weblogoDie Linke muß ihre Positionen zu den EU-Verträgen nicht ändern, wohl aber die SPD
Von Fabio De Masi, Alexander Ulrich, Jürgen Klute und Diether Dehm
http://www.jungewelt.de/2009/10-28/012.php

* Anfang 2009 entbrannte in der Linkspartei eine Debatte über ihr Verhältnis zur Europäischen Union. Nach dem Parteitag zu den Europawahlen und dem Austritt der langjährigen EU-Abgeordneten Sylvia-Yvonne Kaufmann behaupteten Medien und andere Parteien, in der Linken hätten die Vertreter europafeindlicher Positionen gesiegt. In der Linkspartei und in der SPD mehren sich seit den Bundestagswahlen Stimmen, die als Voraussetzung einer Annäherung beider Parteien eine Änderung der Haltung zur EU auf seiten der Linken fordern. Unsere Autoren sind Europapolitiker der Linkspartei.
Die Wahlniederlage der SPD hat die Debatte um rot-rote Regierungsbündnisse belebt. Die Sirenen der Meinungsmacher verkünden, Die Linke müsse nun den Widerstand gegen das Europa der Banken und Konzerne aufgeben. Doch die EU fördert Lohndumping und wirtschaftlichen Nationalismus. Sie behindert Verkehrsregeln für die internationalen Finanzmärkte. Hartz IV ist Armut per Gesetz, die EU fördert die »Wirtschaftskrise per Vertrag«. Der Kern der europäischen Integration sind rechtlich verbindliche Verträge –auch für linke Regierungen. Änderungen der Verträge bedürfen der Zustimmung von 27 Mitgliedstaaten. Ein Wechsel der politischen Mehrheiten schafft daher noch kein Europa mit Zukunft. Die SPD, nicht Die Linke muß sich europapolitisch erneuern. Daran wird auch die Ratifikation des Vertrags von Lissabon nichts ändern.
EU-Verträge und Krise
Lohndumping ist neben der Beseitigung der Verkehrsregeln auf den internationalen Finanzmärkten die zentrale Ursache der Wirtschaftskrise. Wenn Arbeitnehmer und sozial Bedürftige kein Geld in die Geschäfte bringen, werden Unternehmen nicht investieren und Banken im Casino zocken. Dies ist nicht nur die Meinung der Linken, sondern die Botschaft eines Berichts der Kommission der Vereinten Nationen zur Regulierung der Finanzmärkte unter Vorsitz des Wirtschaftsnobelpreisträgers Joseph Stiglitz.

Oskar Lafontaine nannte Hartz IV das europafeindlichste Gesetz. Die verschärften Zumutbarkeitsregeln haben Billiglöhne gefördert und die Exporte auf Kosten unserer Nachbarn stimuliert. Doch Hartz IV war nur die nationale Antwort auf die Lissabonstrategie, welche die EU bis 2010 »zum dynamischsten und wettbewerbsfähigsten Wirtschaftsraum der Erde« machen sollte.

Schwerer wiegt aber die EU-Vertragsarchitektur. Sie fördert Lohndumping, Wirtschaftsnationalismus und Finanzhaie.

Erstens haben die Binnenmarktfreiheiten (freier Personen-, Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr)) faktischen Vorrang vor den Grundrechten der Arbeitnehmer und der Tarifautonomie. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) schränkte daher das Streikrecht in Schweden und Finnland ein und verbot dem Land Niedersachsen, Tariflöhne bei öffentlichen Aufträgen einzufordern. Der EuGH urteilte, höchstens Mindestlöhne dürfen die unternehmerischen Freiheiten einschränken. Damit erklärte er Mindestlöhne zu Höchstlöhnen. Diese Rechtsprechung setzt beim »Herkunftslandprinzip« an. Es leitete mit der Einheitlichen Europäischen Akte (1987) einen Wendepunkt in der europäischen Integration ein. Grundsätzlich richten sich Löhne, soziale oder ökologische Standards in der EU nach der Herkunft eines Unternehmens, nicht nach den Regeln des Mitgliedslandes, in dem es sich betätigt. Geht ein deutsches Unternehmen nach Polen geht zahlt es selbstverständlich die niedrigen polnischen, nicht die höheren deutschen Löhne (Bestimmungslandprinzip). Umgekehrt gilt dies nicht. Das ist Lohndumping per Vertrag.
Depression per Vertrag
Zweitens fördert die vorrangige Verpflichtung der Europäischen Zentralbank (EZB) auf Preisstabilität Finanzhaie und vernichtet Jobs. Denn hohe Zinsen machen Finanzanlagen attraktiver und bremsen Investitionen. Die Rallye bei Rohstoffen und Energiepreisen lag nicht an maßlosen Löhnen der Beschäftigten, sondern an Spekulation und der Macht privater Energiekartelle. Die EZB ist ein Jobkiller per Vertrag.

Drittens liefert der »dumme Stabilitätspakt« (Romano Prodi) der Bundesregierung einen Vorwand, sich vor der Verantwortung für die Eurozone und die Weltwirtschaft zu drücken. Deutschland müßte wie Japan und China als Exportnation mehr für die Konjunktur tun als andere Staaten. US-Präsident Obama hat die Bundesregierung bereits zu einem dritten Konjunkturpaket ermahnt. Nur mit Konjunktur- und Zukunftsinvestitionsprogrammen werden Gewerkschaften in die Lage versetzt, angemessene Löhne durchzusetzen. Nur mit Wachstum lassen sich die Staatsfinanzen sanieren, läßt sich Arbeitslosigkeit verhindern, wenn die Produktivität weiter steigt. Derzeit laufen Defizitverfahren gegen 20 von 27 Mitgliedsländern der EU. Das ist Depression per Vertrag.

Viertens sehen die Verträge keine Wirtschaftsregierung vor, um die Lohn-, Geld- und Fiskalpolitik zu koordinieren. Die unterschiedliche Lohnentwicklung bedroht die Währungsunion. Länder mit Handelsdefiziten können ihre Währung nicht mehr abwerten. Wettbewerbsnachteile zwingen zu Lohnzurückhaltung, es sei denn, es fließen Transferleistungen. Mit anderen Worten: Entweder der portugiesische Arbeitnehmer verzichtet auf Lohn, oder der deutsche Arbeitnehmer bezahlt für die Geschäfte von Siemens die Arbeitslosigkeit des Portugiesen. Beides kann nicht gut gehen. Die Fehler der deutschen Währungsunion werden in Europa wiederholt. Das ist Wirtschaftsnationalismus per Vertrag.

Ein gemeinsamer Währungsraum ohne gemeinsame Wirtschaftspolitik erschwert auch eine einheitliche Geldpolitik. Länder wie Spanien, Irland oder Griechenland müssen Zinsaufschläge auf Staatsanleihen hinnehmen. Die Bundesregierung lehnt die Auflage von Euroanleihen ab. Dies verteuert Kredite und fördert Staatsverschuldung. Denn EU-Mitglieder dürfen sich Kredite nur auf dem privaten Kapitalmarkt beschaffen, nicht bei der Zentralbank. Der EG-Vertrag verbietet in Artikel 103 sogar den Beistand der Währungspartner (No-Bail-Out-Klausel) bei Zahlungsunfähigkeit. EU-Staaten dürfen nur Ländern außerhalb der Währungsunion helfen, wie zuletzt mit Zahlungsbilanzhilfen für Ungarn, Lettland und Rumänien. Allerdings überwies die EU den Löwenanteil der Mittel für Osteuropa an den Internationalen Währungsfonds (IWF) und überließ ihm den Vortritt beim Krisenmanagement. Der IWF forderte radikalen Sozialabbau zur Finanzierung der Staatsfinanzen, die EU wusch ihre Hände in Unschuld.

EU-Währungskommissar Almunia unterteilte nun die EU-Staaten nach ihrer Haushaltssituation in Risikoklassen. Dabei schwieg er beharrlich dazu, daß Schweden und Finnland mit einer der höchsten Steuer- und Abgabenquoten der EU die beste Figur machten. In der Steuerpolitik fördern die europäischen Verträge Steuerwettbewerb. Dies ist politisch gewollt. Nur die indirekten Steuern, nicht aber die Unternehmenssteuern werden koordiniert. Wettbewerb bei den Mehrwertsteuern wird verhindert, bei den Steuern für Konzerne ist er erwünscht. Die Bevölkerungsmehrheit zahlt, Konzerne kassieren.
Finanzkrise per Vertrag
Fünftens lassen sich mit diesen Verträgen die Finanzmärkte nicht regulieren. Dies gilt für den Kampf gegen Steueroasen, da Kapitalverkehr gegenüber Drittstaaten keinen Beschränkungen unterworfen werden darf. Es gilt aber auch für die zentralen Last-Minute-Wahlversprechen der SPD, wie die Finanztransaktionssteuer. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages bestätigt in einem Gutachten, daß sowohl die in einigen EU-Staaten noch existierende Börsenumsatzsteuer, eine Devisenumsatzsteuer (Tobin Tax) sowie Peer Steinbrücks Wahlversprechen einer Finanztransaktionssteuer nicht oder nur unter restriktiven Bedingungen mit der Kapitalverkehrsfreiheit (Artikel 56 EG-Vertrag) vereinbar sind. Das ist Finanzkrise per Vertrag.

Die Linke lehnt die Verträge der EU ab, weil sie Wirtschaftskrise und Nationalismus fördern, nicht die europäische Idee. Die EU verliert die Herzen und Köpfe der Bevölkerung. Wer Deutschland und Europa anders regieren will, muß die europäische Integration neu denken. Eine linke Regierungsmehrheit verlangt die europapolitische Erneuerung der SPD. Dies wäre ein kleiner Schritt für 490 Millionen Menschen in der EU, aber ein großer Schritt für die deutsche Sozialdemokratie.

* Fabio De Masi ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von Alexander Ulrich; Alexander Ulrich ist Obmann der Bundestagsfraktion Die Linke im Ausschuß für EU- Angelegenheiten; Jürgen Klute ist Mitglied im Ausschuß für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments; Diether Dehm ist europapolitscher Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag