Zum Tode des großen Schriftstellers Günter Grass will ich als Kulturschaffender sagen, dass dies auch für DIE LINKE ein großer Verlust ist, wenngleich - aber auch weil - sich Günter Grass zeit seines Lebens als Sozialdemokrat gesehen hat und für DIE LINKE nicht öffentlich eingetreten ist.

 

Günter Grass hat mit Willy Brandt jenen erfolgreichsten SPD-Wahlkampf aller Zeiten (unter der Leitung des späteren Kanzleramtskoordinators Albrecht Müller) geführt, der schon allein deswegen einzigartig war, weil er sich gegen die BILD-Zeitung gestellt hat (was sich ab diesem Zeitpunkt als Kanzlerkandidat der SPD nur noch Oskar Lafontaine getraut hat). Mit künstlerischen Mitteln und seiner Wähler-Initiative, der alle namhaften fortschrittlichen Künstler der 60er und 70er Jahre angehörten, aber auch immer im Gepäck mit seinem großen antifaschistischen Werk "Die Blechtrommel", vermochte er es, einer Friedenspolitik den Weg zu ebnen, die bis heute fest in den Herzen und Köpfen vieler Menschen sitzt und selbst trotz größter Propagandaanstrengungen der Rüstungslobby noch Umfragemehrheiten gegen Kriege produziert. Der "Menschenrechts-Imperialismus“ hatte in Grass einen wirkmächtigen Gegenspieler. Und das wird er auch bleiben.

 

Eines seiner letzten Werke war ein Gedicht zu Israel und Iran. Und sofort wurde auch er, der Nobelpreisträger, mit dem widerlich inflationierenden Gebrauch des Wortes "Antisemitismus" konfrontiert, von dem Prof. Moshe Zuckermann (Tel Aviv) sagt, dies würde allmählich "als Herrschaftsinstrument" missbraucht. Und auch hier stand Günter Grass wieder gegen den Springer-Konzern, der wie Angela Merkel, das Wohlergehen der israelischen Regierung zur Staatsräson machen möchte. Ich möchte, dass wir die Kraft haben, in geeigneter Weise des großen Schriftstellers und seiner Kunst zu gedenken, aber auch über seine widerständigen politischen Positionen nachzudenken.

 

Dr. Diether Dehm

 

Was gesagt werden muß
Das Gedicht von Günter Grass vom April 2012

Warum schweige ich, verschweige zu lange,
was offensichtlich ist und in Planspielen
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende
wir allenfalls Fußnoten sind.

Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,
der das von einem Maulhelden unterjochte
und zum organisierten Jubel gelenkte
iranische Volk auslöschen könnte,
weil in dessen Machtbereich der Bau
einer Atombombe vermutet wird.

Doch warum untersage ich mir,
jenes andere Land beim Namen zu nennen,
in dem seit Jahren - wenn auch geheimgehalten -
ein wachsend nukleares Potential verfügbar
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung
zugänglich ist?

Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,
empfinde ich als belastende Lüge
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,
sobald er mißachtet wird;
das Verdikt „Antisemitismus“ ist geläufig.

Jetzt aber, weil aus meinem Land,
das von ureigenen Verbrechen,
die ohne Vergleich sind,
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,
ein weiteres U-Boot nach Israel
geliefert werden soll, dessen Spezialität
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe
dorthin lenken zu können, wo die Existenz
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,
sage ich, was gesagt werden muß.

Warum aber schwieg ich bislang?
Weil ich meinte, meine Herkunft,
die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,
verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene Wahrheit
dem Land Israel, dem ich verbunden bin
und bleiben will, zuzumuten.

Warum sage ich jetzt erst,
gealtert und mit letzter Tinte:
Die Atommacht Israel gefährdet
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?
Weil gesagt werden muß,
was schon morgen zu spät sein könnte;
auch weil wir – als Deutsche belastet genug –
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld
durch keine der üblichen Ausreden
zu tilgen wäre.

Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,
weil ich der Heuchelei des Westens
überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,
den Verursacher der erkennbaren Gefahr
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und
gleichfalls darauf bestehen,
daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle
des israelischen atomaren Potentials
und der iranischen Atomanlagen
durch eine internationale Instanz
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.

Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,
mehr noch, allen Menschen, die in dieser
vom Wahn okkupierten Region
dicht bei dicht verfeindet leben
und letztlich auch uns zu helfen.