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Kategorie: Presse 2010

ND-Gespräch mit Richard L. Trumka, Präsident des US-amerikanischen Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO
http://www.neues-deutschland.de/artikel/180910.hier-herrscht-klassenkrieg.html

In den USA sind, statistische Beschönigung abgezogen, über 18 Prozent arbeitslos und über 40 Millionen Menschen leben in Armut. Seit Monaten mobilisiert eine breite Koalition aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen, Künstlern und progressiven Politikern für große Demonstrationen am 2. Oktober. Unter der Losung »Eine Nation – gemeinsam im Kampf für Arbeitsplätze, Gerechtigkeit und Bildung für alle« werden allein in Washington 100 000 Teilnehmer erwartet. Der aus einer Bergarbeiterfamilie stammende 61-jährige Richard Louis Trumka ist seit einem Jahr Präsident des US-amerikanischen Gewerkschaftsdachverbandes AFL-CIO. Er war selbst Bergmann und 1982 bis 2009 Präsident der Vereinigten Bergarbeitergewerkschaft. Diether Dehm sprach mit Trumka nach einer Versammlung in jener »Great Hall«, in der schon Abraham Lincoln seine Gesetze zur Aufhebung der Sklaverei verteidigt hat.

ND: Welchen Einfluss hat die »Tea Party«-Bewegung? Welche Gefahr stellt sie für die Demokratie in den USA dar?
Trumka: Hinter der »Tea Party«-Bewegung stehen die Superreichen. Sie wird von ihnen finanziert. Da diese Eliten wohl kaum auf breite Unterstützung in der Bevölkerung hoffen können, wenn sie ihre Ziele offen proklamieren, manipulieren sie einige Leute, die dann in ihrem Interesse handeln. Die Arbeiter wissen aber genau, dass die Wall Street jetzt schon wieder, wie seit 30 Jahren, ihr Fest feiert, zu dem sie nicht eingeladen wurden, das sie aber mit ihren Arbeitsplätzen und ihrem Zuhause bezahlen. Wir dürfen nicht zulassen, dass FOX-News und »Tea Party« die Wut der Arbeiterklasse von den Profiteuren der Krise wegkanalisieren, zum Beispiel auf wirtschaftlich noch Schwächere. Etwa mit der zynischen Behauptung, ein – aus ihrer Sicht – »überregulierender Wohlfahrtsstaat« sei für die gegenwärtige Krise und das Haushaltsdefizit verantwortlich. Wir alle wissen, dass nur ein effizienter Staat aus der Krise führt. Dies ist auch wichtig, um die Mittelschichten wieder aufzurichten.

Hat die Mobilisierung für die große Demonstration in Washington am 2. Oktober echte Chancen, das politische Klima zu ändern?
Sie wird zeigen, dass es ein Gegengewicht gibt. Die »Tea Party«-Bewegung tut so, als vertrete sie gemeinsame Interessen. Aber das stimmt nicht. Wenn man ihre Leute fragt, wofür sie denn eigentlich eintreten, dann werden sie meist nicht konkreter, als dass sie die Regierung loswerden wollen. Das ist doch absurd: Sie halten Staat und Regierung für überflüssig, aber gleichzeitig treten sie an, um gewählt zu werden. Wir wollen der Bevölkerung unsere Vision von Amerika zeigen: Wir wollen nicht Spaltung, sondern Einheit, nicht Hass, sondern Hoffnung. Amerika braucht Arbeit für alle, keine Diskriminierung auf Grund von Rasse, Glauben oder Nationalität, sondern gleiches Recht, Gerechtigkeit für alle und Bildung für alle!

Haben Sie denn auch eine Botschaft für die kleinen und mittleren Unternehmer?
Sie gehören dazu. 90 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmer sind von den Reformvorstellungen der Demokraten, die unter Bush eingefrorenen Steuern für Superreiche wieder aufleben zu lassen, überhaupt nicht betroffen. Wir kämpfen doch auch dafür, dass sie Kredite aufnehmen können, damit sie Arbeitsplätze schaffen. Wir unterstützen sie, und viele von ihnen werden am 2. Oktober in Washington dabei sein.

Früher hörte ich in den USA öfter: »Ach, ihr Europäer mit eurem Wohlfahrtsstaat!« Rächt es sich jetzt nicht, dass es in der veröffentlichten Meinung der USA keine wirkliche Vision gibt von einem starken, freundlichen Staat?
Wir als Gewerkschaft hatten schon immer diese Vision: Wir haben voll Neid auf andere Länder mit einem starken sozialen Netz geblickt. In unserem Land schafften wir das nicht, weil die Konzerne hier so viele Politiker gekauft haben, die dann regelmäßig gegen soziale Maßnahmen stimmten. Allmählich begreifen die Menschen, wie wichtig der Sozialstaat ist. Menschen bei uns, die länger als sechs Monate arbeitslos sind und dann keinerlei Unterstützung haben, begreifen, wie wichtig Arbeitslosengeld ist. Menschen, die ihr Zuhause verlieren, begreifen, wie wichtig eine staatliche Verbraucherschutz-Agentur ist, die sie in der Krise schützt. Menschen, die ihre Arbeit verlieren, fangen an zu begreifen, dass Steuergelder eingesetzt werden müssen, um Arbeitsplätze zu schaffen.

In diesem Land herrscht ein Klassenkrieg. Leider ist meine Klasse unterlegen und die Superreichen sind seit 30 Jahren siegreich. Nun werden wir versuchen, die Bilanz etwas auszugleichen. Die Arbeiterbewegung muss den Augenblick nutzen um die Diskussion in diesem Land zu bestimmen. Wir müssen unsere Wirtschaft grundsätzlich neu ordnen. Das Volk muss die Kontrolle über die privaten Konzerne erlangen, die unsere Wirtschaft beschädigt und die Regierung in Geiselhaft genommen haben.