Von Michael Fleischmann

Auf Einladung der Linken hat der Arzt und Kardiologe Eberhard Neumann vor rund 50, oft fachkundigen Zuhörern aus dem Gesundheitswesen am vergangenen Sonntag im niedersächsischen Bad Pyrmont über Auswirkungen der Privatisierung auf die Krankenhäuser berichtet. Weiteres Thema der Veranstaltung war die Situation der niedergelassenen Ärzte. Als Kenner des Gesundheitswesens arbeitete der 75-Jährige in verschiedenen Kliniken und betreibt heute eine Praxis in Berlin.

 

Veranstaltung DDJKENeumann BadPyrmont

 

"In den meisten konzerneigenen Kliniken sind die Fachärzte für Hygiene, Reinigungskräfte, Pflege- und Küchenkräfte und viele Krankenschwestern entlassen worden", kritisierte Eberhard Neumann den Personalmangel in den Krankenhäusern und machte die Bundespolitik dafür verantwortlich. Diese habe die ehemals kommunalen Krankenhäuser finanziell ausbluten lassen, sodass sich die stets klammen Kommunen zum Verkauf ihrer Kliniken gezwungen sahen. Er bemängelte in diesem Zusammenhang personelle Verflechtungen zwischen Krankenhauskonzernen und Bundespolitik. So sei der Bundestagsabgeordnete Karl Lauterbach Chef der SPD-Gesundheitskommission und zugleich Aktionär der Rhön-Klinikum AG.

 

Steigende Kosten, schlechtere Gesundheitsversorgung

Die Folgen der Privatisierungen seien nicht nur mehr Arbeitshetze für die verbliebenen Beschäftigten und eine schlechtere Versorgung der Patienten, sagte Neumann. Auch die Gesundheitskosten seien gestiegen, weil sich die Aktionäre einen Teil des Geldes einsteckten, das für die Krankenhäuser bestimmt sei. Er forderte deshalb, den Kliniken nur zweckgebunden mehr Geld zu geben: etwa für mehr Krankenschwestern, mehr Pflegepersonal und geschulte Reinigungskräfte.

 

Früher gab es im Krankenhaus nicht nur einen Hygienearzt, den sich heute nur noch wenige Großkliniken leisten, sondern auf jeder Station auch eine Reinigungskraft, die speziell in Krankenhaushygiene geschult war. Heute reinigen 'outgesourcte' Kräfte, die sich damit nicht auskennen. Die Bettmatratzen werden laut Neumann oft nicht mehr desinfiziert. Ist ein Patient gestorben, sei noch der Todesschweiß mit den Krankheitskeimen in den Matratzen. Dann komme nur ein Laken für den nächsten Patienten darüber, kritisierte er. Müsse in Deutschland eine Krankenschwester auf der Intensivstation circa 20 bis 23 Patienten versorgen, seien es in Norwegen nur maximal fünf Patienten. Wegen der Arbeitshetze bleibt für die Krankenschwestern keine Zeit, die Hygienevorschriften einzuhalten und sich vor jedem neuen Patienten zu desinfizieren. All das führe zur Ausbreitung von Krankheitskeimen, gegen die kein Antibiotikum mehr helfe, so Neumann. Immer mehr Todesfälle durch Krankenhausinfektionen seien zu beklagen. Der Bundestagsabgeordnete Diether Dehm (Linke) sprach von jährlich rund 40.000 Toten durch multiresistente Keime in Deutschland. Werde man als Deutscher in den Niederlanden in eine Klinik eingeliefert, komme man erstmal unter Quarantäne, wusste der Doktor der Heilpädagogik zu berichten.

 

Mehr Todesfälle zu beklagen

"Im Krankenhaus angekommen durchlaufen die Patienten oftmals nicht erforderliche apparateintensive Maximaluntersuchungen, die maximalen Profit bringen", sagte Eberhard Neumann. Außerdem werde im Krankenhaus zu viel operiert, weil auch das mehr Geld bringe. Das gelte vor allem für kleine Bewegungsstörungen am Knie oder an der Hüfte. Nicht selten habe das Personal kaum Erfahrung auf diesem Gebiet, was zusätzliche Todesfälle zur Folge habe, mahnte er und bezog sich dabei auf eine Studie.

 

Braucht ein Patient mehrere Gefäßstützen infolge verengter Herzkranzgefäße, muss er sich diese Stents einzeln im Zwei-Wochen-Rhythmus anstatt bei einer einzigen Behandlung im Krankenhaus einsetzen lassen. Denn nach 14 Tagen greife das neue Budget für den Patienten, und der Klinikbetreiber kassiere für jede neue Einweisung des Patienten 5.000 Euro, erläuterte Neumann die Gründe dafür. Braucht ein Patient vier Stents, verstreichen so zwei Monate, bis die Behandlung abgeschlossen ist. Das ergebe ein hochgerechnetes Sterberisiko von zwölf Prozent, was in Kauf genommen werde, so Neumann. Beträgt die Liegezeit mehr als 14 Tage, würden die Patienten entlassen und in die Kurzzeitpflege geschickt – egal, ob sie noch krank seien oder nicht, weil dann das Budget für die Patienten aufgebraucht sei. "Der Patient ist eine Profitgröße geworden", stellte der Berliner Arzt fest. Auf die Frage eines Zuhörers, ob man sich vor diesem Hintergrund im Krankenhaus überhaupt noch sicher fühlen könne, riet er, im Zweifel eine zweite Meinung eines anderen Arztes einzuholen.

 

Neumann machte auch auf die Probleme der niedergelassenen Ärzte aufmerksam und kritisierte die Pauschalen pro Quartal und Patient als viel zu gering. Hausärzte erhalten für drei Monate pro Patient eine Pauschale zwischen 25 und 28 Euro. Fachärzte bekommen 56 bis 58 Euro, obwohl schon eine einzige Untersuchung viel teurer sein kann. "Wenn ich beispielsweise wie früher Belastungs-EKG, Echokardiografie, Lungenfunktionsuntersuchung und Langzeit-EKG auf einmal machen würde, dann würde das heute nicht mehr bezahlt", erläuterte der Kardiologe. Ein Facharzt könne einen Patienten deshalb nur einmal in drei Monaten untersuchen. Auf bestimmte Untersuchungen müssten die Kranken monatelang warten. Die hohen Miet- und Personalkosten versuchten die Ärzte aufzufangen, indem sie mehr Patienten behandelten, so Neumann. "Nicht wenige mussten ihre Praxis aufgeben."