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Kategorie: Reden

Zur Unterrichtung durch die Bundesregierung über die Ratifizierung des Vertrages vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) stellte der Abgeordnete fest, dass erst die Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht bewirkten, dass es nun überhaupt die beiden völkerrechtlich verbindlichen Vorbehalte zum ESM gibt. Die Einschätzung der Bundesregierung, dass es sich hierbei um keine Vertragsänderung handele, ist falsch: Es handelt sich eindeutig um eine solche und sie erfordert die Zustimmung und Ratifizierung durch die Parlamente der vertragsschließenden Parteien, gegebenenfalls auch die Billigung durch Volksabstimmung. Die Menschen schütteln über die EU-Winkelzüge nur noch den Kopf - und die Wählerinnen und Wähler werden der Arroganz der Herrschenden und Ihrer Spekulantenpflege eine entsprechende Quittung erteilen. Steueroasen sind auszutrocknen, nicht die Kommunen, griechische Steuerhinterzieher müssen zur Verantwortung gezogen, nicht Rentnerinnen und Lehrer zur Kasse gebeten werden!

 

 


Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Herr Fricke, der Herr Kollege Schneider hat ausdrücklich die Aussagen des Herrn Weidmann in der Neuen Zürcher Zeitung zitiert, und Sie sprechen von Brandstifterei. Ich glaube, da hatten Sie nicht nur Ihr Gemüt, sondern auch Ihre Worte nicht unter Kontrolle. Ich würde mit diesen Worten etwas vorsichtiger sein.

Bis gestern Abend wollten Sie hier überhaupt nicht diskutieren. Es ist unserer Drohung mit einer einstweiligen Verfügung zu verdanken, dass es überhaupt zu dieser Diskussion gekommen ist. Und es war unsere Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, die bewirkt hat, dass es überhaupt die beiden völkerrechtlich verbindlichen Vorbehalte zum ESM gibt.

(Otto Fricke (FDP): Sie haben doch verloren!)

Angesichts der Tatsache, dass das Bundesverfassungsgericht vorletzte Woche die beiden entsprechenden Auflagen erteilt hat, erstaunt schon die Einschätzung der Bundesregierung, dass es sich hierbei um keine Vertragsänderung handelt. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts war eben nicht eindeutig geregelt, dass die Haftungsobergrenze von 190 Milliarden Euro nur nach Zustimmung des Bundestags überschritten werden darf. Genauso wenig war gewährleistet, dass der Bundestag als demokratisch legitimiertes Parlament unterrichtet wird, trotz der Schweigepflicht der lediglich ernannten und nicht gewählten ESM-Mitarbeiter.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Kollege Dehm, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lammert?

Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):
Ja, natürlich.

Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU):
Lieber Kollege Dehm, würden Sie liebenswürdigerweise zur Kenntnis nehmen, dass es zur Ansetzung dieses Tagesordnungspunktes nicht der Drohung mit einer einstweiligen Verfügung bedurft hat, sondern dass, nachdem ich jede einzelne Fraktion angeschrieben hatte, ob sie nach dem Verfahrensvorschlag, den die Bundesregierung zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gemacht hat, noch zusätzlichen Diskussionsbedarf sieht, die Anmeldung dieses Diskussionsbedarfs durch Ihre Fraktion unverzüglich zu einem Einvernehmen aller Fraktionen zur sofortigen Ansetzung dieses heutigen Tagesordnungspunktes geführt hat, was Ihnen nun Gelegenheit zu dieser famosen Rede bietet?

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):
Herr Bundestagspräsident, ich präzisiere meine Aussage: Durch das Schreiben des Kollegen Gregor Gysi sind die Rechte dieses Bundestages, die natürlich bei Ihnen in den besten Händen liegen, gegenüber bestimmten Willkürmaßnahmen der Bundesregierung noch einmal aktiviert worden. Ich danke Ihnen sehr, ich glaube, auch im Namen des Kollegen Gysi, dass wir gemeinsam gestern zur Auffassung gekommen sind, diese Debatte zu führen. Erlauben Sie mir nur diese Spekulation: Ohne uns wäre es vielleicht nicht möglich gewesen. - Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)

Selbst wenn, wie der Herr Staatssekretär Kampeter in seinem Schreiben vom 21. September ausführt – ich zitiere: „lediglich der Inhalt des ESM-Vertrags klargestellt wird“ und sich diese Neufassung – ich zitiere erneut – „vollständig im Rahmen der stets von Bundesregierung und Bundestag vertretenen Auslegung bewegt“, so ist und bleibt das Ihre subjektive Meinung, die man schätzen mag. DIE LINKE sieht dies allerdings so wie das Bundesverfassungsgericht, das die Geltendmachung dieser Vorbehalte ausdrücklich eingefordert hat. Damit haben wir es eindeutig mit einer Vertragsänderung zu tun, und sie erfordert sehr wohl die Zustimmung und Ratifizierung durch die Parlamente der vertragsschließenden Parteien, gegebenenfalls auch die Billigung durch Volksabstimmung.

Glauben Sie nicht, dass mit Ihrem überhasteten und unsauberen Vorgehen den Auflagen des Bundesverfassungsgerichts nachgekommen werden kann! Und glauben Sie nicht, dass mit Ihrem Vorgehen das jetzt schon angeschlagene Vertrauen der Menschen in diese Europapolitik gestärkt würde! Die Umfragen zeigen: Die Menschen schütteln über solche EU-Winkelzüge nur noch den Kopf.

Das Mindeste, was verlangt werden kann, ist eine ordnungsgemäße parlamentarische Behandlung im Bundestag und eine Überweisung an seine Ausschüsse, wie wir es als LINKE in diesem Falle vergeblich gefordert haben. Wenn hier stattdessen wieder einmal der Bundestag unter unwürdigen Zeitdruck gesetzt wird und Trickserei an die Stelle eines nachvollziehbaren und fairen Verfahrens treten soll, dann sind Sie ein weiteres Mal an dem zunehmenden Misstrauen gegenüber der EU schuld.

Ich bin ganz sicher, dass die Wählerinnen und Wähler Ihnen für Ihre Spekulantenpflege eine entsprechende Quittung bei Wahlen erteilen werden; denn dann, wenn es um Spekulanten geht, geht es holterdiepolter und schnell, und wenn es um die Interessen der sozial Betroffenen geht, gibt es ewige bürokratische Vorgänge, etwa die Schuldenbremse, unter der dann Länder und Kommunen, Krankenhäuser und Schulen leiden.

(Norbert Barthle (CDU/CSU): Endlich beim Thema!)

Warum zwingen Sie, Frau Merkel - sie ist jetzt nicht da -, Länder in ganz Europa immer nur zu brutalen Regeln gegen Rentnerinnen und Lehrer und nie dazu, Steueroasen rechtsverbindlich auszutrocknen? Trocknen Sie diese aus!
Gehen Sie einmal den griechischen Steuerhinterziehern an die Wäsche, die die 200 Milliarden in die Schweiz und nach Liechtenstein verbracht haben, die nötig wären, um die griechische Krise zu lösen! Und sorgen Sie dafür, dass Staaten und öffentliche Hand neue Einnahmen bekommen! Das ist die eigentliche Ursache der Krise: dass die Staaten in ihren Einnahmen gehemmt werden, und zwar auch durch diese Bundesregierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie Rücksichtslosigkeit an den Tag legen wollen, Frau Merkel, dann tun Sie es gegenüber den Verursachern und Profiteuren der Krise, gegenüber Zockerbuden, Spekulanten und Finanzhaien, aber nicht gegenüber jenen, von denen Sie glauben, sie könnten sich nicht wehren.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn sie werden sich wehren, und Sie werden sehen, dass sie sich auch in ganz Europa dagegen erheben werden.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)