Der linke Schlagerschreiber

von: Christian Degener (Peiner Allgemeine Zeitung) - 28.11.2006

Foto(07)1.jpg Dr. Diether Dehm ist eine schillernde Persönlichkeit mit einem schillernden Lebenslauf. Er ist Sänger und Sozialist, Verleger und Volksvertreter. Gestern Abend trat der 56-Jährige im Kreismuseum auf und sang Brecht, Eisler sowie eigene Stücke. Politisiert im sozialdemokratischen Elternhaus prägte ihn unter anderem die linke Protestkultur der 80er-Jahre, die sich vor allem gegen die Aufrüstung der USA und die Stationierung von Pershing-Raketen in Deutschland richtete. In dieser Zeit wurde er als Liedschreiber für Klaus Lage bekannt und brachte auf seiner Plattenfirma Alben von BAP heraus.
Dehm setzte auf die Protestbewegung und linke Journalisten, die für Öffentlichkeit sorgten, so hätten es auch bekennend politische Musiker wie Lage und BAP geschafft, Millionen von Platten zu verkaufen. Zu Dehms größten Hitzeilen in seiner 40-jährigen Musikerlaufbahn gehören „Tausendmal berührt“, „Monopoli“, „Faust auf Faust“ und die Trink-Hymne „Was wollen wir trinken sieben Tage lang“, das wohl auch heute noch bei jeder Klassenfahrt gesungen wird. Früher eingängigen Deutschpop und Schlager, heute Brecht und Eisler – „so große Unterschiede gibt es da gar nicht, auch die beiden hatten einfach Lieder“, sagt Dehm. Brecht ist für ihn „der größte deutsche Dichter“, wie sehr er seine Werke respektiert, wird bei seiner Darbietung des Gedichts „An die Nachgeborenen“ (1939) deutlich, das er singt und nicht wie Brecht spricht. Als Nachgeborener wolle er eine andere Sprachhaltung einnehmen als Brecht, der die Naziherrschaft selbst erlitten hat, sagt Dehm. Brecht sei für ihn politisch naheliegend – dessen sozialistische Gesellschaftskritik in seinen Werken auch heute noch hochaktuell. Und wie Brecht sei auch er Marxist.
Der in Hannover und Berlin lebende Dehm ist auf der politischen Bühne fast ebenso lange zu Hause wie auf der musikalischen. 33 Jahre gehörte er der SPD an, saß jahrelang im Magistrat seiner Heimatstadt Frankfurt und im Bundestag. In seiner Juso-Zeit baute er mit Gerhard Schröder die SPD-Linke auf. Doch während sich Schröder in seiner Politikerkarriere unter anderem mit der Senkung des Spitzensteuer- und Unternehmenssteuersatzes für viele endgültig zum „Genossen der Bosse“ wurde, blieb Dehm sich treu. Er glaubte nach wie vor, dass eine Umverteilung des Wohlstandes von „ganz oben“, sprich den großen Konzernen, nach unten für eine funktionierende Gesellschaft unabdingbar und jederzeit möglich sei. 1998 trat der promovierte Heilpädagoge wie viele Intellektuelle enttäuscht aus der SPD aus und schloss sich der PDS an. Kein Krieg mehr, kein „Sozialraub“, und volle Staatskassen, weil „die Großbanken, Konzerne und andere Spekulanten endlich besteuert werden“: Diese Grundsätze vertritt er seit vergangenem Jahr auch wieder im Bundestag – für die Linkspartei.
Protest und Musik, Protest und Politik, dies sind Themen die für den singenden Sozialisten zusammengehören – heute „noch dringlicher denn je“, sagt Dehm. Jüngstes Beispiel: Als die Beschäftigten im öffentlichen Dienst gegen Mehrarbeit protestierten, weil sie Entlassungen befürchteten, verstieß die Linkspartei gegen die Vorschriften des Bundestages und trug bei der Debatte orangefarbene Streikwesten wie sie Arbeiter der Müllabfuhr anhaben. Auf wenig Verständnis stieß die Solidaritätsbekundung beim politischen Gegner, man wurde als „Schweinebande“ beschimpft. Dehm war federführend bei dieser Aktion.
Anfeindungen nimmt Dehm, der verheiratet ist und zwei Kinder hat, nicht nur gelassen hin, sie seien gar „aphrodisierend“ für ihn. Dabei hat er sicherlich den Vorteil, dass er finanziell nicht auf seinen Politiker-Job angewiesen ist. Mit seinen Liedern hat er Millionen gemacht. Zudem gehört ihm eine Plattenfirma im hannoverschen SPV-Verlag, eine Immobilienfirma und Werbeagentur. Viele fragen sich immer wieder, wie es zusammenpasst Millionär und Sozialist zu sein. „Als was soll man denn Sozialist sein?“, fragt Dehm, recht machen könne man es doch nie. „Wenn man arm und Sozialist ist, gilt man als neidisch“. Dass er bis heute der Gegenkultur treu geblieben ist, liege an den „vielen schönen Stunden, die der Protest gebracht habe“. Hinzu komme „ein bisschen Altersstarsinn“.