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Kategorie: Positionen

Horst Winterstein, Staatsminister a. D., Studium der Rechts- und Staatswissenschaften, Rechtsanwalt, SPD-Mitglied seit 1951, 1967-1980 Geschäftsführer des Deutschen Städtetages, 1976-1991 Mitglied des Hessischen Landtages, 1980-1984 SPD-Fraktionsvorsitzender, 1984-1987 Hessischer Innenminister

 

Horst Winterstein


Für die Stasi ein Staatsfeind – für Gauck auch! - Das Lehrstück Dehm

In: Jochen Zimmer (Hrsg.): Das Gauck-Lesebuch. Eine Behörde abseits der Verfassung?

Eichborn-Verlag, 1999.


Der Generalbundesanwalt ermittelte nicht mal. Ein Parteiordnungsver­fahren gegen Diether Dehm wurde nach umfangreichen Ermittlungen und Verhandlungen eingestellt. Aber für die Medienmachermacht war der SPD-Linke Dehm im Frühsommer 96 unzweifelhaft ein Ostspion ge­wesen – trotz Staatsfeind-Fahndungsstempel der Stasi wg. Biermann und Bahro. Deutschlands oberster Großinquisitor, Pastor Hintzes Berufskol­lege Joachim Gauck, hatte medienwirksam seinen Segen zur Treibjagd gegeben.


Während meiner über Jahrzehnte hin dauernden politischen Tätigkeit – unter anderem als Fraktionsvorsitzender im Hessischen Landtag, als hessischer Innenminister und stellvertretender südhessischer SPD-Vorsit­zender – Ende der 70er und in den 80er Jahren, gehörte ich weder zu ir­gendeinem linken Zirkel, noch habe ich auch nur Kontakte zu einem sol­chen gesucht. In zahlreichen prinzipiellen wie tagespolitischen Fragen vertrat ich ganz andere Positionen als Diether Dehm. Dies gilt auch heu­te noch. Dennoch, und zwar aus rein rechtsstaatlichen Motiven, über­nahm ich im SPD-Ausschlußverfahren gegen Dehm im Mai 96 die Funk­tion seines innerparteilichen Rechtsbeistands. Im Umgang mit den Stasi-Unterlagen mußte ich dann mehr und mehr den Eindruck gewinnen, daß die Gauckbehörde in ihrem Zusammenspiel mit einigen Medien an Ver­fassungsgrundsätzen vorbeiwirkt. Darum schrieb ich diesen Beitrag.

Diether Dehm, dessen Rücktritt als Frankfurter Magistratsmitglied CDU und FDP gefordert hatten, weil er schon drei Monate vor den Bankskan­dalen mit »Schneider« und »Metallgesellschaft«, die Deutsche Bank öffent­lich »ein Krebsgeschwür für unsere Volkswirtschaft« genannt hatte, sollte zur Strecke gebracht werden. Nach acht rein fiktiven Rufmord-Medien­kampagnen und Zivil- und Strafprozessen gegen Dehm seit seiner ersten Bewerbung für den Bundestag (»Mörder«, »Gebührenveruntreuer«, »Wohn­sitzbetrüger«, »Sozialwohnungsmißbrauch«, »Mietwucher«, »außereheli­cher Sex«) ohne irgendein belastendes Endergebnis, kam heraus, daß die Deutsche Bank über ihre Kulturstiftung einer kleinen sog. Berliner For­schungsgruppe aus Ex-Maoisten und bewährten Antikommunisten (»For­schungsverbund SED-Staat«) einen Mehrere-Hunderttausend-D-Mark-Be­trag hatte zukommen lassen. Aus den Stasi-Aktenbergen wurde von genau dieser Forschungsgruppe schließlich Belastungsmaterial auch und »folge­richtig« gegen den Banken-Gegner Dehm zusammengetragen und veröffentlicht, Entlastendes zurückgehalten.

Im Hessischen Rundfunk erschien dann Gauck höchstpersönlich, um Dehm als IM zu entlarven mit dem entwaffnenden Argument, die Akten­berichte stimmten, denn ein militärisches System wie die DDR hätte sich nicht selbst »in die Tasche gelogen«. Das ganze Wirtschaftsplanüber­erfüllungschaos als Ausdruck der SED-Wahrheitsliebe? Guter Gauck!

Der Stasi-Unterlagen-Chef braucht zum Erhalt seines mehrtausend-köpfigen Mitarbeiterapparats und die dafür verausgabten Steuermilliar­den nicht nur möglichst viele »echte IMs«, sondern auch die absolute Glaubwürdigkeit seiner Akten. Im unerschütterlichen Vertrauen zur Wahrheitsliebe der ostdeutschen Geheimdienstbeamten dürfte er allen­falls noch von Mielke übertroffen werden. Als Gauck der rechtsextremen CDU-Bundestagsabgeordneten und heutigen Vertriebenenpräsidentin Steinbach im Hessischen Rundfunk plaudernd kontra deren SPD-Bun­destags-Gegenkandidaten Dehm assistierte, wiederholte er um ein weite­res Mal, daß Zweifel an den aufgeschriebenen Berichten der Stasi-Offi­ziere keinesfalls statthaft seien.

Gauck verwaltet nicht nur gläubig die Überbleibsel, nein – er wird zu­nehmend zum Überbleibsel des Unrechtsstaats. Der Bundesgerichtshof hatte gegen Gaucks Lehrmeinungen schon sehr früh festgestellt, daß »Akten der Staatssicherheit grundsätzlich nicht geeignet seien, einen dringenden Tatverdacht zu belegen ... weil das MfS eben nicht rechts­staatlich verfaßt und verwaltet gewesen sei«. Ex-Bundesverfassungsrich­ter Simon präzisierte: »Nur gegengeprüfte Dokumente könnten über­haupt zu Verfahren herangezogen werden.« Aber ein quellenkritischer Umgang wäre Nahrung für alle jene gewesen, die erst recht 10 Jahre nach der Maueröffnung ein Abschmelzen der Gauckschen Behörde for­dern. Eisern insistiert der evangelische Großinquisitor weiterhin darauf, die Stasi hätte sich vor allem durch »akribische Beachtung der Verfah­rensrichtlinien ausgezeichnet«, wodurch ihr Material auch für unbezwei-felbar erklärt werden könne.

Hans-Jürgen Fischbeck, wie Gauck auch aus der evangelischen Bürger­rechtsbewegung und Stasi-Opfer unter dem OPK-Decknamen »Sumpf«, hatte sich die Stasi-Akte »Dehm« vorgenommen und kam zum Ergebnis, daß der Frankfurter Sozialist in der DDR lediglich abgeschöpft worden sei. Es dürfe nicht sein, forderte Fischbeck in einem Schreiben an die SPD-Schiedskommission, daß Dehms Aussagen weniger Glauben ge­schenkt würde als denen, die hauptamtlich vor 25 Jahren Berichte fürs konspirative Handwerk notiert hätten.

Aber Dehm und seine augenscheinlichen Lebenswidersprüche boten sich Medien, inner- wie außerparteilichen Gegnern und Neidern wie ein einziger aphrodisierender Köder an: als erfolgreicher Unternehmer ver­trat er die Vergesellschaftung des Großkapitals, was er schon als Juso ge­fordert hatte. Als Unterhaltungsautor (»1000mal berührt«, »Faust auf Faust«, »Was wollen wir trinken«), als einstiger Manager von BAP und weltbekannten Sportlern, gehörte er zu jener brillierenden Unterhal­tungs-Schicht, an der sich nicht nur triviale Medien ergötzen. Mit ständi­gen Regelverstößen und provozierenden Äußerungen zur Bankenmacht, zu Asylrecht, Golfkrieg und »Atom-Mafia« hatte er Zorn von rechts bis Mode-links auf sich gezogen. Wäre er ein harmloser Sprücheklopfer ge­wesen, wäre die Prämie auf seinen Kopf geringer ausgefallen. Daß er aber in der Frankfurter Stadtregierung, vorübergehend im Bundestag und als Bundesvorsitzender vor den 43 000 Unternehmern im Parteivor­stand der SPD saß, gleichzeitig oft eines der besten Stimmergebnisse auf Frankfurter Parteitagen – zuweilen sogar höher als amtierende Oberbür­germeister – hatte, dürfte die Aufmerksamkeit rechter Kreise und Dien­ste auf ihn gelenkt haben.

1993 hatte sich ein Kreis führender südhessischer Sozialdemokraten gegen den ursprünglichen Wunsch der Dehm-Feindin Wieczorek-Zeul darauf geeinigt, daß er nunmehr 1994, beim zweiten Anlauf nach seiner Schlechtplazierung 1990, auf einem sicheren Listenplatz in den Bundes­tag kommen sollte. Einige Wochen später sprach ihn seine innerpartei­liche Gegnerin Wieczorek-Zeul beim 50. Geburtstag des Verkehrsexper­ten Klaus Daubertshäuser direkt an: es sei ihr aus dem Umfeld des Kanzleramts bedeutet worden, in den nächsten 14 Tagen würde eine Sta­si-Akte über Dehm bekannt. Er solle doch freiwillig auf eine MdB-Kan-didatur verzichten. Dehm reagierte rechtsstaatlich und schrieb die Gauck-Behörde und den Generalbundesanwalt an. Die Gauck-Behörde erklärte schriftlich und zweifelsfrei (und von dort an mehrfach), über ihn, Dehm, gäbe es keine Akte und auch ansonsten keinen Hinweis auf eine Ostagententätigkeit. Das war 1994. Dehm rückte in den Bundestag nach und kandidierte erneut. Zuletzt wurde ihm das Gaucksche Fazit über keine vorliegenden Stasi-Unterlagen noch im April 96 mitgeteilt – zu einem Zeitpunkt, an dem schon über 30 Exemplare von Stasi-Akten­aufzeichnungen über Dehms DDR-Besuche Anfang der 70er Jahre in den verschiedensten Redaktionsstuben Deutschlands vorlagen.

Bei allem war Dehm auch ein Grenzgänger. Auch das machte ihn in der linken Öffentlichkeit angreifbar. Nichts scheint dem »Stasi-Jagd-Komplex« aus der Gauck-Behörde und den ihr zugeordneten Journali­sten derart zuwider, wie Differenzierung. Ja, im Kampf gegen politisches Grenzgängertum zwischen Sozialdemokratie und Kommunismus er­scheinen BND, Gauck und Mielke verwechselbar.

So wurde Dehm von der Stasi in Westdeutschland bespitzelt. Ein IM schrieb nieder, Dehm habe als 23jähriger Juso-Linker den DKP-nahen Kräften innerhalb der Frankfurter Jusos (die kurz danach auch in die DKP übertraten) öffentlich vorgehalten, sich in der DDR »Anweisungen zu holen«. Diese Vorhaltung habe Karsten Voigt (!) dazu bewegt, »sich von Dehm zu trennen«. (Man lese die Akte und staune!)

Dehm, kulturverantwortlich für die Mai-Kundgebung des DGB-Frankfurt, schlug 1977 Wolf Biermann für den Römerberg als Sänger vor – und lief prompt in eine gemeinsame Front aus rechten Gewerk­schaftern und DKPlern, was ein Stasi-Zuträger genüßlich in der Akte goutiert.

Vor dem kurz darauf in Hamburg stattfindenden Juso-Bundeskon­greß half Dehm, DKP-nahe Befürworter der Biermann-Ausbürgerung in­nerhalb der Juso-Linken (»Stamokaps«) zu isolieren und sorgte dort dafür, daß Biermann sang – unter »Stamokap«-Beifall. Juso-Chefin Wieczorek-Zeul kämpfte erbittert gegen den Auftritt des Ausgebürger­ten. Ihr offizielles Argument: die FDJ und die Sowjet-Komsomolzen würden bei einem Auftritt Biermanns den Saal verlassen.

Kurz zuvor noch des Liedermachers Wohnstätte in Wallraffs Haus teilend, drohte die »Rote Heidi« nun, demselben seine Gitarre auf den Kopf zu schlagen, wenn er die FDJler durch seinen Auftritt vertreiben würde. Dehm bekam hinter den Kulissen von ihr schlimmere Feindselig­keiten angetragen, die dann auch jahrzehntelang anhielten. Der Vorgang hat ein Nachspiel in den SED-Akten.

Durch ihre Taktiererei verlor die damalige Juso-Bundesvorsitzende Wieczorek-Zeul die Mehrheit und ihr Gegner, der »Stamokap« Benne­ter, konnte sich als neuer Vorsitzender durchsetzen. Krenz schrieb dar­aufhin ein Memo an Honecker, nun sei eine bessere Voraussetzung zur Kooperation mit den Jusos gegeben. Honecker griff zum dicken Füllhal­ter und schmierte über die Krenz-Empfehlung ein lapidares: »Ich emp­fehle die Beziehungen einzufrieren«. Einer der angeführten Gründe: der von Benneter/Dehm forcierte Auftritt des Staatsfeinds Biermann auf dem Juso-Kongreß, den Wieczorek-Zeul vergeblich hatte zu verhindern ver­sucht.

Daß dieser spannende Vorgang von politischer Grenzgängerei von größeren Medien, obschon dort schriftlich vorliegend, nie aufgegriffen wurde, mag dem Zustand unserer Medienlandschaft entsprechen: Was zählt ist schwarz/weiß oder rot/braun. Daß in der Mehrheit aller veröf­fentlichten Beiträge aber völlig unterschlagen wurde, wie und warum Dehms Stasi-Akte endet, ist schon eher ein Skandal. Es muß nicht jeder Journalist Dehm glauben, daß er als 21jähriger den vor ihm sitzenden Stasi-Mann im FDJ-Gewand nicht erkannte. Daß aber die Stasi einen al­lerletzten Besuch Dehms 1977 in Ost-Berlin registriert, bei dem er erneut die Stasi-Leute mit sozialdemokratischen Positionen »und sympathi­schem westlinken Eigensinn nervte« (Zitat Biermann im Spiegel vom 29.4.96), daß Dehm in der DDR immer wieder und heftig gegen die In­haftierung Bahros und die Ausbürgerung Biermanns agitierte und sich weigerte, irgendein Wort über den Urlaub, den der DDR-Staatsgegner Jürgen Fuchs in Dehms Wochenendhaus verlebt hatte, zu äußern, ist ak­tenkundig und völlig zweifelsfrei, gleichgültig, ob er die FDJ-Tarnung der mit ihm trinkenden und redenden Stasi-Jungmänner durchschaut ha­ben könnte oder nicht. In den Zeitungsartikeln taucht es gleichwohl nir­gends auf.

Dehms klares Eintreten für die Dissidenten wird deutlich von der Sta­si-Akte belegt, was für den aktengläubigen Gauck zumindest eine Diffe­renzierung hätte wert gewesen sein können. Und «es führt dazu, daß Dehm kurz darauf von der Stasi zum Staatsfeind abgestempelt und in die DDR-Einreisefahndung der MfS-Hauptabteilung VI gelegt wurde. Bier­mann, der sich dann später der rechtsextremen CDU-Vertriebenenfunktionärin Steinbach als Kronzeuge gegen Dehm andiente, behauptete, der SPD-Linke hätte sich schon zwei Jahre vor dem Mauerfall ihm gegen­ über als einstmaliger Ostagent offenbart »in meinem Garten unter vier Augen und sechs Ohren« (was immer Biermann an eigener Abhörpraxis damit andeuten wollte – kein Journalist hielt es für nötig, ihn nach dieser Ungeheuerlichkeit näher zu befragen!).

Günter Wallraff, der die Dehm-Akte ebenfalls studiert hatte, alles aus den Nach-Ausbürgerungsjahren Biermanns wußte und nichts davon in den Stasi-Aufzeichnungen über Dehm wiedergefunden hatte, wider­sprach Biermann mit aller Intimkenntnis: »Ich erlebte Diether Dehms Engagement für Wolf Biermann, seine Initiativen gegen die Willkür der Ausbürgerung, seine vielfältigen kenntnisreichen und meist erfolgreichen Anstrengungen, Wolf Biermann Kontakte und Auftritte im linken Spek­trum zu vermitteln. Ich bin mir absolut sicher, daß Diether Dehms Tätig­keit nach bestem Wissen und Gewissen zum Nutzen Wolf Biermanns er­folgte, der DDR und den Stasi-Interessen enorm schadete ... sollte es in dieser Zeit einen sog. Führüngsoffizier für Diether Dehm gegeben haben, dann müßte Wolf Biermann als solcher bezeichnet werden ... den dama­ligen tatsächlichen Kenntnisstand Diether Dehms, die wirklichen Fakten, seine eigene Sprache, fand er in der Dehm-Akte nicht wieder.« Das will besagen: Über die damaligen Kontakte Biermanns zu DDR-Dissidenten nach seiner Ausbürgerung, zu politischen Freunden, über seine engen persönlichen Beziehungen zur Juso-Bundesvorsitzenden Wieczorek-Zeul muß Dehm in der DDR durchweg geschwiegen haben – es wäre sonst, bei dem hohen Stasi-Interesse daran – mit tödlicher Sicherheit in der Akte vermerkt worden. Wallraff, vom selben intimen Kenntnisstand wie Dehm, wäre es dann aufgefallen. Konnte es aber nicht, weil Dehm z. B. darüber in der DDR nie geredet hatte.

Diese Einlassungen Günter Wallraffs finden sich ebensowenig in der Presse, wie irgend etwas, was der Jagdstimmung gegen Diether Dehm im Sommer 1996 widersprochen hätte.

Die damals etwa 30jährigen Mitarbeiter des MfS mit Decknamen »Herbert«, »Dieter« und »Lothar«, hatten unter »falscher Flagge« (Sta­si-Jargon), nämlich als FDJ- und SED-Antifaschisten den 19jährigen Frankfurter Schülerfunktionär, der sich mehrfach mehrtägig in der Nähe der Gedenkstätte Buchenwald und später bei seiner Freundin in Ost-Ber­lin aufhielt, kontaktiert. Durch die vermeintlichen FDJ-Funktionäre wurden Lieder Dehms in der DDR veröffentlicht, erschienen Artikel von und über ihn, trat er gegen Fahrtkosten in Theatern u. ä. auf. Später sag­ten sie ihm, es solle eine mehrbändige Anthologie über den europäischen Antifaschismus unter Dehms Mithilfe erscheinen. Diese Erinnerungen Dehms wurden 1996 eidesstattlich von allen drei Offizieren bestätigt. Die den meisten Medien bekannten Einlassungen der drei mit der Akte befaßten hauptamtlichen Stasi-Offiziere (deren eidesstattliche Versiche­rungen nicht ohne Risiko für sie selbst waren und sind) wurden weitest­gehend öffentlich ignoriert. Diese Aussagen hatten eindeutig ergeben (was am Ende auch zur Einstellung des SPD-Ausschlußverfahrens gegen Diether Dehm geführt hatte),

- daß Diether Dehm niemals mitgeteilt wurde und er auch nicht wis­sen konnte, es mit Hauptamtlichen des MfS zu tun zu haben,

- daß in seinem engen Umfeld sein enger Freund und Genosse Alfred D. fest für die Stasi gearbeitet hatte, Berichte von diesem aber in die Dehm-Akte eingeheftet worden waren,

- daß Aussagen von Frankfurter Mitgliedern der DKP, die die Stasi eigentlich richtliniengetreu nie hätte verwenden dürfen, hilfsweise in der Dehm-Akte untergebracht und abgelegt worden waren,

- daß weder schriftlich noch mündlich jemals eine Verpflichtungser­klärung von Dehm auch nur erwartet worden war.

(Einer, den Dehm, laut Akte, in der DDR als »SPD-Rechten« be­schimpft hatte, der langjährige Frankfurter SPD-Vorsitzende Fred Gebhardt, sagte nach Aktenstudium: »Was da steht, hätte jeder über mich überall auf der Welt sagen dürfen.«)

Eine »Verpflichtungserklärung«, zumindest mündlich, war eine abso­lut bindende Richtlinie für die IM-Bezeichnung. Da in der Akte Dehm von einer »Verpflichtung« nicht einmal die Rede ist, mußten also die Hauptamtlichen hier gegen eigene Richtlinien verstoßen haben. Die Gaucksche These, die Stasi habe sich akkurat an ihre Richtlinien gehal­ten, ist alleine hier schon falsifiziert. Wenn Dehm aber gewußt hätte, daß seine vermeintlichen FDJ-Freunde Stasi-Offiziere waren, warum war es dann nicht zumindest auch noch zu einer mündlichen Verpflichtungser­klärung gekommen? Und warum hätte es dann in der Akte nicht zumin­dest einen Querverweis auf die offizielle Verpflichtungserklärung gege­ben? Aber das entscheidende Kriterium einer IM-Tätigkeit, das der Stasi-Richtlinien-gläubige Gauck oft selbst als solches benennt, nämlich die Verpflichtungserklärung, fehlt auf allen Aktenseiten über Dehm von 1971-77.

Wenn die Mehrheit der Jagd-Journalisten auch der Meinung gewesen sein mag, Dehm hätte wissen müssen oder können oder gewußt haben, daß die vermeintlichen FDJler in der Zeit zwischen 1971 bis 77 Stasi-Hauptamtliche gewesen waren, dann hätte eigentlich der von der Stasi behördlich formell attestierte Entschluß Dehms, wegen der Behandlung von Bahro und Biermann mit dem DDR-System zu brechen – laut Bier­mann geschah ein solcher Bruch kaum ohne persönliches Risiko! – von den Medien nachgerade als Akt des Muts von Diether Dehm herausgear­beitet werden müssen. Aber vom Umstand und Zeitpunkt des radikalen Dehmschen Abbruchs seiner sämtlichen DDR-Kontakte 1977 stand in den diversen Tageszeitungen kein Wort geschrieben.

Meist wurde der Eindruck kolportiert, Dehm sei bis zur Wende Ost­spion gewesen. Ebensowenig, wie in den Zeitungen irgendwann Günter Wallraff, der Schriftsteller Valentin Senger, die Juso-Bundesvorsitzende Andrea Nahles oder die prominenten Stasi-Opfer Fischbeck und Bahro erwähnt wurden, die sich öffentlich gegen die Treibjagd auf Dehm geäußert hatten. Die rätselhaften Umstände, unter denen die Dehmsche Akte mit völlig einseitiger Zusatzinterpretation bestimmten ausgewähl­ten Medien im Zeitraum März/April 96 zugespielt wurde, während gleichzeitig dem Betroffenen die Nichtexistenz einer Akte durch die Sta­si-Unterlagen-Behörde vorgegaukelt wurde, wird ergänzt durch all jene Aktenteile, die den Medien während der Treibjagd vorenthalten wurden und die Dehm als DDR-Staatsfeind und als selbst durch die Stasi Bespit­zelten eindeutig entlastet hätten.

Diether Dehms die Stasi wütend machenden Agitationseinsätze für Biermann, Bahro und Fuchs in Ost und West fehlten in der Regel bei den Akten-Verschnitten, die der Presse kopiert zur Treibjagd im Frühjahr 1996 »zugestellt« wurden.

Hingegen wurden Quittungen, die angeblich mit dem Stasi-Codena­men für Dehm, »Willy«, handschriftlich unterzeichnet worden sein sol­len, offensichtlich nachträglich fingiert und der Presse zur öffentlichen Verwendung zugespielt. So gab es Journalisten, die behaupteten, diese Originalbelege in den Gauck-Unterlagen gefunden zu haben. Und ande­re, die in der Akte dieselben Quittungen mit Willy-Unterschrift nicht fin­den konnten. Wer in der Gauck-Behörde oder anderswo Belege über – wenn auch kleinere – Geldbeträge erfunden oder fotomontiert haben mag, um einen bösen Schein zu erzeugen, wird vielleicht nur schwer rekonstruierbar sein. Fahrtkosten über 100,- oder 200,- D-Mark. die der Liedermacher, Journalist und Buchautor Dehm in der DDR vor 1977 unterschrieben hatte, sollten so einer angeblichen Stasi-Tätigkeit zugeordnet werden. Es wurde sogar in zahlreichen Artikeln unter Bezug auf Gauck-Material behauptet, Dehm habe noch Ende 77 von der Stasi eine Prämie von DM 500.- erhalten. Zu diesem Zeitpunkt aber waren die Kontakte Dehms in die DDR – auch laut Akte! – schon völlig abgebro­chen. Auch hier dürfte die Quittung, über die in Zeitungen geschrieben wurde, allenfalls eine Fälschung sein. Daß Dokumente möglicherweise sogar in den Aktenschränken der Gauck-Behörde – oder durch allzu freigiebige Herausgabe an angebliche wissenschaftliche Zirkel – so der Ma­nipulation zugänglich sein können, könnte etwas den Heiligenschein je­nes Großinquisitors trüben, der heute immer noch glaubt, unbequeme Leute selbstgerecht und selbstherrlich einer öffentlichen Treibjagd der hiesigen Obrigkeit aussetzen zu können.

 

... und in der Jugend Ostspion?

Winterstein