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Kategorie: Presse 2006
Linke Kulturarbeit in der BRD zwischen BAP und Sex Pistols, Fassbinder und Degenhardt, Brecht und Gramsci. Ein Gespräch mit Diether Dehm zu seinem 40. Bühnenjubiläum

http://www.jungewelt.de/2006/10-28/001.php
28.10.2006  - Jürgen Elsässer
Diether Dehm (* 1950), seit 1966 Liedermacher und SPD-Mitglied, 1994–1998 MdB für die SPD, Bundesvorstandsmitglied der SPD, 1998 Übertritt in die PDS, 1999–2003 stellvertretender Parteivorsitzender PDS, 2005 MdB für Die Linke.
Ihre Hitzeilen sind Legende: »Tausendmal berührt«, »Was wollen wir trinken«, »Das weiche Wasser bricht den Stein«, »Faust auf Faust«. Was haben Sie dabei besonders in Erinnerung?
Die Gegen-BILD-Arbeit mit Günter Wallraff und anderen Künstlerfreunden. Die Premieren der niederländischen Linksrockgruppe bots, 79 und 8o, bei »Rock gegen rechts« in Frankfurt/Main, was ich auch mit aus der Taufe gehoben hatte. Oder der Kampf gegen die US-Raketen, 81 und 82, wo zum ersten Mal eine Million Menschen meine Texte sangen. Dann, als mich der damalige SPD-Vorsitzende Brandt bat, für die 125-Jahr-Feier der Sozialdemokratie meinen Text »Das weiche Wasser« umzuschreiben. Daraus wurde dann im Reichstagsgebäude 1988 ein Titel für die zentrale SPD-Feier und die Platte, die ich mit Götz George, Senta Berger, Heinz Rudolf Kunze und Willy Brandt aufgenommen habe.
So gern wie an bots, Lage und Katarina Witt erinnern Sie sich vermutlich nicht an alle, die Sie gemanagt haben. Etwa an BAP ...
Deren Tonträger habe ich seit 1981 auf meinem Label betreut. Aber in den neunziger Jahren gingen wir auseinander. Wolfgang Niedecken zog’s in Richtung Joschka Fischer, 1999 hat er den Jugoslawien-Krieg unterstützt. Damit wollte ich weniger zu tun haben. Oder mit Wolf Biermann, den ich auch gemanagt habe…
… im Auftrag der Stasi?
Nein, die MfS-Akten bestätigen das Gegenteil: Die Genossen von der Freien Deutschen Jugend (FDJ), die mich in den siebziger Jahren für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) abschöpften, haben erst viel später kapiert, daß ich mittlerweile Biermanns Manager geworden war. Übrigens durch Vermittlung seines und meines Freunds Günter Wallraff. Das war lange, nachdem ich den Kontakt zu ihnen wie auch zu DKP-Leuten abgebrochen hatte, mit denen ich mich wegen ihrer Unterstützung der Biermann-Ausbürgerung überworfen hatte. Von den zehn Jahren Biermann-Management hatte ich also höchstens noch ein paar Wochen DDR-Kontakte. Das MfS hat dann, kurz nachdem ich Ende 1976 mit Abendroth und Wallraff die Resolution gegen die Ausbürgerung formuliert hatte, meine Akte abgeschlossen und in seinem Abschlußbericht enttäuscht festgestellt, ich sei unbelehrbar. Und zwar pro Biermann und pro Bahro. Ich kam 1978 in die DDR-Einreisefahndung. Nachdem Biermann alle vier NATO-Bombenkriege promotet hat, bin ich aber nicht mehr stolz drauf, mich überall für ihn eingesetzt zu haben.
Sie sollen auch aus der Frankfurter SPD ans feindliche Ausland Verrat geübt haben?
Ich habe bis 1977 in West und Ost unter Genossen immer das gleiche gesagt. Auch laut Aktenlage. Etwa von der Qualität, daß Karsten Voigt ein rechtes angepaßtes Arschloch sei. Kürzlich behauptete Karsten Voigt in der Welt, um das rauszukriegen, hätte ich Spion sein müssen.
Hatte die Linke in den achtziger Jahren eine kulturelle Hegemonie in der Popmusik?
Gold- und Platin-LPs – also Songs für Millionen – hatte bis dato noch nie ein bekennend linker Künstler. Linke Liedermacher waren unter einer Schallgrenze von 40000 verkauften Einheiten geblieben. Bots, BAP, Lage, Zupfgeigenhansel, Mangelsdorff – das bedeutete auch Bündnisarbeit. Plus volle Hallen und Kassen im Kampf gegen Startbahn West und sogar für DKP-Veranstalter, linke Gewerkschafter, Hausbesetzer und Aktionisten gegen den Reagan-Besuch. Dann kam plötzlich das Rollback in den Medien. Wer sich als Künstler der organisierten Linken, auch der DKP, zur Verfügung stellte, wurde »out-geschrieben« und flog aus Sendungen. Neue-Deutsche-Welle-Bands mit einem gewissen grundierten Antikommunismus in ihrer Auftrittspraxis waren »in«, und mit ihnen wurden linke Bands verdrängt.
Klingt das nicht sehr nach Verschwörungstheorie?
Verschwörungen werden nicht weniger, weil es die Verschwörungstheorie gibt. Lesen Sie Erich Schmidt-Eenboom oder das CIA-Buch von Francis Saunders. Wie gezielt der BND in Medien wirkt, und zwar vorzugsweise in halblinken. Oder wie bereits das FBI nach 1945 linksliberale Medienleute geschmiert hat. Damals hat der CIA sogar Millionen Dollar in abstrakte Kunst investiert – ausdrücklich gegen antikapitalistische Maler. Solcherlei Connections wurden vermutlich auch in den Achtzigern aktiviert, um linke Populärunterhaltung medial zu verschweigen, zu skandalisieren und in die Liedermacher-Nischen zurückzujagen.
Lag das zurückgehende Hörerinteresse nicht viel eher am Abschwung der Friedensbewegung nach der Pershingstationierung? Entschuldigung: Waren Ihre Songs zu flach, lieferten sie zu wenig Antworten auf die Erfolge des Imperialismus?
Bevor wir an ästhetische Flachstellen gehen, sollten wir uns einig sein, daß die Mehrheit der Konzern-Schreibagenten Gegner sind. Auch wenn wir noch so filigrane Pressearbeit machen, setzen sie bestenfalls einen warmherzigen Gesichtsausdruck auf. Wo sich antikapitalistische Artikulation mit Massenbewegung verbindet, kommen automatisch ihre Totschlagzeilen »peinlich« und »Populismus«. Diese brauchen sie nie zu begründen, nur zu wiederholen und zu vernetzen – das ist ihre Interpretationsmacht. Bis in die liberale Linke, auch Spiegel, FR, Zeit, Süddeutsche, Jungle World und Berliner Zeitung hinein. Medienknechte als »Schild und Schwert« des Kapitals, oder mit Pierre Bourdieu: trojanische Pferde des Neoliberalismus.
Aber die Plattenumsätze Ihrer Künstler kamen doch nicht ohne Medien zustande?
Meine Kommunikationsstrategie setzte überwiegend auf Massenbewegungen. Und es gab damals noch hundertmal soviel Linke in den Medien. Die wurden dann durch Liberale und Fischerfans ersetzt. So heißt es in meinem Tagebuch im März 1983, daß mit einem Schlag in 22 Sendungen und Tageszeitungen zugleich »Das weiche Wasser« mit immer denselben Worten »peinlich« und »unsäglich« attackiert und aus Sendekörben genommen wurde. In Sponti- und Rot-Grün-nahen Magazinen stand: »konterrevolutionär weichgespült«. Dabei war die Zeile aus Brechts Laotse-Gedicht, »daß das weiche Wasser in Bewegung … den mächtigen Stein besiegt«.
Klingt mir trotzdem zu sehr nach Ghandi!
Nicht nur nach Ghandi, auch nach Nelson Mandela: Im Schoße einer rabiaten Diktatur reift eine radikaldemokratische Gegenkultur heran, die der herrschenden Gewalt widersteht und sie übersteht. Gramsci wollte im Unterschied, oder besser in Ergänzung, zu Lenins staatlicher Diktatur des Proletariats zuvor bereits kulturelle Hegemonie erringen, also nicht allein auf den einen Sturm aufs Winterpalais warten. Nur so kann die Linke auch der Demagogie der Realos widerstehen, wonach einzig via Mitregieren politisch gestaltet werden kann.
Das müssen Sie erklären.
Ich erinnere an den italienischen KP-Führer Palmiro Togliatti und seine Devise »Regieren aus der Opposition«. Wir sind als Linke primär Widerstand gegen Systeme des Monopolkapitals – in denen wir auch nur dann mitregieren sollten, wenn wir damit die Gegenbewegungen stärken. Aber Opponieren ist auch oft sehr kalt. Die Herrschenden machen ihren Untertanen warm ums Herz, sobald sich Minister, ihre Stars und andere Epaulettenträger nähern. Wenn wir weder bei deren Promisystem mitspielen noch mitregieren, was haben wir dann zu bieten? Nur kalte Analyse? Den Hungernden die Speisekarte vorhalten? Genau darum braucht eine gute Opposition die guten gemeinsamen Kunsterlebnisse. Degenhardts »Kommt an den Tisch unter Pflaumenbäumen«, auch seine neueste CD – das sind Oasen des Klassenkampfs. Wo die Linke keine eigenen kulturellen Mutmacher bietet, treibt sie ins Lager der Mitregierer.
Ich gebe jetzt mal den Advocatus Diaboli: Taugen die Sex Pistols nicht besser als kulturelles Rückgrat einer oppositionellen Haltung im Kapitalismus – unversöhnlicher Punk statt eingängiger Oasenmusik?
Gegen warmherzige Traditionselemente setzte die Aufklärungsästhetik Adornos ihre atonale oder Zwölftonmusik mit dem Ruf »Nichts für die einfachen Leute!« Bei vielen Linken lief es am Ende immer auf elitäre Erziehungsdiktatur hinaus, auch bei Grünliberalen. Dagegen: Klassenkämpfe und künstlerische Potentiale sind wie kommunizierende Röhren. Die realen Auseinandersetzungen – nicht linear, sondern über Umwege – generieren neue Talente und neue Genußmomente. So ging der größte deutsche Komponist des letzten Jahrhunderts, Hanns Eisler, mit dem Gepäck der Schönberg-Schule an die Arbeiter- und Volksmusik. Wenn die Linke sich nur auf eiskalte Zertrümmerungsstrategien, Umerziehung oder die Sex Pistols fixieren ließe, würde sie zynisch wie die Konzernmedienknechte, würde sie den rechten »Kameradschaften« noch mehr Jugend, noch mehr Proletariat, noch mehr Prekariat abtreten. Eine derart antipopuläre Linke ist auf Dauer nicht existenzfähig.
Die Süddeutsche hat Ihre Brecht-Intonation verrissen – sie sei zu pathetisch.
Der Abend im Berliner Ensemble »Brecht gegen Krieg« zum 1. September 2006 wurde im selben Sprachduktus auch vom Neuen Deutschland, der jungen Welt und der Welt heruntergemacht. Man verglich meine Rezitation von »An die Nachgeborenen« mit Brechts eigener–idiotisch, denn die meine ist gesungen, und zwar hier ziemlich an Ernst Busch orientiert, Brechts Aufnahme hingegen ist gesprochen. Außerdem will ich als Nachgeborner demonstrativ eine andre Sprachhaltung einnehmen als einer, der das Exil oder KZ selbst erlitten hat. Degenhardt schrieb: Mein Brecht-Gesang sei der »sympathischste und anmutendste von allen lebenden Eisler/Brecht-Interpreten«.
»Warmherzige Traditionselemente«– wovon setzen Sie sich damit ab?
Naja, vom ganzen undialektischen Zeitgeisttheater. Oder Christoph Schlingensief und Co., nur ins Ätzen verliebt. Auch Rainer Werner Fassbinder brachte keine Widerstand generierenden Charaktere hervor, vielleicht mit Ausnahme vom »Katzelmacher«.
Also zurück zum Optimismus des sozialistischen Realismus, gegen den Verfremder Brecht, für den Romantiker Lukács?
Brecht und Lukács sind sich dabei näher, als Sie denken. Und ich nenne das auch nicht »sozialistischen«, sondern »dialektischen Realismus«. Die beiden stritten sich lediglich, auch teilweise pubertär, um den Kulturthron der Linken. Gegen die von Lukács gelobten »bleibenden Charaktere« bei Tolstoi und Mann schrieb Brecht, André Gide hätte nach der Kollektivierung der Landwirtschaft in der Sowjetunion keine bleibenden Charaktere mehr gefunden. Aber gerade Brechts Mütter, die Carrar, die Wlassowa, die Courage, bestätigen Lukács nachgerade. Historisch gebrochen, aber Kerne und Keime für neue Menschenbilder diesseits und jenseits der Kapitallogik. Gegen so was läuft seit jeher der Angriff imperialistisch orientierter Feuilletons, gegen Brecht und Lukács gemeinsam.
Aber es gibt doch auch linken Kitsch, oder?
Was soll das sein, Kitsch? Es gibt keine logische Definition davon, keinen Begriff im Sinne von Begreifen. In anderen Sprachen gibt es Kitsch auch nur als deutsches Fremdwort. Kitsch ist ein Kampfwort aus der Geschmackswelt der deutschen Bourgeoisie, mit dem sie sich zynisch die von ihr selbst geschaffenen Kretins vom Leibe halten wollte. Nein, auch die deutsche Folklore ist ein Kampfplatz.
PDS-Modernisierer wie Wulf Gallert aus Sachsen-Anhalt würden Ihnen, wie dem »Manifest für die Neue Linke« von Lafontaine und Gysi, Nationalismus unterstellen. Kommen Sie deswegen im Neuen Deutschland nicht mehr zum Zug?
Chefredakteur Jürgen Reents schrieb mir jüngst, das ND wolle mit mir nicht mehr "journalistisch zusammenarbeiten" und ich möge das halt als "Schreibverbot kommunizieren". Anlaß war ein Leserbrief pro Lafontaine, den Reents aus dem Blatt nahm. Der Vorwurf aus Sachsen-Anhalt ist aber auch in der Kulturdebatte lächerlich. Gerade in den jeweiligen Nationalkulturen liegen die Trüffel für die jeweils revolutionären Künstler. Wer dafür keine Nase hat, kann keine Kunst entfalten die dem Feind gefährlich wird - national, weil inter- und anti nationalistisch. Wir bestreiten den Faschisten, die sich als "Nationalsozialisten" ausgaben, nicht nur, das sie Sozialisten waren. Sie waren auch genauso wenig national. Wer Deutschland für das Großkapital in Schutt und Asche legt, wer die besten deutschen Künstler vor allem die jüdischen, die humanistischen, vergast und verjagst, ist ein Feind der deutschen Nation. Brecht sprach 1955 vom "Internationalismus des Proletariats als völlig neuem Nationalgefühl, das an die deutschen Klassiker anknüpft". Und er setzt das ab gegen den "modernen Kosmopolitismus", der die Konturen nationaler Kulturen verwischt und die dafür die odiöse abstrakte Nützlichkeit der Monopole setzt.". Aber dieser Widerspruch zwischen nationalstaatlichem Klassenkampf und Globalisierung ist wahrscheinlich zu tief für rechte Flachpfeifen.