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Kategorie: Presse 2009
LINKE-Politiker setzt auf Korrekturen des Verfassungsgerichts an Festlegungen des EU-Abkommens
Fragen von Uwe Sattler

* Dieter Dehm ist Europapolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.

ND: Vor dem Bundesverfassungsgericht hat in der vergangenen Woche die Anhörung zu Klagen gegen den Lissabonner EU-Vertrag stattgefunden. Verfassungsrechtliche Bedenken hat unter anderem die Bundestagsfraktion der LINKEN vorgebracht. Was wird konkret kritisiert?

Dehm: Der Lissabon-Vertrag ist das verstärkte Aufrüstungsgebot der EU, er forciert Privatisierung und Sozialstaatsabbau in Europa – und das gegen jede Vernunft in der aktuellen Finanzkrise. Und der Vertrag ist nicht geeignet, Defizite der demokratischen, parlamentarischen Kontrolle über gravierenden EU-Kompetenzzuwachs zu beseitigen. Konservative Staatsrechtler, wie der frühere Bundespräsident Roman Herzog, sprechen der BRD sogar ab, »noch eine parlamentarische Demokratie« zu sein.

Der Kurs auf Neoliberalismus und Militarisierung existiert in der EU aber auch ohne »Lissabon«.

Die Angriffe des europäischen Gerichtshofs auf das VW-Gesetz – also die Landesanteile und die Mitbestimmung – wurden von den bisherigen EU-Verträgen von Maastricht und Nizza geleitet und vom Lissabon-Vertrag ermutigt. So auch EU-Angriffe auf die Sparkassen, die als einzige wie ein Fels gegen den aktuellen Finanz-Tsunami stehen. Sogar Konjunkturprogramme wären ein Verstoß gegen den EU-Stabilitätspakt. Dazu kommen EuGH-Urteile gegen das Streikrecht in EU-Ländern, gegen die Tariflohnbindung bei öffentlichen Bauaufträgen und gegen das Arbeitsrecht. Wir wollen aber eine Verfassung, die diese neoliberale Rechtsprechung hemmt. Wir brauchen eine Stärkung der öffentlichen Anteile an Konzernen, eine Erweiterung der staatlichen Kompetenz gegen Bankenwillkür. Statt des »unverfälschten Wettbewerbs« und anderer fundamentalistischer Neoliberalismen in Vertrag und Protokoll. »Lissabon« wäre eine neue rechtliche Qualität für Privatisierung, Militarisierung, Neoliberalismus und Demokratieabbau. Den Deutschen würde sogar verboten, nach Artikel 15 Grundgesetz frei und liberal die kapitalistische Wirtschaftsordnung eines Tages abzuwählen.

Trotzdem enthält der Lissabon-Vertrag doch positive Aspekte, wie beispielsweise die Bürgerinitiative, die eine direkte Mitsprache der »einfachen Europäer« in Brüssel ermöglichen soll.

Was da »Initiative« genannt wird, ist unverbindliche Bittstellerei. Und das alles in einem Vertrag, der »schrittweise Verbesserung der militärischen Fähigkeiten« in 27 EU-Staaten in Verfassungsrang heben möchte.
Die Berichte über den Verlauf der Anhörung vor dem BVG fielen durchaus unterschiedlich aus.
Das Bundesverfassungsgericht hat in der Verhandlung viele tief beeindruckt. Auch mich, der – obwohl Sozialdemokrat – in der Jugend von radikaler Leninscher Staats- und Justizkritik zumindest gestreift wurde. Verfassungsrichter haben Steinmeier und Schäuble so scharf und kompetent in die Mangel genommen, dass gar der Eindruck entstand, der Lissabon-Vertrag könnte kippen. Ich mache mir aber keine Illusionen. Am Ende wird der Parteieneinfluss auf einzelne Richter sein Machtwörtlein sprechen. Vermutlich werden die Richter aber »Leitplanken« einziehen, die es in sich haben könnten. Dazu wäre es ohne DIE LINKE aber nie gekommen.

Welche »Leitplanken« könnten das sein?

Ich kann mir beispielsweise nicht vorstellen, dass das absolut grundgesetzwidrige Entfallen des Bundestagsvorbehalts vor Militäreinsätzen diesen Prozess überlebt, und hoffe, dass der Bundestag mehr Einfluss erhält auf das EU-Handeln der Regierung.

Sollten an dem Vertrag größere Abstriche gemacht oder er gar völlig gekippt werden, könnte die LINKE wieder in die europafeindliche Ecke gestellt werden.

Da habe ich keine Sorge. Der Großteil der europäischen Bürgerinnen und Bürger empfindet die EU zunehmend als Bedrohung – und zwar oft zu Recht. Deshalb wollen SPD, Grüne, FDP und CDU auch keine Volksabstimmung zulassen, selbst wenn einige Verfassungsrichter mit dieser Option liebäugeln. Aber wenn wir unseren Europa-Wahlkampf mit dem Geist des Memorandums von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine und unserer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht führen, helfen wir am 7. Juni, die Rechtsextremen klein zu halten, haben wir unser Alleinstellungsmerkmal – und für Millionen Wähler eine demokratische Entscheidungschance gegen den Lissabon-Vertrag.

Quelle: http://www.neues-deutschland.de/artikel/144196.leitplanken-fuer-den-vertrag-von-lissabon.html#