DIE LINKE zwischen Nordsee und Harz
Von Giesela Brandes-Steggewentz und Diether Dehm

Niedersachsen hat schon vor der Vereinigung mit der WASG, also noch als PDS sich auf eine besondere Art des internen Umgangs verständigt, den wir »unseren niedersächsischen Weg« nannten. Kern dessen ist, dass wir inhaltlich die Differenzen konturieren, Strömungen durchaus auch programmatisch gegeneinander abgrenzen, die Geschlechterfrage einbeziehen und dann versuchen, sowohl in der Strategie als auch in der Personalpolitik auf einen pluralen Konsens zu kommen. Der aktuellste Erfolg dieses Weges ist die Tatsache, dass wir in der Frage der »Vier-in-eins-Perspektive« (Frigga Haug) und der Frage der Verstaatlichung des Kreditsektors beziehungsweise der Vergesellschaftung und (Re-)Kommunalisierung der Energienetze und -betriebe sowie sämtlicher Bereiche der Daseinsversorgung einen einstimmigen Beschluss im Landesausschuss und zuvor eine sehr breit mehrheitliche Entscheidung des Landesparteitags hatten.


Uns ist die Diskussion um einen demokratischen und gerechten Gesellschafts- und Geschlechtervertrag wichtig. Dafür brauchen wir eine Diskussion über eine andere Verteilung und Bewertung der Arbeit, international und hier bei uns. Wir fordern eine radikale Verkürzung und Neuverteilung der Erwerbsarbeitszeit, was also keinesfalls eine Zustimmung des Landesverbandes zum sogenannten bedingungslosen Grundeinkommen bedeutet. Wir wollen, dass alle gleichermaßen an den vier Bereichen des Lebens1 teilnehmen können.

Vorangegangen war, dass wir als einer der beiden ersten Landesverbände unseren Parteitag zur Listenaufstellung für die Bundestagswahl 2005 und dann zur Vereinigung durchführten. Auch damals sind wir mit großer Kompromissbereitschaft miteinander in der alten PDS und in der alten WASG um- und aufeinander zugegangen. Deshalb konnten wir Friktionen wie in anderen Landesverbänden, wo sie bis heute noch subkutan fortdauern, vermeiden. Wir hatten sehr frühzeitig entschieden, Reizvokabular aus den entsprechenden Parteiverbänden der PDS und der WASG zu streichen, und hatten uns auf ein Personalpaket verständigt, bei dem bis zum heutigen Tag sich im Großen und Ganzen keine Seite und auch keine Strömung benachteiligt fühlte.

Mit dieser Perspektive haben wir unsere Kommunalmandate bei der letzten Kommunalwahl verzehnfacht, haben dann die Parteienzusammenführung so gestaltet, dass zumindest bis zur Landtagswahl den Medien relativ wenig konfliktorisch nutzbare »Munition« geliefert wurde. Die Frauenquote sowie die quotierte Doppelspitze sind in unserer Landessatzung fest verankert.

Wir haben dann zur Landtagswahl 2007 sehr früh angefangen, uns personalpolitisch wie programmatisch zu wappnen. Entscheidend waren dabei aus unserer Sicht mehrere Faktoren, erstens: Niedersachsen ist nicht nur das Land der VW-Arbeiter (wo es einen besonders starken kulturellen und sozialen Konflikt mit den beherrschenden SPD-Teilen der IG-Metall gab), sondern auch das Land, in dem Handwerk, Milchbauern und andere Kleinunternehmen ihre spezifischen Probleme haben, denen wir uns programmatisch widmen mussten. So auch im Wahlprogramm, wo ausdrücklich diese Klientel angesprochen und dies bei der Landtagswahl mit einem besonders hohen Anteil Stimmen (sieben Prozent) aus dem Bereich der Selbstständigen und kleinunternehmerischen Teile »belohnt« wurde. Zweitens haben wir natürlich unsere EU-kritische Position ins Zentrum unserer Agitation gesetzt, die sich besonders gegen die Einmischung des Europäischen Gerichtshofs in die niedersächsische Thematik des VW-Gesetzes und des sogenannten Celler Urteils, das eine Tariflohnbindung bei öffentlicher Auftragsvergabe aufhebt – und das besonders im gewerkschaftlich organisierten Teil der Wählenden. Darüber hinaus wussten wir von einer uns bedrohenden Faustregel, wonach etwa 70 Prozent unserer Funktionsträger/innen eine Regierungsbeteiligung ablehnen, wohingegen sich etwa 70 Prozent unserer Wählerinnen und Wähler eine Regierungsbeteiligung wünschen. Wir wussten, dass dies der Hebel sein wird, mit dem die konzerngesteuerten Medien versuchen würden, nicht nur einen Keil in unsere Reihen, sondern vor allen Dingen einen Keil zwischen uns und die Wählenden zu treiben. Wir fanden die Lösung darin, dass wir auf die Frage von Medienvertretern, ob wir denn einen Regierungswechsel weg von Ministerpräsident Wulff mit stützen würden, so antworteten, dass wir dies nicht vor der Wahl entscheiden, sondern am Tage nach der Landtagswahl, dem 28. Januar 2008, gemeinsam mit den sozialen Bewegungen, den Gewerkschaften, der Anti-Atom-Bewegung von Gorleben etc. dies beraten würden. Seitdem haben wir jährlich den »Großen Ratschlag« mit den sozialen Bewegungen.

Darüber hinaus wussten wir, dass wir uns in der Frage der Bildungspolitik besonders zu qualifizieren haben, weil Niedersachsen mehrere Elterninitiativen-Plebiszite gegen die Bildungspolitik von Wulff hatte und die Auszubildenden in Schulen und Universitäten auf unsere Antworten gespannt waren. Darüber hinaus sind unsere Studierenden aktiv in den Bewegungen für die integrierte Gesamtschule beziehungsweise zur Abschaffung der Studiengebühren. Durch die Ausdauer und das unermüdliche Engagement unserer Landesarbeitsgemeinschaft »Selbstbestimmte Behindertenpolitik« findet der Grundsatz des Selbstvertretungsanspruchs von Menschen mit Behinderung auf allen Ebenen in der Partei in Niedersachsen volle, tatkräftige Umsetzung.

Eine starke Landesarbeitsgemeinschaft für Betrieb- und Gewerkschaftsarbeit stellt mit dem Landesvorstand und der Landtagsfraktion zusammen einen guten Kontakt zu Gewerkschaften sicher und ist schnell für Unterstützung im Kampf um Arbeitsplätze (wie bei Karmann in Osnabrück), den Mindestlohn und die Solidarität für und mit Erwerbslosen zu mobilisieren.

In diesem Zusammenhang ist besonders hervorzuheben, was Lothar Bisky auf unserem letzten Landesparteitag gesagt hat, dass die Zusammenarbeit zwischen Partei und Fraktion »geräuschlos wie ein Rolls-Royce-Motor« funktioniert.

Wir haben in einem Land, das nicht nur in seiner landwirtschaftlichen Struktur Bayern ähnlich ist, sondern auch in der Fläche besonders groß und direkt hinter Bayern liegt (bei zu wenig Funktionsträgern unserer Partei), mit 7,1 Prozent einen in einem solchen Flächenland bis heute nicht eingestellten Stimmenrekord erzielt. (Wobei wir allerdings darauf hoffen, dass wir bald übertroffen werden!)

Bei der Personalbesetzung unserer Landtagsfraktion arbeiteten wir strömungsübergreifend. Durch den zuvor gewachsenen vertrauensvollen Zusammenhalt im Funktionskern der Partei gelang es uns, auch die einmalige Konfliktsituation »causa Christel Wegner (DKP)« zu überwinden.

In den wichtigsten außerparlamentarischen Mobilisierungsfeldern waren unsere Genossinnen und Genossen und die in den Funktionen außerordentlich aktiv und erfolgreich: Da ist die Unterstützung der Bewegung »Niedersachsen darf kein Atomklo bleiben«, die sich besonders für die Auflösung des Zwischenlagers Asse II und des Endlagers Gorleben engagiert.

Mit der Bundestagswahl kamen wir erneut in eine Situation, die die programmatische Diskussion, die Bildungsarbeit und was uns sonst am Herzen liegt gehemmt hat, aber für die ganze Partei zur großen Herausforderung wurde. Mittlerweile waren wir von der alten PDS mit 600 Mitgliedern auf eine Partei von weit über 3.400 angewachsen, was aber immer noch nicht eine flächendeckende Arbeit in Niedersachsen möglich macht. Deshalb waren und sind alle Parlamentarier bei uns stets aufgerufen gewesen, ihre Wahlkreisdependancen auch nach den großen weißen Flecken zu orientieren, die unser Landesverband noch hat. Es ist in einem so großen Land, wo manchmal eine Gemeinde sich auf viele Kilometer ausdehnt und zwischen einem Gehöft und dem nächsten ein paar hundert Meter liegen, viel schwieriger, gedrucktes Material unter die Leute und an Mann und Frau zu bringen. Wir entschieden uns für eine ausdrückliche Beschäftigung mit der niederländischen Wahlkampfführung, dem Straßenwahlkampf »mit dem Gesicht zum Volke«, in dem wir es mittlerweile zu einer gewissen Meisterschaft bringen konnten. Und nicht zuletzt: Alles, was wir in dieser Zeit taten, taten wir gemeinsam mit Kulturschaffenden. Deshalb wurden selbst in kleinsten Gemeinden in Fußgängerzonen und auf Marktplätzen Lautsprecher und Bühnen aufgebaut, wurde unser »Sozialquiz« veranstaltet, und wir haben Schulungen für Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer organisiert, um auch »marktschreierisch« auf die Leute zuzugehen, statt uns hinter dem Info-Stand zu verstecken.

Unsere Landesliste haben wir sehr zeitig aufgestellt, so dass wir umso früher mit dem Wahlkampf beginnen und auf das persönliche Engagement der Aufgestellten (schon in den Sommerferien und im Freien) bauen konnten. Auch diesmal wurden wir belohnt: Von der einen Million Stimmenzuwachs, die die 16 Landesverbände unserer Partei erzielten, konnte Niedersachsen das meiste, nämlich 175.000 Stimmen, beisteuern – Platz 1 der Landesverbände in der offiziellen Statistik des Karl-Liebknecht-Hauses.

Schon jetzt laufen die Vorbereitungen für die Kommunalwahl 2011. Es gilt einzuschätzen, ob wir flächendeckend kandidieren können, dazu die Kraft und die Kandidierenden aufbringen. Dabei sind unsere Inhalte klar, und die Positionen aus dem Bundestagswahlkampf können so – auf die Kommunen angewandt – vertreten werden. Wichtig ist die Einheit der Partei, die uns nach der vorigen Wahl in Hannover Probleme macht(e).

Am niedersächsischen Weg halten wir fest, auch weil uns Lothar Bisky auf unserem Landesparteitag einen »Paradelandesverband« genannt hat – wegen unserer kulturellen Arbeit und wegen unseres integrierenden Kurses. In unserem kollektiven Wortbeitrag (Beschluss des Landesparteitages vom November 2009) formulieren wir dies so: »Wir sind eine Landespartei der Priorität des Außerparlamentarischen gegenüber dem Parlamentarischen, eine Partei, in der keine Sekunde vergessen wird, dass nicht Fraktionen die Partei, sondern die Partei ihre Fraktionen führt – in der Kommune, im Land und im Bund. Wir sind eine Partei, die die Kultur nicht an den Rand, sondern in die Mitte unserer Politik stellt. Unsere Kultur- und Gegenöffentlichkeit umfasst professionelle Pressebetreuung, Unterstützung besonders freier und lokaler Journalist/innen und der Belange der dju ebenso wie den kritischen Umgang mit Konzernmedien und einem rechten Kampagnenjournalismus, mit dem in jüngerer Vergangenheit NATO-Kriege, Antisozialismus und Sozialabbau propagiert wurden. Wir wollen eine bunte, fröhliche Zukunft erobern – und deshalb drängt es hinaus auf die Straßen und Plätze, vor und in Perspektive auch in die Betriebe unseres Landes. Wir gehören mitten unter die Menschen – mit unseren Worten, unserem Witz und unserer Musik. Wir sind die Partei der Lebenslust.«

Giesela Brandes-Steggewentz und Dr. Diether Dehm sind Vorsitzende des Landesverbandes.