neue gesellschaftliche Mehrheiten gehen parlamentarischen Mehrheiten voraus, sind kulturelle Sendboten für Veränderungen. Aus den sozialen Bewegungen entwickelt sich der „historische Block für Veränderung“, über den Antonio Gramsci nachdachte.
Es müssen einerseits überhaupt Partner vorhanden sein, die sich in entscheidenden Fragen erkennbar von völkerrechtswidrigen Militarismus-Zielen und von der ultraliberalen, marktradikalen Agenda 2010 loslösen wollen.
Diese insgesamt drei gesellschaftlichen Bedingungen sind zurzeit nicht vorhanden, Die Lust auf „mehr Demokratie“ – besonders in der Wirtschaft – also eine radikal andere Bundesregierung muss außerparlamentarisch vorbereitet werden, um Bewegung und Partner und uns zu reifen. Und: wir müssen dies wollen und strategisch befördern.