EU-Finanzsystem muss reformiert werden
In der Debatte zum EU-Eigenmittelsystem am 10. April 2008,sprach der europapolitische Sprecher, Dr. Diether Dehm:

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Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es gibt zwar punktuelle Übereinstimmungen, aber eine ganz andere Draufsicht. Der ganze Ratsbeschluss wurde einseitig unter dem Gesichtspunkt finanzieller Forderungen der einzelnen Mitgliedstaaten und nicht unter dem einer sinnvollen finanzpolitischen Ausrichtung der EU getroffen.

Gebraucht werden dagegen der Umbau der Verkehrssysteme sowie der Energieversorgung, der Ausbau von sozialem Wohnraum gegen eine zunehmende Verwahrlosung ganzer Stadtteile in fast allen Metropolen Europas, soziale Stadterneuerung und der Ausbau der Bildungs- und Weiterbildungsinfrastrukturen in den Mitgliedstaaten. Nur das sichert Zukunft, und das alles schafft neue Arbeitsplätze.

Ein besonderer Schwerpunkt sollte der Kampf gegen die Armut sein. Laut Bureau of European Policy Advisers sind in der EU über 100 Millionen Menschen – das ist fast jeder siebte – von Armut betroffen oder bedroht. 25 Prozent aller Kinder in der EU sind arm. Deshalb fordert die Linke konkrete europaweite Programme gegen diesen Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein Interview von Finanzstaatssekretär Thomas Mirow am 31. März zeigt deutlich, dass die Bundesregierung in der Frage des Eigenmittelbeschlusses nicht seriös argumentiert; denn er sagt dort, das Festhalten an der geltenden 1-Prozent-Regelung führe bis 2020 zu einem Anstieg des Haushaltsvolumens um 40 Prozent. Rein technisch stimmt das. Gleichzeitig verschweigt er, dass das nur funktionieren kann, wenn das Bruttonationalprodukt der EU bis 2020 auch um 40 Prozent steigen würde.

Der tatsächliche Haushalt der EU liegt weit unterhalb einer strukturpolitisch vernünftigen Größe. In der interinstitutionellen Übereinkunft vom Mai 1999 wurde für den Zeitraum bis 2006 für die EU-Ausgaben eine Obergrenze von 1,27 Prozent des EU-BIP festgelegt. Schon dies war bei weitem zu niedrig. Mit der jetzigen Festlegung der Eigenmittelobergrenze auf 1,24 Prozent des gesamten Bruttonationalprodukts wurden die Eigenmittel für die EU noch einmal eingeschränkt. Wenn sich gleichzeitig die Bundeskanzlerin dafür feiern lässt, dass sie die tatsächliche Eigenmittelfestschreibung des EU-Haushalts auf 1 Prozent des Bruttonationalprodukts durchgesetzt hat, wird diese Fehlhaltung deutlich.

(Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Wer hat es denn geschrieben? Ihre Fraktion?)

Wir sind der Überzeugung, dass eine Erhöhung der Eigenmittel der EU eine Demokratisierung der Strukturen und Verfahren der europäischen Institutionen bedingt. Jegliche Ausgaben auf EU-Ebene für die Verteidigungsagentur, für die schrittweise Verbesserung der militärischen Kapazitäten, wie es in dem unsäglichen Lissabon-Vertrag heißt, lehnen wir und die Mehrheit der Deutschen ab. Deswegen fürchten Sie ja auch eine Volksabstimmung über den Lissabon-Vertrag.

(Beifall bei der LINKEN)

Für uns ist die Aufrechterhaltung des 1985 eingeführten Haushaltskorrekturmechanismus nicht akzeptabel, der dem Vereinigten Königreich einen Rabatt auf seine Beitragszahlungen einräumt und Großbritannien 66 Prozent seines Nettosaldos erstattet. Zwar wird durch die neue Regelung der Ausgleichsaldo progressiv gemindert, aber das grundsätzliche Problem von Sonderregelungen für einzelne Mitgliedstaaten nicht gelöst. Die Linke tritt dafür ein, dass alle Ausnahmeregelungen schnellstmöglich abgeschafft werden. Die EU muss zu einer verlässlichen, transparenten Finanzierung kommen und nicht den Eindruck eines Basars erwecken.
Die Finanzierung der EU mit der Festschreibung eines gleichen Anteils am Bruttonationalprodukt wäre nichts anderes als gerecht. Gleichzeitig haben wir uns immer gegen die Vereinfachung gewehrt, lediglich über Nettozahler und Nettoempfänger zu sprechen. Das hat zwei Gründe: Zum einen setzt eine solidarische Entwicklung unterschiedlicher regionaler Räume voraus, dass die stärkeren Bereiche einen Beitrag dazu leisten, dass sich die schwächeren Regionen
entwickeln können. Aufgrund der Exportstärke Deutschlands fließt massig Geld aus der EU nach Deutschland zurück – nicht in die Portemonnaies der Mehrheit der Menschen, aber in die Konzernkassen. Deswegen ist immer die Frage, Kollege Link, welche Steuerzahler Sie entlasten wollen. Somit ist eine Nettozahlerrolle automatisch vorgegeben.
Zum anderen entsteht die Nettozahlerposition Deutschlands durch die problematische EU-Ausgabenstruktur. Solange weiterhin etwa 40 Prozent der Gemeinschaftsausgaben für die Landwirtschaftspolitik verwendet werden, ist doch klar, dass ein hoch industrialisiertes Land wie das unsrige mit einem Anteil der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt von 1,1 Prozent weniger von diesem Ausgabenbereich profitieren kann.
Wir halten mehr Entwicklung und Innovation der ländlichen Räume für zukunftsweisend.
Den vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung lehnen wir aus all diesen genannten Gründen ab.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Stephan Eisel [CDU/CSU]: Wer war der Autor? Wer hat es geschrieben?)