*** Unten der Brief von Pierre Laurent, Präsident der Europäischen Linken, an Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments ***

PRESSEMITTEILUNG
04 November 2015

Die türkischen Anti-Terror-Gesetze sind ein Angriff auf die Demokratie

Der Präsident der Partei der Europäischen Linken (EL), Pierre Laurent, hat einen Brief an das Europäische Parlament geschickt, an die Europäische Kommission sowie an den Europäischen Rat, worin er diese aufforderte, gegen das Gerichtsverfahren aktiv zu werden, welches gegen die EL-Vizepräsidentin Maite Mola eröffnet worden ist wegen ihrer Teilnahme an einer Großdemonstration in Istanbul - am 21. Februar dieses Jahres - gegen die Annahme des Nationalen Sicherheitsgesetzes, das seinerzeit im türkischen Parlament behandelt wurde.

 

Die Demonstrierenden protestierten gegen ein Gesetz, das der Polizei erlauben würde, alle, die vermummt auftreten, festzunehmen und zu beschießen, oder in gleicher Weise gegen Personen vorzugehen, die verdächtigt würden, in der Lage zu sein, ein öffentliches Gebäude anzugreifen. Ebenso würde sich die vorläufige Haftzeit auf bis zu 48 Stunden verlängern und die Macht der Regierung würde dahin gehend erweitert, dass sie den Ausnahmezustand verhängen kann und somit ein Umfeld schaffen, das anfälliger für die Verletzung der Bürger- und Menschenrechte ist.

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Es ist eine Tatsache, dass einige Monate vor der Demonstration 50 Personen in den Straßen von Istanbul bei verschiedenen Demonstrationen, die zur Unterstützung des Kampfes der kurdischen Frauen und Männern in Kobane stattfanden, getötet wurden.

 

Maite Mola sowie 10 weitere, türkische Genossen, sind einem Gerichtsverfahren gemäß des türkischen Anti-Terror-Gesetzes unterworfen. Sie werden beschuldigt, den türkischen Präsidenten Erdogan während der Demonstration beleidigt zu haben, da, laut der Untersuchungsbehörde gegen Terror und organisiert Kriminalität, auf einem Foto von Erdogan neben einem Schuhkarton voller Banknoten in Fremdwährungen folgender Begleittext geschrieben stand: "Du hast uns nicht geglaubt, als wir sagten, wir können die Millionen kaum zu Hause behalten."

 

Das Gesetz, Ende März mit der absoluten Mehrheit der Erdogan-Regierung und seiner Partei, der AKP, verabschiedet, ist ein Gesetz, um alle Arten von Demonstrationen gegen die Regierung, wie jene, die in Gezi im Jahr 2013 stattfanden, zu verhindern.

 

Die Partei der Europäischen Linken verurteilt nachdrücklich diesen Angriff auf die Freiheit der Meinungsäußerung und die Demonstrationsfreiheit, sowie auf die Freiheit der Presse, in einem Land, das ein Teil der Europäischen Union zu werden anstrebt.

 

Der EL-Präsident prangert diese Art von diktatorischen Gesetzen an und fordert den Präsidenten des Europäischen Parlaments, Martin Schulz, den Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker und dem Präsidenten des Europäischen Rates, Donald Tusk, auf, sich öffentlich zur Schwere dieses Falls zu äußern, damit alle Rechtsverfahren gegen die EL-Vizepräsidentin unverzüglich eingestellt werden.

 

Pierre Laurent verlangt ebenso, dass die Europäische Union die wirtschaftlichen Vorzugsverträge mit der Türkei beendet, einem Land, das straflos nicht nur gegen die Bürger- und Menschenrechte, sondern auch gegen die Demokratie verstößt.

 

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Brief von Pierre Laurent, Präsident der Europäischen Linken, an Martin Schulz, Präsident des Europäischen Parlaments

Brüssel, 3. November 2015

Europäische Linke (EL)
Square de Meeûs, 25
1000 Bruxelles

Martin Schulz
President of the European Parliament

 

Sehr geehrter Herr Schulz,

Ich schreibe Ihnen, um Ihre Aufmerksamkeit auf einen ernsten Angriff der türkischen Regierung gegen die Grundfreiheiten zu ziehen. Maite Mola, Vizepräsidentin der Partei der Europäischen Linken (EL), wird derzeit von der Anti-Terror-Abteilung der türkischen Polizei (Staatsanwaltschaft Istanbul, Abteilung gegen Terror und die organisierte Kriminalität) wegen "Beleidigung von Präsident Erdogan" gesucht. Als Grund wurde angegeben, dass sie als Mitglied einer EL-Delegation an einer Demonstration im Februar 2015 in Istanbul teilnahm, um gegen Angriffe auf die Freiheit, Polizeigewalt und Repressalien gegen Demonstranten zu protestieren. Auch 10 türkische Personen werden aus den gleichen Gründen gesucht. Es scheint, dass kein normales Verfahren befolgt worden ist und unsere Vizepräsidentin über diese Anschuldigungen durch die EL-Mitgliedspartei in der Türkei (ÖDP) informiert wurde.

 

Wir protestieren selbstverständlich am energischsten gegen diese Einschüchterung und diesen Angriff auf die Meinungsfreiheit dieser 11 Personen. Aber ich wende mich an den Rat, die Kommission und das Parlament, weil ich glaube, dass es grundsätzlich für unsere Institutionen ist, sich explizit gegen ein Regime auszusprechen, das schnell in den Autoritarismus verfällt und Polizeieinschüchterung täglich anwendet. Diese Maßnahmen zielen nicht nur auf das türkische Volk, sondern auch, und dies als erstes, auf eine hohe Führungsperson einer europäischen Partei, und über sie, auf die internationalen Solidarität, die sich gegen diese Praktiken ausspricht.

 

Wir sind davon überzeugt, und wir sind sicher auch Sie, dass ein Land, das an der Tür der Europäischen Union klopft, bestimmte Werte, insbesondere diejenigen, die die Freiheit des Ausdrucks, den Respekt vor den Menschenrechten und die Grundfreiheiten beinhalten, anerkennen muss.

 

Die Europäische Union, als die Region, in der diese Werte zuerst geschaffen worden sind, kann zu dieser inakzeptablen Brüskierung nicht schweigen.

 

Ich hoffe, von Ihnen so bald wie möglich einen öffentlichen Ausdruck über den Ernst des Angriffs zu hören, um jede Verfolgung unserer Vizepräsidentin sofort zu stoppen.

 

Mit freundlichen Grüßen
Pierre Laurent
Präsident der Partei der Europäischen Linken