sodann_bluehm.jpgWie das Konzernfeuilleton auf die gemeinsame Tournee von Norbert Blüm und Peter Sodann reagiert

http://www.jungewelt.de/2007/09-18/042.php

Man mag den Kunstkritikern der Verlagskonzerne zugute halten, daß sie zu den feinsinnigen Kettenhunden des Kapitals gehören. Aber wenn sich FAZ, Spiegel und Welt über Peter Sodann und Norbert Blüm, die gegenwärtig mit ihrem Programm »Ost-West-Vis-à-Vis« touren, auslassen, dann hat das den Kunstlynchton von Hans Habe im Stürmer.
Geht der »katholische Utopist« Blüm noch als »bedauernswert« durch, erbricht der FAZ-Schreiber auf neun Zeilen das Innere seines Frontalhirnlappens über den linken Schauspieler Sodann. Da geht die Rede vom »häßlichen Deutschen und Meckertrottel, der gar nicht schauspielern kann« bis zum »herumnölenden Sozialschrott«.
Und weil der eine, Christdemokrat und Bundesminister a.D., und der andere, wegen Kabarett einst neun Monate im DDR-Knast, weder zu Altbolschewiken zu stempeln noch anders zu delegitimieren sind, empfindet die FAZ »quälende Pein«. Der Spiegel urteilt sprachlos-wortreich über einen Abend, »für den es eigentlich keine Worte gibt«, denn – wie es in der Welt heißt – »vor allem die DDR kommt unter dem brausenden Beifall gut weg«.
Aus der »demoskopischen Katastrophe« Blüm und Sodann in der FAZ wird bei Reinhard Mohr im Spiegel abwechslungshalber eine »demographische Katastrophe«, die »gegen Bankenmacht, US-Krieg und »›soziale Kälte‹ predigt«. Und weil »das Publikum jubelt«, gerät alles auch zur Ankläffung der ausverkauften Säle: »Orkanartige Begeisterung im Saal. Fragen Sie bitte nicht warum« (FAZ).
Was war passiert? Blüm und Sodann haben den neoliberalen Endsieg des Ellenbogens in einem Altersheim des Jahres 2027 zu Ende gedacht. Der EU-Kommissar heißt Schwarzenegger und der Kanzler Ackermann. Das Grundgesetz beginnt mit »Die Würde des Menschen ist ein Kostenfaktor«. In der FAZ kommentiert Peter Richter: »Das muß man nicht verstehen (...) Gedankenfäule«. Wie sollte er auch »verstehen«, daß die FDP gerade den Grundgesetzartikel 15 (»Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden«) streichen will?
Von »starken körperlichen Schmerzen« kündet Richter, vom »Horror«, so daß er sich »mit dem Kopf voran vom Rang ins Parkett stürzen« wollte. Ach, hätt’ er’s doch. Mohr beklagt nur sein »taubes Gefühl«.
Konzernfeuilletonisten waren stets die Gralshüter des Totalitarismus-Dogmas. SA-Aufmärsche konnten und wollten sie nicht von »Rotfrontkämpfern« unterscheiden, Arnold Brekers arische Marmormammuts nicht von den Heldenfiguren des Roten Oktober. Und seitdem Reinhard Mohrs Kumpel Joseph Fischer Belgrad wegen Auschwitz bombardieren ließ, sind sie außer Rand und Band: Der Blüm-Sodann-Abend »unterscheidet sich von einer NPD-Versammlung nur dadurch, daß NPD-Mitglieder wenigstens wissen, daß sie rechtsradikal sind« erklärt die FAZ.
Zynische Grundbotschaften des Turbokapitalismus sind ökonomisch: Profite von übermorgen gestern schon einzupreisen; staatspolitisch in Slums Nichtwähler zu produzieren, und gesellschaftlich gibt es keine Alternative.Aber ästhetisch?
In einem Neoliberalismus, der mittlerweile mehr Suizide als Verkehrstote verzeichnet (und zwar nicht wegen Tempolimit, sondern der Vervielfachung von Neuropsychosen), sollen zwar Beschädigungen auf die Bühne. Doch das Konzernfeuilleton überwacht, stets »unsäglich/peinlich« fauchend, jene Geschmacksgrenze, hinter der daraus moralische Wertung wird. Ansonsten gilt die zweite Auffanglinie: Es darf gerade noch Unrecht genannt, aber nie kollektive Empörung werden. Der herrschende Geschmack bringt Beschädigung auf die Bühne als kollateralen Preis ökonomischer Effizienz.
Dessen Ideal-Bühnenspiel bleibt ein blutbesudelter Schlingensief, der sich abwechselnd an Scham-, Achsel- und Haupthaar kratzt, dann einen warmen Haufen auf die Bühne legt, über den zwei Elfen eine Vitrine decken, wozu ein minutenlanges Signal ertönt, einem Tinitus abgelauscht. Alles natürlich splitternackt.
Aber dann kamen da zwei alte Knaben daher und sagten: »Was da so ohne Kleider ist, das ist doch der Kaiser!« Und das Feuilleton verlor jegliche Contenance.